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Einladung

Herr Reinle war wieder mal da. Herr Reinle hat durch uns vor immerhin schon zwei Jahren seine Frau beerdigen lassen. Ihm schien es so, als sei er sehr bekannt und wollte nicht, daß viele Leute zur Beerdigung bzw. Trauerfeier kommen. Ich kann nicht beurteilen, ob da wirklich so viele gekommen wären, bezweifle es aber insgeheim ein wenig. Wir haben ganz nach seinem Wunsch eine sehr feine und stille Abschiednahme organisiert. Ohne viel Bromborium wurde seine Frau in einem schlichten Sarg eingeäschert und als 7 Tage später die Urne zur Verfügung stand, haben wir diese bei uns im Trauerraum aufgebahrt. Daneben stand ein Foto der Verstorbenen, alles umrahmt von Blumenschmuck. Als musikalische Untermalung hatte er sich gregorianische Choräle gewünscht, ein leicht zu erfüllender Wunsch.
Weihrauch wollte er haben, auch das konnten wir bewerkstelligen wie auch die vielen Kerzen, die Herr Reinle wünschte.

Am Tag der Trauerfeier kam er dann einzig in Begleitung seiner Heilpraktikerin, zu der er ein inniges Vertrauensverhältnis zu haben scheint.

Alles verlief ganz nach Wunsch des Kunden und er zeigte sich hochzufrieden. Im Nachhinein hat er dann noch Sterbebildchen „für alle die meine Frau kannten“ bestellt. Das waren aber nur 20 Stück, was meine Vermutung, daß in Wirklichkeit gar nicht viele Leute zur Trauerfeier gekommen wären, nur stärkte. Die Abholung der Sterbebildchen verband Herr Reinle mit der persönlichen Bitte, meine Frau und mich zum Essen einladen zu dürfen. Er betrachte das als besonderes Dankeschön für die geleistete Arbeit, die ganz nach seinem Wunsch vonstatten gegangen und darüberhinaus auch noch sehr günstig gewesen sei.

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Normalerweise nehme ich solche Einladungen nicht an, wie ich auch nur höchst selten an Beerdigungskaffees und -mittagessen teilnehme, obwohl ich dazu sehr häufig geladen werde. Etwas Distanz schadet nicht und meiner Figur tut’s gut (sagt meine Frau).
Aber das Lokal, das Herr Reinle vorschlug, ließ mich dann doch zustimmen. DEN Italiener konnte ich mir bis dahin nämlich nicht leisten.

Kurzum: Das Essen war phantastisch und der Service sowie das Ambiente einzigartig, ganz anders als bei Tonio, wo wir sonst manchmal hingehen. Wir bedankten uns ganz artig für diese großzügige Einladung, aber Herr Reinle sagte: „Das war doch nur zum Aufwärmen. Der Bruder des Wirtes hat auch ein Lokal und die beiden stehen in Konkurrenz. In dem anderen Lokal kann man noch viel besser essen, dorthin müssen Sie mich auch mal begleiten!“

Das Gerede eines alten Mannes, dem stimmt man einfach schon aus Höflichkeit zu, wissend, daß da sowieso nichts draus wird.

Diese Einstellung bedurfte aber eines Überdenkens, als Herr Reinle dann ein gutes halbes Jahr später wieder vorbeikam und nun seine erneute Einladung bekräftigte. Widerspruch zwecklos, versprochen sei versprochen. Wir haben uns erneut darauf eingelassen, zu gut war das erste Essen gewesen und wir sollten auch nicht enttäuscht werden.

Allerdings nahm die Angelegenheit eine unerwartete Wendung, denn bei der Einnahme des herrlichen Desserts eröffnete uns Herr Reinle, daß er nunmehr fest davon überzeugt sei, daß auch wir ihn zum Essen einladen würden, selbstverständlich selbstgekocht bei uns zu Hause…

Meine Frau und ich haben hin und her überlegt und dann versucht, Herrn Reinle ABSCHLIESSEND in ein Restaurant unserer Wahl einzuladen. Aber man kennt das ja, alte Menschen können sehr bestimmt sein und mit einem: „Papperlapapp, da treiben wir doch keinen Aufwand, das machen wir ganz gemütlich!“ schob Reinle das weit von sich.

Okay, vielleicht habe ich ein zu weiches Herz, vor allem weil bis jetzt jeder Termin immer als Höhepunkt hatte, daß Her Reinle ein Bild seiner Frau herausholte und ein bißchen weinte. So konnte es natürlich auf Dauer nicht weitergehen, irgendwann musste der Mann den Absprung von uns schaffen. Also luden wir ihn dann doch zu uns ein, wir kochten was Leckeres und beim abschließenden Kaffee habe ich ihm dann erklärt, daß wir uns ganz arg doll über seine offensichtliche Zuneigung freuen, aber daß er nun versuchen müsse, etwas Abstand von uns zu gewinnen.

