Menschen

Erst starb Bertha, dann die alte kranke Frau

Herr Kabelke sitzt in seiner Küche auf der Eckbank und zündet sich eine von meinen Zigaretten an: „Ich rauche ja schon 16 Jahre lang nicht mehr, aber jetzt brauch‘ ich ma‘ eine.“

Seine Frau Bertha ist vor zwei Stunden gestorben, sie wurde schon sechs Monate lange gepflegt, war zuletzt nur noch ein Schatten ihrer selbst oder wie Herr Kabelke es ausdrückt: „Die war ja zu einem Wrack geworden, nur noch ein menschliches Wrack, Haut, Knochen, Urin und Sabber, das war doch kein Leben mehr. Meine Frau die ist doch schon vor Monaten gestorben, da als die im Krankenhaus gesagt haben, die könnten nichts mehr für sie tun. Seitdem hat sie nur noch aus blinden Augen an die Decke geguckt.

Ich will Ihnen mal was sagen,…

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…die Leute, auch die Weiber vom Pflegedienst, die haben mir immer wieder gesagt, daß meine Frau jetzt meine Liebe ganz besonders braucht. Ja was denken die denn? Daß ich jetzt auf einmal meine Frau nicht mehr liebe?
Aber das da, das ist doch nicht meine Frau!“

Er weint, legt das Gesicht in die Hände, die glimmende Zigarette noch zwischen Zeigefinger und Mittelfinger, schnieft, es schüttelt ihn, dann blickt er mich mit tränennassen Augen an, zieht einmal an der Zigarette und sagt mit dickem Tränenbelag auf der Stimme: „Da, gucken Sie mal nach da drüben! Sehen Sie das Bild da an der Wand? Das ist meine Bertha, das da! Aber da nebenan, das ist Krankheit, das ist der Krebs, das ist nichts als verrottendes Menschenfleisch…“

Wieder schütteln ihn die Tränen in die gestammelte Sprachlosigkeit, nur schluckende, schluchzende Laute kommen aus seinem Mund, er verbirgt wieder sein Gesicht in den Händen, minutenlang; es kommt mir ewig vor.

Von nebenan kommt Schwester Susanne, eine Mitarbeiterin des Pflegedienstes „Sonnentau“, sie reicht mir die Papiere vom Hausarzt und setzt sich neben Herrn Kabelke. „Ach kommen Sie, legen Sie Ihren Kopf mal an meine Schulter und heulen Sie sich richtig aus!“ fordert sie ihn mit sanfter Stimme auf und erst wehrt er sich ein bißchen, Männer wollen nie zugeben, daß ihnen so etwas gut tut, dann macht er es aber doch und sie streichelt ihm behutsam über den Kopf, während er ihr den hellgrünen Kittel vollheult.

Mit der anderen Hand nimmt Schwester Susanne die fast vergangene Zigarette und kann nicht umhin, mir einen politisch-korrekten vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen und drückt die Kippe in der kleinen leeren Cremedose aus, die Herr Kabelke als Aschenbecher genommen hatte.

So sitzen wir da einige Minuten und ganz unvermittelt hört der alte Mann auf zu schluchzen und hebt den Kopf. Aus roten Augen schaut er mich an und sagt: „Aber jetzt ist sie ja tot!“

Schwester Susanne und ich schauen uns an und blicken dann auf Herrn Kabelke. Der nickt heftig, um seine eigenen Worte zu bestätigen und meint dann: „Das ist es doch! Diese alte, kranke Frau, die kommt doch jetzt weg und dann feiern wir ganz schön Abschied von Bertha. Der Sarg bleibt zu, da müssen Sie gar nichts mehr großartig machen. Die kann so im Nachthemd bleiben, einfach die Bettdecke von hier mitnehmen, und das Kissen, dann den Deckel zu.

Aber bei der Beerdigung, da stellen wir das Bild, das da drüben hängt, vorne vor den Sarg. Die Leute sollen sich von meiner Bertha verabschieden, von der Bertha mit der ich 61 Jahre lang verheiratet war. So machen wir das!“

Ich nicke und bestätige: „So machen wir das.“

Manni und sein Kollege kommen an die Tür, Manni hüstelt kurz, Schwester Susanne versteht und sagt zum alten Kabelke: „Herr Kabelke, Sie müßten sich dann jetzt von Ihrer Frau verabschieden.“

„Nix muß ich.“

Ich muß Manni nur anschauen und er weiß Bescheid, er und der andere Mann machen die Küchentür zu und wenig später erkenne ich am kurzen streifenden Geräusch von Kleidung an der Küchentür, daß die Männer die Trage mit der Verstorbenen hinaustragen.

