Geschichten

Das Schwein -XII-

Dreist, dumm und dazu noch frech ist das was hier bei uns zu der Geschichte mit der Familie Hartmann im Umlauf ist.
Jemand hat es in den Kommentaren „stille Post“ genannt, doch das ist nicht das was hier passiert.
Bei „Stille Post“ geht es ja darum, daß man eine Nachricht mehrfach leise mündlich von Person zu Person weitergibt, bis man nach etlichen Übermittlungen laut Ursprungs- und Endgeschichte zum Besten gibt, um sich darüber zu amüsieren, wie sich das Weitererzählte im Zuge der Übermittlungen ins Groteske verändert hat.

Ich kenne das aus meinem Büro, da reicht es schon, wenn ich Sandy etwas sage und mir dann anhöre, was dabei herausgekommen ist, wenn sie es Frau Büser weitergegeben hat und die einen Aushang daraus gemacht hat.

Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die unter den Tisch fallen, die aber doch einiges ausmachen.
Ein Beispiel aus früheren Zeiten:
In den späten 70er Jahren habe ich auch mal eine richtige kaufmännische Ausbildung gemacht und zwar in einem Schreinereibetrieb, der auch Bestattungen abwickelte. Wer noch die „Firma Hesselbach“ kennt, kann sich ungefähr die Zustände vorstellen, die in diesem antiquierten Betrieb herrschten.

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Dort mussten alle Briefe mit drei Durchschlägen getippt werden, auf einer IBM Kugelkopfschreibmaschine auf der unten das Pfandsiegel eines Gerichtsvollziehers klebte, von dem der Chef behauptete, es sei quasi ein Gütesiegel des Amtsgerichts.

Gut, also es musste alles in dreifacher Ausfertigung geschrieben werden, worüber der Bürovorsteher mit Argusaugen wachte. Fehlte mal ein Durchschlag, so wurde eine Fotokopie erstellt, damit es auch ja drei Exemplare waren.
Irgendwann kam ich dann mal unvermittelt ins Büro der Chefsekretärin und sah, wie sie aus der Unterschriftenmappe von allen Briefen die dritte Kopie entfernte, stapelte und mit einer großen Schere in Schmierzettel verwandelte.
Natürlich erkundigte ich mich, warum sie das tue und bekam zu Antwort, daß sie auch nicht wisse, warum aus dem Hauptbüro immer alles dreifach komme, sie bräuchte es jedenfalls nur zweifach, ein Exemplar zum Fortschicken und eins für die Ablage.
Also fragte ich auch den Bürovorsteher und der sagte mir, das sei eine direkte Anweisung vom Chef und müsse unbedingt befolgt werden, das sei schon seit sechs Jahren so.
Nun gut, also habe ich auch ganz unschuldig den Chef gefragt und der saß minutenlang mit offenem Mund da, dann begann er, ebenfalls minutenlang, den Kopf zu schütteln und sagte: „Vor sechs Jahren war ich in Kur und da habe ich gesagt, daß während meines Kuraufenthaltes alles mit einem Durchschlag mehr geschrieben werden soll, damit meine Frau mir am Wochenende alles zur Durchsicht mitbringen kann. Ich hatte ja keine Ahnung, daß das seit Jahren so gemacht wird.“

Stille Post, also das Fehlereinschleichen in die wiedergegebene Wirklichkeit ist eines, aber das was da um die Hartmanns geschieht, das ist etwas anderes. Das ist das Hinzuerfinden und Ausschmücken durch böswillige Menschen oder solche, die sich dadurch interessant machen wollen, daß sie angeblich mehr wissen als die anderen.
Dabei habe ich den Eindruck, als ob diejenigen, die in Wirklichkeit gar nichts wissen, am Allermeisten zu erzählen haben.

