Mitarbeiter/Firma

Die Couch

In Teilen von Mannis Familie ist das Arbeitslossein an und für sich kein Problem und lang geübte Praxis.
Einer von Mannis Brüdern hat überhaupt noch nie richtig gearbeitet, der ist mal in eine Gipserlehre gegangen und hat dann Rücken und Knie bekommen. Seitdem leidet er fürchterlich unter seinem Schicksal, keine passende Stelle finden zu können, aber er singt dieses Lied in Perfektion: „Entweder bin ich mit Ende Dreißig schon zu alt oder überqualifiziert.“ Fragt man erstaunt zurück, wie einer ohne jegliche ausgiebige Berufserfahrung überqualifiziert sein kann, dann erfährt man, daß Mannis Bruder damit den niedrigen Lohn meint. „Die wollen mir nicht zahlen was ich brauch‘.“

Immerhin lässt er sich ab und zu dazu überreden, mit Manni mitzufahren und uns zu helfen, aber das ist auch schon alles, was ihn von RTL, selbstgestopften Zigaretten und der Bläh-Station wegholen kann.
Manni, ein grundehrlicher und fleißiger Mann, der immer noch zwei Jobs nebenher laufen hat, kann seinen Bruder nicht verstehen und hat keine Achtung vor ihm.
Sogar als bei uns mal eine Stelle frei war, konnte sich der Bruder nicht aufraffen, diese anzunehmen. Nö, ab und zu mal mitfahren, wenn Not am Mann ist und sich die fette Kohle einstecken, die man in solchen Fällen schon mal zahlt, ja das geht, aber auf Dauer, nö.

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Manni verdient nicht schlecht bei uns, aber Manni hat auch jede Menge Schulden. Seine Frau, die mittlerweile davon geläutert ist und ebenfalls bis zum Umfallen arbeitet, hatte einmal einen Faible für diese Shoppingsender entwickelt und allen möglichen Scheiß bestellt und jeden denkbaren Vertrag ausgefüllt. Premiere, Superhandyflat, Internet, Fitness-Studio… überall unterschrieb sie, auch für ihren Schwager und dessen Familie und am Ende hatte man einen Haufen 12- und 24-Monatsverträge an der Backe, die man nicht bedienen konnte. Mannis Schwägerin, also die Frau seines Bruders, die weder das Denken, noch die Arbeit erfunden hat, ist dann auf die glorreiche Idee gekommen, man könne ja bei diversen Online-Versandhäusern irgendwelchen Krempel bestellen und den dann gewinnbringend bei Ebay verticken.
Gut, so läuft kaufmännisches Tun und daran ist normalerweise ja auch nichts auszusetzen. Aber dann muß man die erworbene Ware auch bezahlen, auf den Einkaufspreis etwas aufschlagen und am höheren Verkaufspreis etwas verdienen.
Die haben das aber natürlich anders gemacht. Die bestellte Ware wurde gar nicht bezahlt und verkauft hat man sie so günstig, daß man mit jedem Verkauf eigentlich einen ordentlichen Verlust eingefahren hatte. Egal, Hauptsache die Auktionsgewinner überwiesen schnell und es kam Kohle rein, um die anderen Verträge bezahlen zu können.
Man schloss auch jede Menge Abos ab, warb sich gegenseitig für Buchclubs und heimste auf diese Weise eine ganze Reihe von Aboprämien ein, die man auch wieder im Internet versteigerte.
Daß diese Abos und die bestellten Waren irgendwann man bezahlt werden müssen, das verdrängte man. Doch das dicke Ende kam und das dicke Ende klopfte dann jeden Donnerstag und warf hässliche Briefe in den Briefkasten.
Die ganze Mischpoke konnte von Glück sagen, daß sie niemand anzeigte. So blieb aber ein großer Berg Schulden und Mannis Bruder lehnte sich zurück und wusch seine Füße in Unwissenheit, die Verträge liefen ja fast alle auf Mannis Frau.

