Geschichten

Der Blonde mit dem irren Blick -15-

Am nächsten Tag war Sonntag, mir tat der Kopf weh. Zuviel geraucht, zuviel getrunken, zuviel gefeiert. Geschieht mir recht, dachte ich und trank erst einmal ein Glas Orangensaft.
Dann blickte ich auf die Uhr, es war schon kurz vor Mittag. So lange hatte ich schon eine ganze Weile nicht mehr geschlafen. Kaffee! Jetzt mußte Kaffee her!
Und gerade hatte ich die Maschine mit Wasser und Kaffeemehl bestückt, da klingelte es.

Man rate, wer da vor der Türe stand!

Lizzy und Heiner!

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Heiner winkte gutgelaunt mit einer Brötchentüte in die Kamera über unserer Haustüre und Lizzy schwenkte eine Flasche Sekt.
Normalerweise wäre ja die Allerliebste nicht einmal von den Toten auferstanden, wenn der Heiland persönlich zum letzten Appell gerufen hätte, aber das kleine Vierbuchstabenwort Sekt brachte sie sofort zur Besinnung, trieb sie zu Höchstleistungen im Bad an und wenig später saßen wir zu viert am Küchentisch und ließen den gestrigen Abend Revue passieren.

Das seien alles ganz provinzielle Trottel, schob Lizzy die Schuld am gestrigen Theater völlig auf Frau Oberhammer und Konsorten und jovial boxte sie mich leicht gegen die Schulter und meinte: „Aber dank dir ist das ha alles gut gelaufen. Du hast uns den Abend gerettet.“

„Nein!“ widersprach Heiner, sprang auf und umarmte mich von hinten ziemlich ungelenk: „Der Vadda hat uns den Arsch gerettet! Ohne den hätten wir keine Kohle.“

„Aber…“, ich wollte widersprechen und mal einiges klar stellen, doch ich kam gar nicht dazu, denn Heiner zog einen zusammengerollten Schnellhefter hinten aus seiner Hose und liess ihn knallend auf den Tisch fallen: „Da, guck es Dir an, Vadda, das habe ich heute Nacht noch geschrieben!“

„Und was ist das?“

„Das ist der Ablauf von einem Stück aus mehreren von deinen Geschichten. Ja, jetzt starten wir richtig durch, jetzt beginnt es erst richtig, jetzt fängt es erst richtig an!“

Lizzy stieß zum x-ten Male mit meiner Frau an und hatte schon rosa Wangen. „Ach, was wird das eine tolle Zeit! Wir sind dir ja soooo dankbar! Bald schon können wir mit dem Stück auf Tournee gehen, durch ganz Deutschland und dann, ja dann kommt das Fernsehen. Du hast es uns ermöglicht, endlich berühmt zu werden.“

Ich mußte husten, weil ich mich ob dieser Fehleinschätzung an meiner eigenen Spucke verschluckte hatte.

„Nun mal langsam mit den jungen Enten!“ rief ich. „Kommt mal wieder auf den Teppich herunter! Ihr seid jetzt ein paar Mal mit nur einer Nummer in Altersheimen aufgetreten und jetzt habt ihr einmal einen ganzen Abend gespielt, das war aber im dörflichen Kulturverein, da ist eine Weltkarriere noch weit, weit entfernt.“

„Ich schmeiss trotzdem alles hin und kümmere mich jetzt nur noch um meine Karriere!“ verkündete Heiner und klatschte, um seinen Entschluss zu bekräftigen, mit der flachen Hand auf seinen Oberschenkel.

„Was willst du hinschmeissen?“ fragte ich zurück: „Deinen Job bei mir? Und dann? Willst du deine Familie dann von dem verköstigen, was ihr gestern Abend eingenommen habt? Monatelang? Jahrelang? Was meinst du, wie schwer das sein wird, Engagements zu finden!“

„Ja nee, meinen Job mach‘ ich irgendwie weiter, bis dann die Aufträge für Auftritte mehr geworden sind, ist ja klar, Vadda!“

Ja ja, so ist das, wenn mit einem die Pferde durchgehen.

