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Frei wie ein Vogel

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Es gibt ja schon merkwürdige Vögel da draußen unter unseren Mitmenschen und wie sagte mal jemand: Jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der and’re leise.
Auf meiner internen Hitliste stand bislang Herr Wurzler ganz oben, der sich für eine Reinkarnation von König Ludwigs Jagdhund hält. Seit heute Morgen aber ist Herr Immelmann unangefochtener Spitzenreiter.

Herr Immelmann hat den Tod seiner Frau zu beklagen, die einem langen Krebsleiden erlegen ist und das weckt in mir Empathie und ich denke noch so für mich darüber nach, ob und wie der frischgebackene Witwer mit der veränderten Situation klarkommen wird, da überrascht ich der alte Herr mit dem Satz:

„Auf der anderen Seite ist es ja gut, daß sie jetzt erlöst ist. Für sie ist es besser so und ich kann mich jetzt auch wieder meiner Erfindung widmen.“

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Ein Blick auf die vorhin ausgefüllten Unterlagen verrät, daß Herr Immelmann 1934 geboren wurde und als Beruf hat er Dippel-Ing-Effha angegeben.

„Was ist denn das für eine Erfindung?“ frage ich mehr zum Zwecke der kommunikativen Beschäftigungstherapie, als aus wirklicher Neugier und Herr Immelmann holt tief Luft, breitet theatralisch die Arme aus und sagt:

„Es geht um ein ganz großes Projekt, an dem ich seit 1952 arbeite. Erste theoretische Grundlagen habe ich sogar schon 1949 gelegt. Ich muß aber vorsichtig sein, weil mir die Industrie seit Jahren nur Steine in den Weg legt. Ich habe ein Verfahren entwickelt, bei dem der Mensch, also Sie und ich, quasi also jedermann, durch die Inhalation eines Heliumgases die Schwerkraft überwinden kann.“

„Wie bitte?“

„Ja, da staunen Sie, nicht wahr? Das wird die Menschheit revolutionieren, wir werden uns eines Tages nicht mehr auf den Füßen fortbewegen, sondern durch die Lüfte schweben, frei wie ein Vogel. Überlegen Sie einmal, was das alles für Vorteile bietet! Wir bräuchten keine Treppen mehr, keine Rolltreppen, keine Aufzüge, ja letztlich nicht einmal mehr Schuhe.“

Der Mann ist begeistert von seiner Idee und hat ein Leuchten in den Augen, während in mir die Erkenntnis wächst, daß er spinnt. Ich habe auf einem Volksfest auch schon mal Helium eingeatmet und die ganze Familie hat sich gekringelt, weil Papa wie eine Comic-Figur gesprochen hat, aber zu keiner Zeit hatte ich das Gefühl abzuheben. Gut, manch einer der mich kennt, wird jetzt sagen: Kein Wunder!, aber lasst sie reden, diese Spötter…

Vorsichtshalber gehe ich auf Herrn Dipl. Ing. Immelmanns Erfindung nicht weiter ein und wende mich wieder der Bestattung seiner Frau zu. Den Katalog, den ich ihm hinüberschiebe, wischt er mit einer Handbewegung achtlos zur Seite und meint: „Nehmen Sie einfach irgendeinen Sarg, Sie wissen am Besten was da immer so genommen wird, aber überlegen Sie mal, man bräuchte in jedem Stockwerk eine Ausgangstür zur Straße, nimmt Helium und schwebt dann zur Tür hinaus, ist das nicht phantastisch?“

„In der Tat! Und wie landet man?“

„Durch Ausatmen!“

„Ja, und wie steigt man wieder?“

„Das ist noch so ein klitzekleines Problem, aber es ist nur eine Frage der Zeit bis ich auch das in den Griff bekommen habe.“

„Und Sie sind schon mal auf diese Weise geflogen?“

„Nein, nicht direkt, aber ich bin ja auch nur ein kleiner Einzelkämpfer, die Industrie müßte sich der Erfindung annehmen und es bis zur Serienreife bringen. Es hapert ja nur noch an Kleinigkeiten. Aber die feinen Herren sind ja sowas von borniert und kurzsichtig. Vermutlich steckt die Schuhindustrie hinter der ganzen Verschwörung.“

Dann schildert er, wie er seit Jahrzehnten einen Aktenordner nach dem anderen füllt und welche Stellen, bis hin zum Bundespräsidenten, er schon mit 40-seitigen Telefaxen traktiert hat, von überall habe er nur Ablehnungen erhalten. Keine Fördergelder, kein Patent, keine Anerkennung.

Ich bin mir im Moment nicht sicher, wegen was mir der Mann mehr leid tut, wegen des Todes seiner Frau oder wegen seiner Phantastereien.

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

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