Manni hatte von alledem nichts gewußt, zahlt aber heute -Jahre später- immer noch freiwillig für seine Frau ab.
Neulich haben wir uns mal zusammengesetzt und die ganzen Schreiben von großen Anwaltskanzleien und Inkassobüros durchgeschaut. Manni ist ja in der glücklichen Situation, daß man ihn nicht belangen kann, weil er nichts unterschrieben hat. Seiner Frau bleibt von ihrem Lohn immer nur der Freibetrag, der Rest wird gepfändet.
Zwar könnte man nun meinen, es sei ja alles in Butter, denn wenn Mannis Frau regelmäßig etwas vom Schuldenberg abträgt, müsse der ja kleiner werden. Wird er aber nicht.
Einmal ist das alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein und während hier 200 Euro abgetragen werden, kommen bei den anderen Inkassofirmen schon wieder 210 Euro Gebühren und Zinsen hinzu.
Solange Mannis Frau aber etwas zurückbezahlt, halten die meisten Firmen ihre Füße still.
Deshalb habe ich Manni geraten, den ganzen Gläubigern im Namen seiner Frau nach und nach einen Brief zu schreiben und mitzuteilen, daß sie ganz sicher bald arbeitslos würde und nun lieber den Restbetrag in einer Summe bezahlen möchte. Dann bietet Manni als Vorschlag für einen Vergleich ein Drittel der Summe an.
Und siehe da, die meisten Firmen verhandeln gar nicht lange, sie schlagen noch irgendeinen Betrag auf Mannis Vorschlag drauf, um nicht das Gesicht zu verlieren, und setzen dann eine Frist, bis wann das Geld bei ihnen sein muß. Danach ist zumindest dieser Fall komplett erledigt.
Ich leihe Manni das Geld und Frau Büser verrechnet es mit seinem Lohn. So zahlt er unterm Strich genau so viel wie er vorher jeden Monat gezahlt hat, aber mit jeder Zahlung ist wieder eine Gläubigerakte zu.

Nebenher ist er jetzt stundenweise Hausmeister in seinem Wohnblock und arbeitet samstags (Dittsche-Fans bitte nicht lachen, das ist wahr) im Baumarkt an der Säge.

Ich erzähle das einfach alles nur mal so, weil ich mich immer darüber ärgere, daß Manni und seine Frau das alles alleine ausbaden müssen. Warum steht die Dumpfbacke von einem Bruder nicht im Baumarkt an der Säge? Aber nein, der hat ja Rücken und Knie und geht samstags immer Getränke holen.

Nun ist des Bruders Frau Onkel verstorben. Ganz genau gesagt ist es der Mann von der Schwester der Mutter von der Frau, die mit Mannis Bruder verheiratet ist.
Onkel Theo hieß der und hatte sein Raucherbein über 25 Jahre scheibchenweise abgenommen bekommen. Gestorben ist er aber nicht am Bein, sondern an einer Lungenentzündung, die er sich nach einem Bruch des Hüftgelenks im Krankenhaus zugezogen hatte.

Manni erschien in meinem Büro, um alles zu besprechen und ich versprach ihm, seinem Bruder einen guten Preis zu machen. Andere Verwandte hatte der tote Onkel nicht und Mannis Schwägerin fühlte sich verpflichtet, den Onkel unter die Erde zu bringen. Wie auch immer…
Nachmittags kam dann die ganze Mischpoke rund ums Mannis Bruder und ich hätte mich ja nun hinsetzen können und denen erklären können, wie sich das alles mit Bestattungspflicht und Kostenübernahmepflicht verhält. Ich hätte ihnen ja auch etwas vom Sozialamt erzählen können…, hätte ich.
Habe ich auch, aber aus irgendeinem Grund haben die meine Ausführungen nicht verstanden und sind vermutlich über die Aneinanderreihung von Paragraphen und das Wort „Solidaritätsprinzip“ gestolpert.

„Nee, das wollen wir alles nicht, wir wollen billich!“

Das haben sie dann auch bekommen und am Ende hatte ich für eine einfache Urnenbestattung 1.200 Euro auf dem Zettel. Mit dem Bezahlen, das sei so eine Sache, meinte Mannis Bruder und fragte dann nach der Möglichkeit zur Ratenzahlung.

