Geschichten

Die Baronin ist tot

Dass der Adel bei uns längst abgeschafft ist, ist eine schon seit langem zeitgemäße, wie auf negativen Erfahrungen beruhende, aber sogleich auch wieder von vielen bedauerte Tatsache.

Zwar bestaubten Leute wie Horst Köhler und Christian Wulff das Amt des Bundespräsidenten auf gar merkwürdige Weise. Doch wenn wir uns an Richard von Weizsäcker erinnern, so waren damals monarchistische Wünsche allenthalben im Volke zu vernehmen. Aber für was benötigten wir einen eigenen König, wir haben ja das Lisbeth. Da sind ja während meiner auch nicht allzu kurzen Lebenszeit schon mehr Päpste verstorben, verstorben worden und zurückgetreten, als es englische Monarchen gab. Elisabeth II. hat die Beatles überdauert, 10 Bundespräsidenten und das Apollo-Programm der NASA.

Wir sind ja von Monarchien oder ähnlich gestalteten Adelsregentschaften nahezu umzingelt. Die Niederlande, Dänemark, Belgien, Luxemburg, Russland mit Zar Putin und Monaco. Wobei die Monegassen ja nicht unsere direkten Nachbarn sind, aber von der BILD und der BUNTEN ja quasi stellvertretend für uns alle adoptiert wurden.

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Aber so ein kleines bißchen Sehnsucht nach den Blaublütigen, gepaart mit einer gehörigen Portion von Sozialneid, steckt vermutlich in jedem von uns.
Wie schön ist es, auf die Hohenzollern zu schielen und wie gut tut es, zu erfahren, dass Prinz Soundso seinen Lebensunterhalt als ganz gewöhnlicher Versicherungsmakler sauer im Schweiße seines Angesichts verdienen muss. Das befriedigt beide Seiten einer monarchiesehnenden Volksseele, die ihren letzten Monarchen mit Schimpf und Schande zu lebenslangem Holzhacken verdammte.

Deshalb sind wir natürlich auch alle etwas ungeübt, wenn es um den Umgang mit Adligen geht.
Oder wüsstest Du jetzt auf Anhieb, ob man mit dem linken oder rechten Knie einen Knicks macht oder ob man, wenn man von einer Königin zum Ritter geschlagen wird, hinterher „Danke“ oder doch besser „Prosit“ sagt?

Eine Frau ist gestorben und wie sich das so gehört und vor allem, damit die alte Dame daheim nicht verrottet, wenden sich die Angehörigen in den frühen Morgenstunden eines längst vergangenen Dienstags an mein Bestattungshaus. Gekommen sind Herr und Frau Baron. Nein, keine Adeligen, sondern sie Hausfrau und er Schutzgasschweißer bei der BASF. Das Baron ist einfach nur ihr Nachname. Diesen teilen sie mit rund 2.500 Namensvettern in ganz Deutschland.
Und das ist auch nicht so ganz ungewöhnlich, denn im ursprünglichen Sinne bedeutet Baron zunächst einmal nichts anderes als zu Deutsch „Herr“ oder „Krieger“.

Also keine Freifrau und kein Freiherr, sondern einfache, normale Leute, die bloß so heißen und ihren Namen auch noch deutlich auf der ersten Silbe betonen.

Die weiteren Gespräche und Abläufe bezüglich des Ablebens der alten Frau Baron sind nicht weiter von Bedeutung. Nur eine kleine Begebenheit entwickelt sich zu einer erzählenswerten Geschichte, die das bisherige Lesen dieses Textes wert ist.

Ich komme zum Friedhofsamt. Dort wacht und herrscht Herr Fichmann über die Geschicke der Lebenden und Toten. Ein griesgrämiger, fauler und zu allem eine abgeneigte Haltung entwickelnder Mann, der in seiner vorherigen Tätigkeit beim Sozialamt schon immer alles abgelehnt hatte. Unter uns, und wohl auch unter seinen Kollegen, wird er allerdings um ein „s“ bereichert, denn ist er nicht dabei, nennt ihn ein jeder nur Fischmann. Das liegt an einer olfaktorischen Verirrung seiner Körperdünste, deren Herkunft mir sehr wohl bewußt ist, deren Ursache aber im Dunkel der Phantasie des Lesers verbleiben muß.

Auf jeden Fall, und um es plakativ zu sagen, er riecht, als habe man soeben eine Dose übergangene Miesmuscheln geöffnet oder eine Flatulenz nach dem Genuss von Surströmming vorgesetzt bekommen.
Diese üble Belästigung der Nasen seiner Mitmenschen versucht Herr Fichmann mit jeder Menge Deodorant zu überdecken. Deshalb riecht es in seiner Gegenwart immer nach parfürmiertem, verwesendem Wal.

Ich möchte bei ihm den Sterbefall der Anna Baron anmelden. Herr Fichmann sitzt gelangweilt hinter seinem Schreibtisch und ignoriert mich. Er ist einer dieser Menschen, die nichts tun können und trotzdem den Eindruck erwecken, als störe man sie bei etwas Wichtigerem. Als ich mich räuspere, wirft er einen müden Blick auf die Sterbefallanzeige und meint nur: „Da brauch ich dann noch irgendwas wegen dem Adel.“

„Wegen des Adels“, sage ich und füge hinzu: „Die Frau ist nicht adelig, sie heißt bloß Baron.“

„Belehren Sie mich nicht. Personen adeligen Standes gibt es in Deutschland nicht mehr, deshalb muß das Führen des Titels als Bestandteil des bürgerlichen Namens immer nachgewiesen werden. Personalausweis?“

„Meinen?“

„Nein, den von der Baronin. Dass Sie nicht adelig sind, weiss ich.“

Hm, das ist ja so eine Sache. Meine Vorfahren stammen ja aus Ostpreußen, von wo sie 1837 ins Ruhrgebiet ausgewandert sind. Und wie in jeder anständigen ostpreußischen Familie gibt es auch bei uns die Legende vom verkauften Adelstitel. Angeblich, so geht diese in tausenden Familien erzählte Geschichte, seien die Vorfahren von adeligem Geblüt gewesen und hätten in schweren Zeiten ihren Adelsbrief für ein lumpiges Stück Brot an irgendwelche andere verkauft.