Erstaunlicherweise nimmt die Gemüsefrau dieses Mal eine Sonderstellung ein, die ich ihr gar nicht zugetraut hätte.
Normalerweise ist sie ja diejenige, die den größten Blödsinn im Brustton der Überzeugung als Wahrheit ausgibt und weitertratscht. Aber dieses Mal ist die Birnbaumer-Nüsselschweif eher am Drücker gewesen und das neidet ihr die Gemüsefrau und deshalb bemüht diese sich, in allem was die Birnbaumer erzählt Lüge und Aufschneiderei zu entlarven.
Dadurch redet die Gemüsefrau den Hartmanns das Wort und stellt alle, die denen Übles nachreden, als Lügner hin.

Im Umlauf ist nun diese Version:
Das Ehepaar Hartmann soll ja angeblich eine so genannte Josefsehe führen, bei der der Mann seiner Frau verspricht, sie nicht anzurühren. Das sei deshalb so, weil der Mann ja in Wirklichkeit auf kleine Jungens stehe und seine Frau ein umoperierter Mann sei. Woher dann die gemeinsame Tochter Melanie gekommen sein soll, lassen die Gerüchteköche außen vor. Sie behaupten, daß in den Folterkellern der Hartmanns Orgien gefeiert worden seien, ja sogar schwarze Messen, bei denen reihenweise Kinder jeglichen Geschlechts geschändet worden seien. Das habe der Hartmann immer gefilmt und ins Internet gestellt. Für ein Video sollen sie im Schnitt bis zu 15.000 Euro bekommen haben und Abnehmer seien ja, das wisse man ja sowieso, vor allem katholische Pfarrer und sogar ein Bischof gewesen.
Reihenweise seien auch Prostituierte im Haus der Hartmanns ein und aus gegangen und eine Nachbarin von gegenüber will sogar gesehen haben, daß Frau Hartmann immer mal wieder blutige Fleischabfälle in die Mülltonne geworfen habe.

Alles in allem haben die Hartmanns also sozusagen alle Arten sexueller Vorlieben und Irrungen in sich vereinigt und sind das personifizierte Böse schlechthin.

Daß das Ehepaar in Untersuchungshaft genommen worden ist, beweist ja nur, daß an den ganzen Gerüchten etwas dran sein muss.

Tatsächlich ist es aber so, daß die Hartmanns schon nach einem oder anderthalb Tagen wieder auf freien Fuß gekommen sind. Zwar hatte es dem Richter für die Durchsuchungsanordnungen gereicht, aber er hat nicht einmal Untersuchungshaft angeordnet, dafür war ihm die Beweislage dann doch zu dünn.
Das Ehepaar Hartmann war schlicht und ergreifend festgenommen worden und nach den Hausdurchsuchungen und der vorläufigen Sichtung des teilweise sichergestellten Materials und weiteren Vernehmungen wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Es ist der dauergewellte Lokalreporter Bolte in seiner speckigen, alten Lederjacke, der mich, nach der Gemüsefrau, erneut in Erstaunen versetzt. Ihn bewegen die gleichen Motive wie die Gemüsefrau.
Während die Boulevardpresse gekonnt auf vage Unterstellungen in Frageform setzt, „Kindersex im Folterkeller? Feierte Ehepaar H. schwarze Messen?“, kam er mit seiner Berichterstattung in der Tageszeitung nicht zum Zuge. Das war dem Chefredakteur dann offenbar doch alles zu vage und zu wenig untermauert.
Daher war Bolte auf eine andere Strategie umgeschwenkt und recherchierte nun in die Richtung, daß er belegen wollte, daß die Hartmanns nur das Opfer einer ungeheuren Hetzkampagne geworden waren.