Schwester Susanne hat aus dem Medikamentenschrank den abendlichen Cocktail für Herrn Kabelke zusammengestellt und während der sich etwas lärmend Wasser holt, sagt sie zu mir: „Ich habe ihm noch etwas mehr von dem gegeben was ihn gut schlafen lassen wird.“

„Können wir ihn alleine lassen?“

Sie nickt.

Das ist immer ein Problem für mich, ich bringe es nicht fertig, die Leute alleine zu lassen. In den meisten Fällen ist ja irgendjemand da, eine Tochter, ein Sohn, Bekannte oder Verwandte, notfalls Nachbarn. Aber hier gibt es niemanden und das ist auch ganz oft so.
Dann ist der Bestatter der Einzige mit dem der Witwer oder die Witwe noch sprechen können und wenn dann der ganz bittere Moment kommt, in dem der Sarg oder die Trage das Haus verlässt, dann bleiben diese Leute allein mit dem Bestatter zurück.
Oder umgekehrt…

Ich weiß nicht, wie es mir in einer solchen Situation gehen würde. Wäre ich lieber so schnell wie möglich alleine? Hätte ich lieber, daß sich jemand um mich kümmert?
Ich weiß es nicht.

Ich finde aber, daß es nichts schaden kann, wenn man nicht alleine bleibt. Wie oft habe ich schon den Fall gehabt, daß die Witwe gesagt hat: „Jetzt wo mein Karl nicht mehr da ist, will ich auch nicht mehr leben.“
Und noch schlimmer ist das bei Männern, da habe ich solche Sachen viel häufiger und viel direkter gehört: „Wenn Sie weg sind, jage ich mir eine Kugel durch den Kopf.“

Glücklicherweise ist das fast immer nur in der ersten Trauer schnell mal so dahin gesagt, aber es macht mir dann doch zu schaffen und ich habe bei allen Sterbefällen, in denen es so ist, daß jemand dann ganz allein zu Hause bleibt, Angst vor dem Moment in dem ich gehen muß.

Schwester Susanne ist noch bei Herrn Kabelke geblieben; an diesem Abend noch die Bestattung zu besprechen wäre einfach zuviel für ihn gewesen, obwohl er das am Telefon eigentlich so verlangt hatte.

Am nächsten Tag ist er dann zu uns gekommen, in einem zwanzig Jahre alten Opel, der aussah, als komme er direkt aus der Fabrik. Weiße Nelken, mindestens 200 Stück, der ganze Deckel muß dick bedeckt sein, keine Orgel aber Geige, der Pfarrer von Sankt Anna, den mochte seine Frau so, weil der so eine sanfte Stimme hat und keine Erde ins Grab schmeißen, nur Blümchen…

Am Beerdigungstag sind dann doch an die zwanzig Personen da und dennoch sitzt Herr Kabelke ganz alleine in der ersten Reihe. Frau Büser, die das Kondolenzbuch betreut, und Manni setzen sich zu ihm, er scheint das aber gar nicht wahrzunehmen.

Vorne vor dem Sarg steht das Bild von Bertha. Wir haben es eingescannt und größer ausgedruckt und aufgezogen.
Davor ein paar kleine Kerzen.

Jemand spielt von der Empore so jämmerlich Geige, daß es einem in den Ohren schmerzt.

Etwas zu spät kommt Schwester Susanne, setzt sich auch zu Herrn Kabelke in die erste Reihe und dreht sich dann mal kurz wegen der Katzendarmmusik nach hinten um.

Der Pfarrer spricht sehr schön, man merkt ihm an, daß er Frau Kabelke gar nicht kannte, aber dafür macht er das sehr gut.

Am Grab geht alles ganz schnell und wieder ist dann der Moment da, in dem einer ganz alleine da steht…

Die Trauergäste waren Leute aus der Nachbarschaft, sie haben alle brav Beileid gewünscht und sind gegangen.
Zurück bleiben eine Pflegeschwester in Zeitnot, zwei Leute vom Bestattungshaus und ein Witwer…

„Nee, jetzt ist gut“, sagt Her Kabelke zu Frau Büser. „Ich habe jetzt die alte kranke Frau beerdigt und mich endlich auch von meiner Bertha verabschieden können. Ach, was war die Geige so schön!“

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