Ist ja eine hübsche Idee, wirklich! Vor drei, es kann auch schon vier Jahre her sein, war ich bei Marita eingeladen, deren Sohn seinen 18. Geburtstag feierte. Marita hat immer einen Tag nach ihrem Sohn Geburtstag und sie feierte hinein, sodaß die beiden eine gemeinsame Feier ausrichteten.
Was ich soeben mit einer hübschen Idee bezeichnete, ist das Buch des Lebens. Marita hatte für Ihren Sohn Marco über lange Zeit hinweg Dokumente, Fotos und Briefe gesammelt, die wichtige Stationen seines Lebens kennzeichneten. Das erste selbstgemalte Bild aus dem Kindergarten, die Wiegekarte nach der Geburt, Schulzeugnisse, Klassenfotos und so allerhand Zettelchen, die Marco seiner Mutter mal geschrieben und die sie aufgehoben hatte. Natürlich hatte Marita das alles in die richtige Reihenfolge gebracht und zu jedem Lebensabschnitt einiges selbst noch aufgeschrieben.
Petra kannte ich, im Gegensatz zu Marita, bislang gar nicht. Sie kam am vergangenen Montag wegen eines Sterbefalls zu uns.
Da sie erst ungefähr 40 Jahre alt ist, hoffte ich, daß sie wegen eines Elternteils oder gar wegen eines Großvaters kommt und nicht wegen eines Ehemannes oder Lebensgefährten. Doch es kam schlimmer. Petra kam wegen ihres Sohnes zu mir.
Jochen hatte sich mit einigen Freunden einen erlebnisreichen Nachmittag machen wollen und die Gruppe hatte sich einige Quads ausgeliehen, um damit durch die „Pampa“ zu fahren. In einer etwas regennassen Kurve kam es dann zu einem verhängnisvollen Unfall. Jochens Quad kamm ins Rutschen, kippte in der Kurve über die Seitenreifen und drückte den Fahrer beim Umkippen gegen die Leitplanke.
Schon am unnatürlichen Winkel in dem sich der Kopf zum Rumpf befand, erkannten die anderen jungen Leute erschreckt, daß dieser Unfall tödlich verlaufen war.
Jochens Vater, übers Handy verständigt, war noch zum Unfallort geeilt und sah noch wie unsere Fahrer den Transportsarg ausluden und der Rettungswagen unverrichteter Dinge davonfuhr. Er brach an Ort und Stelle zusammen, sodaß der Rettungswagen umkehren und nunmehr den Vater des verunglückten Jungen mitnehmen konnte.
Der Vater liegt immer noch im Krankenhaus und ist nicht in der Lage sich um die Bestattung zu kümmern. Seine Nerven hätten das nicht ausgehalten, sagen die Ärzte.
Petra tut mir leid und ich saß bestimmt 20 Minuten nur da, hielt ihre Hände und wir beide schimpften über die oft ungerecht erscheinenden Wege des Schicksals. Danach führte ich sie behutsam, aber in doch recht lockerem Ton durch die notwendige Prozedur. Einen hellen Buchensarg suchte sie aus und ein lichtgraues Totenhemd. Nein, eigene Kleidung wollte sie nicht an Jochen sehen, schon alleine das Heraussuchen und der Gedanke daran ließen sie erschauern. Für diesen letzten Weg soll er etwas tragen, was nichts mit dem bisherigen Leben zu tun hat.
Blumen bestellte die Frau nur sparsam: „Die halten bei dem nasskalten Wetter sowieso nicht.“ Viel zeit verwandte Petra auf die Auswahl der Musik und dann stockte sie: „Ich weiß nicht was man sonst noch machen soll. Haben Sie keine Idee, Sie kennen sich da doch besser aus. 19 Jahre, mein Gott, das ist doch noch so jung und dennoch haben wir doch soviel gemeinsam erlebt.“
Dann begann sie aufzuzählen was sie so alles gemeinsam gemacht haben, was sie Besonderes erlebt haben und während ich der Frau ein paar Tränen wegwischte und ihr dann ein Päckchen Papiertücher hinüberschob, kam mir Marita und ihr Buch des Lebens in den Sinn. Ich erzählte Petra davon.
Am Freitag war nun die Trauerfeier. Jochens „Kumpels“ standen am Sarg Spalier und Musik, die nicht ganz meinen Geschmack traf, aber durchaus angemessen war, wurde gespielt. Dann ging Petra nach vorne, in den Händen hielt sie ein mit einem Wollfaden zusammengeheftetes Bündel bunter Blätter und dann stand sie da und las aus Jochens Buch des Lebens, das sie in den wenigen Tagen zusammengestellt hatte. Wie sagt man immer? Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Keiner der Anwesenden, selbst der Friedhofswärter der die CD-Anlage bediente, konnte seine Tränen zurückhalten während die Frau ihre Worte an ihren toten Jungen richtete.
