Geschichten

Das ölige Haar des Operettenbuffos

Hunger

Ich frühstücke fast nie. Das ist furchtbar ungesund und gemessen an dem, was Mutter, Doktor und Ehefrau über diese meine Angewohnheit sagen, müßte ich schon mindestens 20 Jahre tot sein.
Ich krieg‘ morgens nix runter. Ein Tässchen schwarzer, heißer Kaffee, gerne auch mal zwei oder drei, das ist mein frühes Lebenselexier und Appetit bekomme ich erst immer wenn es auf elf Uhr zugeht.
Ist halt so, war schon immer so, wird sich auch nicht ändern.

Außer…

Ja, außer ich habe abends vorher fulminant gespeist. Meistens esse ich mittags ganz gut und abends nur ausnahmsweise mal noch was Größeres. Abends esse ich lieber so blödes Zeug wie Süßig- und Salzigkeiten…
(Jaja, Mutter, Doktor, Frau…, ich weiß.)

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Aber neulich hatte ich abends drei bis vier Gänge bei Luciano dem Italiener und hinterher noch „Türamisssuuuuh“ (wie das die Frau am Nebentisch nannte) und immer wenn ich abends viel futtere, dann wache ich morgens mit einem Loch im Bauch auf. Es ist so als würde ein inneres Vakuum die Bauchdecke sozusagen nach innen saugen.

Auf dem Weg zu einer Kundin, die gerne zu Hause beraten werden wollte, kam ich an so vielen Bäckereien und Metzgereien vorbei, daß es mir schon fast weh tat, daß ich etwas unter Zeitdruck stand und nicht anhalten und was kaufen konnte. Sogar eine McDonalds-Filiale ließ ich links liegen (man lobe mich ob meiner unbändigen Willenskraft, denn ich hatte sogar Mäcces-Gutscheine im Handschuhfach!).

Neben dem Haus, in dem die Kundin wohnte, fand einen Stellplatz auf einem Parkplatz und als ich aus dem Auto stieg, umwehte mich der Hauch des fetten Orients, eine Dönerbude blies ihre Drehspieß-Abluft direkt durch die Wand auf den Parkplatz. Im Treppenhaus roch es so, wie es anderswo riecht, wenn jemand ganz was Falsches gegessen hatte…, hier wurde nur Kohl gekocht (hoffe ich mal). Eine Etage höher umschwallte mich der fettige Wabber von altem Pommesfett, der durch eine spaltbreit geöffnete Wohnungstür ranzte, ganz offensichtlich wird in diesem Haus sehr intensiv gekocht.

Auch Frau Kuschel empfing mich mit umgebundener Küchenschürze und einem Pfannenwender in der Hand: „Ach, Sie sind schon da? Na ja, wir hatten ja auch zehn Uhr gesagt, dann setzen Sie sich mal ins Wohnzimmer oder noch besser, kommen Sie mit in die Küche, ich muß noch eben was fertigkochen, nachher kommt ja die ganze Familie, die wollen ja alle meinen Mann nochmal sehen, ziehen Sie dem auch seinen guten Anzug an, ach, das ist ja alles so schnell gegangen, aber für ihn ist es eine Erlösung, wissen Sie, der hatte ja alles was Männer so haben können, ist wirklich besser für ihn, Sie wissen ja, daß wir eine Feuerbestattung wollen…“

In der Küche räumte ich zwei, drei Dutzend Heftchenromane auf der Eckbank beiseite, nahm Platz und harrte der Dinge die da kommen. Frau Kuschel nahm vorerst keine weitere Notiz von mir und fuhrwerkte mit wenigstens drei Töpfen und einer Pfanne herum. Dabei produzierte sie eine solche Menge fettigen Dunst und Dampf, daß ich sie zeitweise gar nicht mehr richtig sehen konnte. Ein Dunsthaube über dem Herd saugte das Gedunste nur unzureichend ab und verteilte es dann, infolge einer fehlenden Abluftmöglichkeit, wieder nach oben an die Küchendecke.
Tauschwere Tropfen hingen da an den braunfarbigen plastiküberzogenen Styroporplatten, mit denen man vor Jahren noch jede Zimmerdecke verschandelte.
Langsam begann meine Brille zu beschlagen und als ich sie dann putzen wollte, merkte ich, daß es beinahe pures Fett war, was sich da niedergeschlagen hatte.

„Wollen’se mal probieren, is lecker, is Schwein, koch ich immer in Gänseschmalz und Entenfett, obendrauf noch Speck, lecker!“

Nee, ich wollte lieber nicht probieren, in der Küche lag der schwere Geruch von „fettigem Löffel“, jener Mischung aus ranzigem Pommesfett, leicht verbrannter Panierung und irgendwelchen sauer gewordenen Lebensmitteln. Nein, mein Magen war wie zugeschnürt.

„Schreibense doch schon mal auf, Südfriedhof, Familiengrab Kuschel, Pfarrer Mertens, keine Trauerfeier, wir gehen nachher alle zum Gucken auf den Friedhof, dann ab ins Krematorium, also mein Mann jetzt, nicht wir, dann sagen Sie uns wann die Urnenbeisetzung ist und wir kommen dann an dem Tag alle auf den Friedhof, mit dem Pfarrer. Nehmense den einfachsten Sarg.“

Jau, so kann man natürlich auch alles bestellen.
Ein paar Details gab es noch zu klären, Frau Kuschel kam nur einmal kurz vom Herd zum Tisch, setzte ihre Unterschriften unter die Papiere und etwa 40 Minuten später verließ ich mit operettenbuffoöligem Haar die Wohnung, kämpfte mich durch Pommesduft und Kohlgeruch zum orientbedufteten Auto und war froh, als ich auf der Umgehungsstraße mal die Fenster weit aufmachen konnte.

Für mich nur einen Salat, aber nur mit Essig, bloß kein Öl!

©2010

Bildquellen:

  • buffo: Peter Wilhelm ki

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#fett #Kochen #Öl #Speck

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