Selbstverständlich habe er dafür Verständnis und man sei ja jetzt auch quitt. Nur wenn er noch etwas Geschäftliches habe, wolle er bei Bedarf noch mal ins Geschäft kommen.

Prima, das hat ja funktioniert!

Schon zwei Tage später war er da. Zehn Totenbilder von seiner Frau wollte er nachbestellen. Teuer, weil Einzelanfertigung.
Eine Woche später: Das gleiche Spiel…
Jedes Mal fragte er nach mir aber irgendwann fing ich an, mich verleugnen zu lassen. Bei aller Freundlichkeit, der Mann fing langsam an, zu nerven.

Aber das Spiel ging weiter: In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen kam Herr Reinle, bestellte mal ein paar Sterbebildchen, dann noch ein paar Abzüge von den Fotos die wir bei der kleinen Trauerfeier gemacht hatten usw.

Irgendwann wurde mir das zu bunt und ich habe ihn ganz konkret darauf angesprochen. Seine Antwort überraschte mich dann doch!
Die Heilpraktikerin, mit der er befreundet ist und die ihn auch zur Trauerfeier begleitet hatte, hatte ihm eingeredet, er müsse eine Art Frohndienst an uns leisten. Nur so könne man die Schwingungen besänftigen, die der Tod seiner Frau mit sich gebracht habe.
So lange er uns in gute Stimmung versetze, könne der Geist seiner Frau in Ruhe „übergehen“.

Nun denn, offenbar hat das Gespräch geholfen, jedenfalls verlängerten sich die Intervalle seiner Besuche auf halbjährliche Abstände, und damit können wir leben.

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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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Uschi
16 Jahre zuvor

darf ja wohl nicht wahr sein…hat diese Heilpraktikerin den armen Mann denn nur "ausgenommen"? wenn ja, dann gehört mal n ernstes wort mit ihr gesprochen…die Gefühle von Trauernden ausnutzen ist echt das Letzte….wie gesagt, WENN sie darauf aus war…

um info wird gebeten 🙂

sagichnicht
16 Jahre zuvor

Ich glaub' der Begriff "Heilpraktiker" ist nicht geschützt. Wenn ich so was lese, wäre es höchste Zeit.

Ob die mit Pendeln, Ruten etc. vorab euer Institut "ausgemessen" hat???

kizumu
16 Jahre zuvor

Find ich wirklich unfein von der Heilpraktikerin. WIe kann man denn grade verwitweten Leuten erzählen, ihre Ehepartner(oder was immer) könnten nicht in Frieden ruhen? Als wärs nicht schlimm genug, dass jemand stirbt.

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Es kommt in unseren Bereichen immer wieder vor, dass sich Leute an ihren Helfer erneut wenden, und ist dieser nicht aufmerksam genug, hat er sich ruckzuck einen Freund eingefangen.

Ein Freund wäre ja nicht schlimm, im Gegenteil. Jedoch benötigt dieser Freund viel Zuwendung, Hilfestellung und Trost.

Doch der am Helfersyndrom erkrankte bringt es einfach nicht übers Herz jemanden wegzuschicken und sammelt sich privat Freunde ein, an denen er dann zerbricht. Ich würde empfehlen, wenn schon Hilfestellung, dann bei der Suche nach der richtigen, zuständigen professionellen (Beratungs)stelle).

16 Jahre zuvor

Und genau solche Geschichten sind es, die mich Heilpraktikern gegenüber so misstrauisch machen. Weil diese Zunft sich gegen jede vernünftige Kontrollen sperrt, können Scharlatane wie diese Frau ihr Unwesen treiben. Wobei dieser Fall noch harmlos ist.

Tom
16 Jahre zuvor

Blöde Frage, aber was sind "Sterbebildchen"?

16 Jahre zuvor

@Tom: Die Sterbebildchen habe ich auch erst im August diesen Jahres bei der Beerdigung der Oma meines Freundes kennen gelernt. Das sind kleine Kärtchen zum Aufklappen mit einem Foto des Verstorbenen auf eine der Innenseiten und den Geburts-und Sterbedaten. Vorne drauf ist ein schönes (und trauriges) Bildchen und entweder innen oder auf der Rückseite findet man noch einen Trauerspruch. In unserem Falle war es "Du gehst nicht von, sondern vor uns".

Und was diese Heilpraktikerin angeht – komische Frau, die man sich mal genauer anschauen sollte.

Thomas
16 Jahre zuvor

Mal interessehalber: Was kosten denn Sterbebilder in Minimalauflage? Ich habe ja schonmal von 50 Stück á 4,50 Euro geschrieben…

Nachholer
16 Jahre zuvor

Ich sage nur: ganzheitliche Zahnheilkunde. ;-D

müsli
16 Jahre zuvor

Das ist wohl wie bei den Bestattern…. ein einzelner (die Heilpraktikerin) kann viele sehr gute Heilpraktiker in verruf bringen. schade….