Das lumpige Stück Brot kann synonym auch für „magere Ziege“, „verdorrtes Stück Land“ oder „vergammelten Karpfen“ stehen.
Und mit dem vergammelten Karpfen sind wir wieder bei Herrn Fichmann. Der hat inzwischen eine BiFi aus der Schublade gezogen, davon einmal abgebissen, und tippt mit dem Reststück auf meine Sterbefallanmeldung: „So lass ich Ihnen das jedenfalls sowieso nicht durchgehen. Adelsnachweis oder die Frau wird unter ihrem bürgerlichen Namen bestattet.

Ich wehre mich: „Die Frau heißt nur so. Niemand erhebt Anspruch darauf, dass sie adelig ist. Das ist keine Baronin, sondern die heißt hinten einfach nur Baron.“

„Da können Sie sich auf den Kopf stellen, ohne irgendeinen Nachweis kommt mir das nicht übern Schreibtisch“, sagt Fichmann, erhebt sich -was mir den Wal wieder in die Nase treibt- und wendet sich irgendwelchen Formularen zu, die in einem Fach seines Aktenschranks liegen. Auf weitere Anspracheversuche meinerseits reagiert er einfach nicht mehr.
Also nehme ich die Unterlagen und verlasse sein Zimmer.

Sein Büro mündet auf einen Gang, an dem sich die Toiletten und der Durchgang zur Küche befinden. Eine Melange aus Klostein, Pisse, Gulaschsuppe und ranzigem Frittierfett liegt schwer über den langsam vorüberhastenden Beamten. Ich atme tief durch: Frische Luft!

Schräg gegenüber ist das Büro von Frau Nimmerrat. Die etwas rundliche Mittfünfzigerin und ich verstehen uns ganz gut. Sie ist die nachgeordnete Sachbearbeiterin, die das erledigen muss, was Fichmann vorne annimmt und abstempelt. Ich klopfe, trete ein und ziehe Kokoni durch.
Kokoni, ich sprach schon oft darüber, ist jene von meinem Vater so benannte Methode des „Komplimente kosten nichts“. Niemals schmierig und aufgesetzt, aber immer das Offensichtliche und Vorhandene aufgreifend, macht man seinem Gegenüber ein Kompliment, und das kann einem Türen, ja Tore zu ganzen Welten, öffnen.
Ich trete ein, bleibe wie angewurzelt stehen, schaue nochmals auf das Namensschild an der Tür: „Frau Nimmerrat? Meine Güte, Sie haben aber tüchtig abgenommen! Jugendlich und schlank, wunderbar!“

Die Angesprochene glotzt mich an, als habe ich ihr soeben eine Torte ins Gesicht geschleudert und in mir steigt die Befürchtung auf, ich könne es mit dem Kokoni dann doch etwas übertrieben haben. Doch dann strahlt ein breites Lächeln über das Gesicht der Sachbearbeiterin, sie steht auf, dreht sich einmal um die eigene Achse, streicht ich wurstpellenartig sitzendes Sommerkleid straff und sagt: „Dass Ihnen das auffällt! Vielen Dank für das Kompliment. Kein anderer hat was gesagt. Da quält man sich wochenlang und hat endlich 2 Kilo runter und dann sieht’s keiner.“

Was soll ich sagen? Drei Minuten später habe ich den Stempel, die Unterlagen sind angenommen, und Frau Baron bekommt sogar ein Grab im südlichen Teil des Friedhofs, auf dem die sogenannten Söhne und Töchter der Stadt, also allesamt mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten, ihre letzte Ruhe finden.


Weitere Verwicklungen um Adelsnamen: https://bestatterweblog.de/der-mit-dem-gepellten-ei-2/
Die Geschichte vom Surströmming: https://dreibeinblog.de/surstromming/

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    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 15. Juni 2018

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    5 Kommentare
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    Edwin
    6 Jahre zuvor

    Feine Sprachkunst, schöne Geschichte, sehr gelacht!

    turtle of doom
    6 Jahre zuvor

    Wunderschön. 😀

    Georg
    6 Jahre zuvor

    Nur toter Adel ist guter Adel,hat man 1919 leider nicht beherzigt……….

    6 Jahre zuvor

    wunderbar geschrieben. Im Fall das interessiert:eine Bekannte von mir hatte andere Bekannte, die ihren Adelstitel in der DDR verkauften, denn: in der DDR sollte es ja nur Arbeiter und Bauern geben, was nicht ging, Intelligenzler gab es natürlich ebenfalls.Was die Ärmsten, die ihren Titel verscherbelten, dafür genau bekamen, keine Ahnung!

    Leo
    6 Jahre zuvor

    >Das liegt an einer olfaktorischen Verirrung seiner Körperdünste, deren Herkunft mir sehr wohl bewußt ist, deren Ursache aber im Dunkel der Phantasie des Lesers verbleiben muß.<

    Ich wünschte, es wäre so..;o)))




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