Er steckt also seine Dauerwelle, die nur dünn die ausgeprägte Kahlheit seines Kopfes umfuselt, durch meine Bürotür und fragt, auf den Cognac im Regal schielend: „Lust auf Neuigkeiten?“
Dann berichtet er mir, daß das Ganze so gewesen sei:

Isolde hat mit den SMS auf Melanies Handy tatsächlich den auslösenden Impuls gegeben und man kann auch nicht von der Hand weisen, daß durch die Presseberichterstattung eine gewisse Vorverurteilung der Hartmanns stattgefunden hatte. Das alles führte dazu, dass die Staatsanwältin das Ganze wohl etwas „zu hoch gehängt hat“.
Die Hartmanns hatten das Wochenendhaus vor einigen Jahren von einem Bauunternehmer, der Pleite gegangen war, erstanden und zwar mitsamt dem Partykeller.
Bei diesem handele es sich aber keineswegs um eine Sado-Maso-Bude, sondern um eine schwarz gestrichene Kellerbar mit zahlreichen erotischen Motiven. Der Bauunternehmer habe eine Vorliebe für solche Sachen gehabt und der Keller wimmele von vollbusigen Schaufensterpuppen, halbseidenen Postern und lauter solchen geschmacklosen Dingen wie einer kleinen Mönchsfigur, die ihren Lotterjahn entblösse, wenn man ihr auf den Kopf drücke, einem Aschenbecher in Busenform, Trinkgläsern mit Bildern von leicht bekleideten Frauen, die sich entblössen, wenn man Kaltes einfüllt und lauter solchem Nippes.
Keine Spur gebe es da von Folterwerkzeugen, Dildos und harter Pornographie. Im Gegenteil, es gebe dort nur einen Schmalfilmprojektor aus den 70ern mit einigen Rollen uralter Softpornofilmchen ohne Ton.
Er wisse das alles ganz genau, denn er habe ausführlich mit dem alten Mann gesprochen, der bei dem Wochenendhaus den Garten macht und Zugang zum Keller hat, weil dort im hinteren Raum auch die Gartenwerkzeuge stehen. Soviel der wisse, sei es so, daß die Hartmanns den Partykeller gar nicht benutzen und dort jede Menge Gerümpel abgestellt sei.
Den Bauunternehmer habe er leider nicht mehr befragen können, der sei nach der Einnahme eines potenzsteigernden Mittels schon vor zwei Jahren an einem Herzanfall gestorben.
Jetzt seien die Hartmanns ins Sauerland zu einer Tante gefahren und schämen sich in Grund und Boden. „Bis nach Weihnachten bleiben sie dort. So wie ich das Geschäft kenne, ist bis dahin was Neues passiert und dann kommt mein Artikel in die Zeitung. Dann können sich ein paar andere Leute anfangen zu schämen.“

Mir geht wieder eine alte Geschichte durch den Kopf.
Da hatten wir eine Verstorbene aus einem Mietshaus abgeholt, die schon einige Tage tot in ihrer Wohnung gelegen hatte. Ihr treuer Rauhhaardackel muß die ganze Zeit neben seinem toten Frauchen gewacht haben und hatte damals die Polizei einige Mühe gekostet, das kleine, stramme Kerlchen von seinem Frauchen weg zu bekommen. Er hatte wohl immer wieder an der Hand seines leblosen Frauchens gezerrt, was dort die Haut abgelöst hatte.
Die Tageszeitung schrieb: „Treuer Waldi wachte tagelang bei totem Frauchen“
In der Boulevardzeitung standen nur drei Worte als Überschrift: „Hund fraß Frau!“
Ehrlich so passiert.

Verpufft, verblasst, in Luft aufgelöst…

Ich kann nur hoffen, daß sich auch die Geschichte um das Ehepaar Hartmann so in Luft auflöst.
Meiner Meinung nach ist es das Beste, wenn die im neuen Jahr einfach wieder in ihr Haus ziehen und ganz normal ihrem Alltag nachgehen. Je weniger Aufhebens sie selbst um die Sache machen, umso eher wendet sich die öffentliche Meinung anderen Leuten zu, denen sie was nachsagen kann.

Mir ist aufgefallen, daß auf Melanies Grab ein kleines Herz aus Tannengrün liegt, das von einer einzelnen roten Rose geziert wird. Ich nehme an, es stammt von dem Jungen, der Melanies Herz erobert hatte. Aber ich glaube nicht, daß wir jemals erfahren werden, wer dieser Junge ist.

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