Icke
16 Jahre zuvor

Allerdings hat die Heilpraktikerin ja nicht gesagt, das sie teure Sachen bekommen, sondern wer anders Geld daran verdient. Kann also sein, das sie es wirklich glaubt…

Glenn
16 Jahre zuvor

Ich würde den Typen gnadenlos ausnehmen. Wieso bietest Du dem Typen nicht an man könne sich mal ein paar Sterne-Restaurents in Deutschland gemeinsam anschauen. Er bezahlt und bekommt dafür ein gutes Gewissen.

undertaker
16 Jahre zuvor

@Thomas: Wenn es eine größere Auflage ist, geben wir den Auftrag an eine örtliche Druckerei. Da bewegen sich die Kosten u.U. im Cent-Bereich. Mittlere Auflagen (bis 500 Stück) erledigen wir selbst oder geben sie an ein Digitaldruckunternehmen. Da kostet es dann je nachdem ob es s/w oder Farbe ist auch je nach Auflage zwischen 80 Cent und 2 Euro.

Die Preise können stark schwanken, wegen der Vielzahl der Ausführungen. Am teuersten sind die, die der hier in Rede stehende Kunde bestellt hatte. Doppelseitige Sterbebildchen aus geprägtem fabrigen Karton mit einer eingeklebten Klarsichttasche mit einem herausnehmbaren Paßbild in Farbe. Die kosten bei größerer Stückzahl schon knapp 3 Euro pro Stück, wenn wir aber bloß 10 Stück machen müssen, kommt das fast an 5 Euro heran. Da hat man mehr Ausschuß, als Abgabeware.

Rinnan
16 Jahre zuvor

Also ich persönlich bin ja auch ein…nennen wir es spiritueller Mensch, aber unter uns Spirituellen gibts leider eben auch noch diese esoterisch abgehobenen, die solchen Unsinn gerne an hilfesuchende Leute verbreiten. Wenn jetzt schon Heilpraktiker, die ja eigentlich auf natürlich medizinische Weise arbeiten auch noch mit solchen Spinnereien anfangen, dann wundert es mich nicht mehr, das "wir" so einen schlechten Ruf haben.

16 Jahre zuvor

Die Heilpraktikerin gehört in der Tat zu den Menschen, die alternative Heilweisen und spirituelle Arbeit in Verruf bringen. Ich bin Reikilehrerin, vermittele esofreies Reiki ohne "Walle-Walle" und bin immer wieder erschreckt, mit was für abstrusen Informationen Neulinge bei mir auflaufen. Mannmann. "Fronarbeit". Ich krieg die Krise.

gruftigirl
16 Jahre zuvor

Ich selbst habe auch nur sehr gute Erfahrungen mit Heilpraktikern gemacht. Auf meine Intuition konnte ich mich bisher immer sehr gut verlassen, und ich "spüre" eigentlich immer sofort, ob ein Mensch mir guttut oder nicht. Aber gerade im Esoterikbereich tummeln sich viele abgehobenen Persönlichkeiten, da kann man als Hilfsbedürftiger leicht an die Falschen geraten. Wenn das Ganze noch mit viel Geld verbunden ist, dann gute Nacht!

Rinnan
16 Jahre zuvor

deswegen trenne ich persönlich "Esoterik" und "Spiritualität" sehr stark und kann ziemlich penibel reagieren, wenn jemand mich esoterisch nennt *G*

Kathi
16 Jahre zuvor

Ich dachte schon ihr habt da einen waschechten Stalker am Hals ;o)

Kathrin
16 Jahre zuvor

Sowas in der Art kenne ich. Ein ehemaliger Patient von meiner Station im Krankenhaus ruft jetzt, 3 Jahre nach der Genesung und Entlassung, immer noch regelmäßig (so einmal im Monat) an, und fragt nach einzelnen Kollegen. Da die Gespräche mit ihm zeitlich immer sehr ausarten, lassen sich die gefragten Kollegen inzwischen immer verleugnen.

Irgendwie schade, da er blind ist, und vermutlich nicht viele Kontakte hat, aber wir sind nunmal Krankenschwestern und keine Freunde von ihm.

undertaker
16 Jahre zuvor

@Kathrin: Und außerdem darf man nicht vergessen, wie bedeutsam für Einzelne eine Bestattung oder auch ein Krankenhausaufenthalt sind. Das könnten u.U. die größten Begebenheiten in ihrem Leben gewesen sein oder zumindest mal Ereignisse, die sie in besonderem Maße beschäftigen. Da liegt es nahe, daß manche die Erinnerungen daran durch gelegentliche Kontakte zu den Ausführenden aufrechterhalten möchten.




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