Am Ende stand dann Jochens Vater auf, dem man ansah, daß er mehr als fix und fertig war, und gemeinsam legte das Ehepaar das Buch des Lebens auf den Sarg und dann standen sie da, hielten sich an den Händen und nahmen Abschied von 19 Jahren, die auf 26 Blätter passen.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: buch, lebens
Danke jetzt heul ich auch!
Wow, meine Eltern haben meine ersten 18 Jahre mit Fotos festgehalten und mir mit 19 dann übergeben. Das sind ca. 12 Alben. Ich hoffe, dass für mein Buch des Lebens noch ein wenig dazu kommt.
Dazu gleich eine Frage:
Das Grabbeigaben in geringen Maße erlaubt sind, habe ich hier im Blog schon erfahren. Aber wie sieht es mit Schmuck, oder eben 20 Fotoalben aus? Und weiter: wenn nach 20 Jahren ein Gab abläuft und man sich an diese Grabbeigaben erinnert, kann man sie dann (als Angehöriger) wieder haben um sie z.B. einem Enkel zu zeigen, der seinen Opa nicht kennen gelernt hat?
Also ich glaube ja, dass die meisten Photos nach einiger Zeit unter der Erde zu Humus werden. So ähnlich wie Sarg und Leiche.
Die Ausnahme wäre natürlich eine Plastiktüte oder ne Zeitkapsel…
Nachdem mein Erstgeborener vor 12 Jahren mit knapp fünf Lebensjahren gestorben ist, heule ich (männlich) bei solchen Geschichten immer!
Ein solches Buch ist eine sehr gute Möglichkeit der Trauerbewältigung, die im Normalfall ca. 4 Jahre beträgt.
TränenindenAugenhab
Und welcher Idiot hat den Vater übers Handy informiert? Hoffentlich hat der noch am Ort gesehen, was er da für einen Mist gebaut hat.
Ist vielleicht nicht die tollste Moeglichkeit, jemanden zu sagen, dass ein naher Angehoeriger gestorben ist, aber wenn es einer der Freunde des Jungen war, muss man es in der Situation verstehen.
Ich waere ebenfalls total ueberfordert und haette jeden angerufen, der mir in den Sinn gekommen waer….
@ Rosmarin: Tja, und was hat’s gebracht? Wie hat man das früher gemacht, als es noch kein Handy gab? Da ging man noch persönlich hin. Was hätte unterwegs alles passieren können, wenn der Vater kopflos zur Unfallstelle fährt/rast. Wenn ich total überfordert bin, dann lass ich das eben. Blinder Aktionismus schadet da eher.
Nun denn, ändern kann man diese Unsitte heute ohnehin nicht mehr. Seit jeder ein Handy hat, informieren Anwesende an Unfallstellen heute fast ihr gesamtes Telefonbuch. Stell Dir vor, Dich hätte jemand angerufen. Einleuchtend, dass Dich da nichts mehr zuhause hält, weil Du sofort alles wissen willst. Doch wenn Du von nichts weißt, und die Polizei überbringt die Nachricht, dann können die auch gleich die Antworten auf Deine Fragen geben. Dann gefährdest Du auch nicht Dich und andere, wenn Du gedanklich abgelenkt wie in Trance zum Notfallort jagst und weiteres Leid in einer anderen Familie verursachst.
Gänsehaut am frühen Abend.
Bei manchen Geschichten hier wäre mit lieber gewesen, ich hätte sie nicht gelesen… Dies ist eine davon.
Das Kind beerdigen muß so ziemlich das Schlimmste sein, was es gibt.
@6
Wenn der Junge nicht gleich tot gewesen waere, haette der Vater noch sein Kind begleiten koennen. Fuer mich waere das sehr troestlich, wenn ich noch rechtzeitig, _bevor_ mein Kind endgueltig tot ist, da waere.
Abschied nehmen, solange der andere noch lebt.
Noch ein letztes Mal den geliebten Menschen sehen, bevor er tot ist.
Mein aufrichtiges Beleid.
@ anita: Sorry, das ist in der Wirklichkeit unrealistisch, im Film und Fernsehserien jedoch normal. Abschiednehmen am Unfallort solange er noch lebt ist nicht möglich, da der Notarzt mit seiner Crew vollauf beschäftigt ist, und wahrhaftig in der Enge des Rettungswagens weitere Personen im Wege stehen. Kein Notarzt und kein Sani wird sich untätig danebenstellen, und dem Vater sagen: „Er stirbt gleich, nehmen sie Abschied.“ Der Vater würde rufen: „NEIN! So tun sie doch was, stehen sie hier doch nicht so rum!“ Technisches und medizinisches Hilfspersonal kann jetzt alles gebrauchen, nur keine Leute die sie jetzt von der Arbeit abhalten und im Wege sind. Um nachher nicht wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt zu werden, bringt man den Patienten in die Klinik. Eine Mitfahrt im RTW ist hinten drin nicht möglich, evtl. u.U vorn. Dort angekommen darf der Vater auf dem Flur warten, bis z.B. Wiederbelebungsmaßnahmen abgebrochen werden, bzw. der Patient für tot erklärt wird. In Einzelfällen wenn es noch länger dauert, kommt er auf eine Intensivstation. Erst wenn das Personal dort mit allen Maßnahmen und anschliessen… Weiterlesen »
Ich hab nie gesagt, dass er sich am Unfallort verabschieden soll.