Die nächsten Wochen verliefen ohne größere Zwischenfälle, die in diesem Zusammenhang hier berichtenswert wären.
Heiner Falk war gut gelaunt und wenn er mich sah, lachte er jedes Mal auf eine sehr gewinnende Weise.
Lizzy Hiller-Miller blieb mir komplett erspart, die mußte sich um ihre alleinstillenden Mütter kümmern.

Die Texte dienen dem Infotainment, einer Mischung aus Information und Unterhaltung. Sie sind satirischer Natur, teils überzeichnet, bewusst verkehrt, überspitzt, beanspruchen künstlerische Freiheit und geben persönliche Meinung wieder. Es wird weder für den Wahrheitsgehalt, noch für sachlich richtige Wiedergabe gehaftet. Ähnlichkeiten mit lebenden, toten oder untoten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Dann an einem Freitagnachmittag kam Heiner mit einer Pappschachtel zu mir ins Büro. „Du, jetzt ist ja Wochenende und bevor wir uns bis Montag nicht mehr sehen, möchte ich Dir ein Geschenk machen. Guck mal!“
Mit diesen Worten überreichte er mir die Schachtel und ich warf neugierig einen Blick hinein.
Tatsächlich hatte er im Maßstab 1:18 einen Lincoln-Bestattungswagen so umgebaut, daß hinten auf der Ladefläche ein kleines Bett mit einem halb zugedeckten Wäschekorb aufgebaut war und sogar die kleinen roten Friedhofslichter, die Frau Ruckdäschl so verwirrt hatten, waren als glimmende Lämpchen nachgebaut. Richtig schön!

„Wollte ich dir schenken, als Dankeschön, dass du uns das alles ermöglicht hast!“ sagte er noch, dann war er mit Tränen in den Augenwinkeln verschwunden.

Na ja, vielleicht hatte ich bis hierher auch ziemlich übertrieben, was meine Auffassung von ihm betraf…
Vielleicht war der ja ganz normal, nein, vielleicht waren die ja ganz normal und bloss ich, der das ganze Künstlerische und Bohemiene nicht kennt, ist altbacken und langweilig.
Wer weiß?
Mir gingen lauter solche Gedanken durch den Kopf, als ich abends dann den kleinen Leichenwagen in die Vitrine oben im Flur stellte. Wirklich schön!

Zweimal traten Lizzy und Hinnerk noch in den darauffolgenden Wochen auf, mit dem kleinen Programm, einmal vor Lizzys alleinverstehenden Müttern, einmal in Hinnerks ehemaliger Schule, nichts Weltbewegendes.

Inzwischen war auch ein sehr schmeichelnder Artikel von Addi Wölkers in der Zeitung erschienen, den mangels eines Fotos von den Künstlern das Plakat als Bild zierte.
Aufstrebende Genies, toller Abend, nie gekannte, einfühlsame Atmosphäre, klasse Darbietung, sehr zu empfehlen…

Auch das trug dazu bei, dass ich meine eigene Position immer mehr in Frage stellte.

Ja, so musste es sein, ich selbst bin zu kauzig und zu weltfremd und die beiden sind viel näher am echten Leben als ich, das musste es sein, dachte ich.

Doch…


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 25. Februar 2014

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10 Jahre zuvor

*aufNägelnherumkauend* und, wie geht es weiter???

comicfreak
10 Jahre zuvor

..ich komm mir vor wie Loriots Mann am Ende des 4-Minuten-Ei-Sketches..

10 Jahre zuvor

Ich habe wohl auch weibliche Gene. Bei „Sekt“ werde ich auch munter…

oscar
Reply to  Sven
10 Jahre zuvor

… mhhh, welche Männer haben eigentlich nicht irgendwelche „weiblichen“ Gene?

10 Jahre zuvor

Doch… ???
Nun hatte ich den Luxus, 15 Teile am Stück zu lesen und nun…
… baumele ich wieder einmal am Cliff.
Lass uns nicht hängen, Peter *röchel*

Die große Blonde mit dem schwarzen Schuh




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