„Nö“, sagte ich, wenngleich wir das für gewöhnlich unseren Kunden anbieten, wenn es für die Bezahlung nicht reicht. „Aber wie sieht’s denn damit aus: Sie können das hier abarbeiten.“

„Abarbeiten? Arbeiten? Ich hab doch 50 Prozent!“

„Ach, so schwer ist das hier bei uns nicht, da können Sie sich immer mal wieder hinsetzen.“

„Och nee, das liegt mir nicht so.“

„Kein Geld, keine Beerdigung.“

„Wie jetzt? Sie machen das dann nich‘?“

„Nö.“

„Aber der Manni arbeitet doch bei Ihnen.“

„Ja und? Die Tochter eines Cousins arbeitet bei ALDI, meinen Sie, ich bekomme da jetzt alles umsonst?“

„Nee, also jetzt wirklich nicht, oder?“

„Doch, Sie können das abarbeiten oder gleich im Voraus bezahlen.“

„Und wenn ich mal nich‘ kann, ich mein, ich hab doch Rücken?“

„Sie können!“

„Und wenn mal nich‘?“

„Dann schicke ich Ihnen den Manni auf den Hals.“

„Nee, bloß das nich‘, der tritt mir dann wieder so lange in den Arsch, bis ich aus’m Bett fall‘.“

„Also, wie sieht’s aus?“

„Und wie lange müsste ich da arbeiten?“

„Hundertzwanzig Stunden.“

„Was? Das sind ja, warten’se mal, das muss ich erst ausrechnen. Moment ich rechne ma‘ mit’m Handy… Mensch, das sind ja nur 10 Euro die Stunde. Finden’se nich‘, dass das ein bißchen wenich is‘?“

„Gut, dann gebe ich Ihnen neun Euro fünfzig.“

„Das ist ja noch weniger!“

„Neun Euro.“

„Halt, Stop! So läuft das hier! Das wird ja immer weniger! Nee, sagen’se nix, ich mach’s ja! Also gut, für zehn Euro.“

„Neun!“

„Mann, Sie sind aber ein harter Knochen. Also, einverstanden, neun Euro.“

„Und wenn Sie einmal nicht erscheinen, schick ich Ihnen den Manni.“

„Ich komm garantiert, bloß nicht den Manni schicken.“

Er schlägt ein und ist ganz niedergeschlagen; vermutlich sieht er sich vor seinem geistigen Auge schon in der ungewohnten Lebenssituation der Arbeit.

Manni strahlt, als er von dem „Deal“ hört: „Den trete ich schon in den Arsch. Au Mann, was freue ich mich, wenn ich den abholen und mit zur Arbeit bringen kann.“

Was soll man sagen, nur ein einziges Mal hat Mannis Bruder seinen Arbeitseinsatz nicht angetreten und ist dafür auch noch nicht einmal verhauen oder getreten worden. Er war wirklich krank, hatte starken Durchfall, so etwas kann ja wirklich jedem mal passieren. Ansonsten ist er, manchmal zwar maulend, aber regelmäßig erschienen und hat unter Mannis Leitung auch zufriedenstellend gearbeitet.
In erster Linie habe ich ihn „Särge kloppen“ lassen, also Särge ausstatten und mit Innenbespannung versehen lassen. Griffe dranschrauben, Füße montieren und alles das. Er hat es ganz ordentlich gemacht.
Aber Mannis Bruder ist einer von denen, denen keine Arbeit richtig Freude machen kann, weil sie nur den Feierabend und ihr Bierchen im Kopf haben. Die Arbeit ist nicht etwas, was einen ausfüllen und einem Freude machen kann, sondern etwas, was einen jeden Tag mit Qual erfüllt und von den wesentlich wichtigeren Dingen des Lebens, wie Blähstation und SKY-Decoder, abhält.

Herr Jenssen, der Werksleiter eines unserer Sarglieferanten, hätte Mannis Bruder übernommen, in Vollzeit…
Muß ich es sagen?
Mannis Bruder hat dankend abgelehnt. Als seine Schulden bei uns abgearbeitet waren, legte er sich wieder auf die Couch.
Dem ist nicht zu helfen.

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