Aber umso schneller man die Eltern informiert, umso groeszer ist die Chance, dass sie rechtzeitig bei ihm sind. Wo ist in diesem Fall egal.
Wobei ich auch schon erlebt habe, dass der Notarzt sehr, sehr lange gebraucht hat.
Und nein, ich sehe nicht zuviele derartige Filme – ich besitze keinen Fernseher.
Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass die Rettungskraefte sofort die Angehoerigen informieren.
Wie du schon sagtest, die haben genug zu tun.
Es ging mir in diesem Falle vor allem um Angehoerige-so-schnell-wie-moeglich informieren.
Weil die Krankenhaeuser eben doch nicht gleich, sondern womoeglich erst anrufen, wenn es zu spaet ist.
Ich finde es voellig o.k. , dass der Freund des Jungen den Vater verstaendigt hat.
Der Vater ist sicher nicht zusammengebrochen, weil er da einen Sarg gesehen hat.
Der waere genauso zusammengebrochen, wenn es ihm ein Schnittlauch an der Tuer erzaehlt haette.
@MacKaber: Naja, das mit der sofortigen Benachrichtigung ist wohl ein polarisierendes Thema. Natürlich kann das einen Schock verursachen, oder einen Folgeunfall oder weiß der Geier.
Aber für mich wäre es im Nachhinnein vermutlich auch einfacher meinen Seelenfrieden zu finden, wenn ich wirklich weiß, dass ich es sofort erfahren und alles in meiner Macht stehende getan habe. Objektive Argumente eines Arztes, Sanitäters, Polizisten oder Bestatters würden mich mein Leben lang mit einem „was wäre gewesen wenn…?“ zurück lassen.
Aber ganz klar, rein subjektives Empfinden.
[quote]Der waere genauso zusammengebrochen, wenn es ihm ein Schnittlauch an der Tuer erzaehlt haette.[/quote]
Gerade in solch einem Zusammenhang finde ich die Bezeichnung „außen grün und innen hohl“ nicht angebracht. Das ist einer der Jobs, um die ich die Jungs in Grün (bzw. neuerdings blau) ganz sicher nicht beneide…
Jetzt starte ich mit Tränen in den Augen in den letzten Arbeitstag des Jahres. Trotzdem vielen Dank für diese Geschichte und für die unzähligen wundervollen Geschichten davor!
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen noch mal an alle Eltern und Jugendlichen zu appellieren: Last den Quad-Mist sein! Diese Fahrzeuge kombinieren die Nachteile von Auto und Motorrad.
Damit adressiere ich insbesondere Eltern: Bitte aber nicht alles verbieten! Lasst den Nachwuchs lieber mal auf die Cross-Strecke mit leichten Moppeds fahren. Klar auch mit dem Motorrad kann man stürzen, doch dann trennt sich Fahrer und Maschine viel leichter, unter dem Quad wird man dagegen viel zu leicht begraben.
Meiner Ansicht nach ist das nur ein Notbehelfsfahrzeug für körperlich Behinderte auch mit Bikerfreunden beim Touren mitzufahren, aber absolut nichts für Cross-Aktionen.
Aber wie gesagt, liebe Eltern, nicht alles verbieten, wenn ihr Artikel wie diese lest, sonst hört sich das am Ende so seltsam an, wie die Mutter eines Bekannten, die immer sagte wie gefährlich doch Motorradfahren ist, selber aber immer zum Reiten in den Urlaub fuhr.
Wahre Worte!
Quads sind nichts um sich nen lustigen Nachmittag zu machen. Bis man so ein Gerät sicher beherscht vergeht eine Weile.
Wobei das Wichtigste immernoch die richtige Sicherheitsausrüstung ist, sei es auf der Strecke oder auf der Straße, egal ob man nur 5 Minuten oder 5 Stunden fahren möchte.
Wer weiß… vllt hätte dem Jungen ein „Neck Brace“ geholfen?!
Wie dem auch sei… ich hoffe das er wenigstens in den letzten Minuten eine Menge Spaß hatte.
@18: nicht zu vergessen die Trikes, ich hatte vor kurzer Zeit mal Gelegenheit eines zu fahren. Obwohl ich alle möglichen Fahrzeuge von ganz leicht bis 152t im Leben gefahren habe, war ich nach 2 Km Strecke froh, es unbeschädigt und unverletzt wieder seinem Besitzer zurückgeben zu können. Ich konnte einfach nicht mit dem Fahrzeug „verschmelzen“, hatte ständig Angst herunterzufallen und von den Hinterrädern überrollt zu werden.
Im Gegensatz dazu saß ich mal auf einer Choppermaschine, und hatte vom ersten Augenblick an ein angenehmes Gefühl der sicheren Vereinigung zwischen mir und der Maschine.