Frau Birnbaumer-Nüsselschweif glaubte sich auf dem Gipfel ihres Mutterwunsches und sogar die Gemüsefrau, die in letzter Zeit sehr zurückhaltend geworden war, seitdem Stadtrat Kletsch sie wegen Verleumdung verklagt hatte, schnaubte voller Zorn: „Wie die sich aufplustert! Wenn ich schon höre, wie die immer sagt: ‚Meine Töchter‘. Die hat gar keine Töchter, die hat die beiden Mädchen nur in Pflege. Pflege is‘ mal eins und Töchter sind was anderes. Das ist doch sowieso nur vorübergehend.“
Zweimal war Günther zum Haus der Birnbaumer-Nüsselschweif gefahren und beide Male waren Ute und Monika ganz zufällig nicht da gewesen. Herr Birnbaumer hatte Günther am Tor abgefertigt und ihm versprochen die mitgebrachten Süßigkeiten abzuliefern.
Bekommen haben die Mädchen die Sachen nie, wahrscheinlich hat der Mann die Sachen gleich in die Mülltonne geworfen oder, was Sandy ja vermutet, die Birnbaumer-Nüsselschweif hat sie selbst gegessen.
Wir hatten in der Firma hin und her diskutiert und Manni hatte sich spontan bereit erklärt, die Birnbaumer-Nüsselschweif mit einem Sack über dem Kopf direkt ins Krematorium zu fahren: „Ich pack die in den Adenauer-Sarg, da hört man niemanden schreien, so dick ist der. Bis da der Amtsarzt kommt, ist die mullo, aber sowas von mullo.“
Sandy meinte, sie könne sich ja selbst beim Jugendamt als Erzieherin und Pflegemutter melden, doch Antonia tippte sich nur an die Stirn. „Du wohnst auf einer alten Burg, abgelegen auf ’nem Gipfel, Du siehst aus, wie die schwarze Hexe vom Zillertal und schläfst mit Frauen und Männern gleichzeitig. Dir geben sie so Kinder sowieso nicht.“
„Gleichzeitig nicht, aber abwechselnd“, gab Sandy zurück, mußte aber einsehen, daß Antonia Recht hatte.
Dann war es aber auf einmal ganz ruhig und alle im Raum drehten sich zu Frau Büser um. „Genau“, sagte Sandy, „was ist eigentlich mit Ihnen? Ihre Kinder sind doch aus dem Haus, könnten Sie nicht…?“
„Ich? Um Himmels Willen, geht mir weg mit so was, ich bereite mich so langsam auf meinen Ruhestand vor, noch ein paar Jährchen und ich lege nur noch die Füße hoch. Da fange ich doch jetzt nicht noch mal mit Kindern an.“
„Sie sollen die Kinder ja auch nicht selbst auf die Welt bringen“, gab ich zu bedenken.
Wir lachten und gingen weiter scherzend auseinander.
Doch die Idee ließ mich nicht mehr los. Wenn das Jugendamt doch offensichtlich einfach nur froh war, daß die Mädchen irgendwo untergebracht sind, wäre es da nicht egal, ob sie bei der Birnbaumer-Nüsselschweif oder bei einem anderen geeigneten Ehepaar leben würden?
Günther verfolgte einen anderen Plan. Er begann sich in die Idee zu verrennen, er müsse nur das Gartengrundstück super ordentlich herrichten, alle Wagen, Waggons und Hütten neu anstreichen und alles picobello aufräumen, dann müsse das Amt ihm die Kinder wiedergeben.
Horst versuchte vergebens ihm das auszureden, fand aber, daß es dennoch nicht schaden könnte, wenn Günther Beschäftigung hätte und ermutigte ihn deshalb trotz seiner Skepsis, mit dem Aufräumen und Anstreichen weiter zu machen.
Er befürchtete nämlich, daß Günther irgendwann den Kopf in den Sand stecken könnte und depressiv werden könnte.
Ich besuchte Günther auf seinem Gartengrundstück, die Neugierde hatte mich dorthin getrieben. Er war gerade dabei, einen alten Traktor wieder flott zu machen. „Ich brauche unbedingt was Fahrbares“, sagte er und wischte sich mit ölverschmierten Fingern den Rest seines Haarwuchses aus der Stirn.
Horst kam kurz darauf ebenfalls und nahm mich zur Seite: „Ich bin ja froh, daß der jetzt an der alten Karre bastelt, das lenkt ihn ein bißchen ab. Wissen Sie, was der vor hat? Der will dann den grünen Bauwagen wieder flott machen und an den Traktor hängen, dann will er sich seine Kinder holen und mit denen dann mit dem Bauwagen nach Italien abhauen.“
„Als ob die den da nicht finden würden!“ gab ich zu bedenken und schüttelte fassungslos den Kopf.
Horst legte seine Hand auf meinen Arm, knipste ein Auge zu und meinte leise: „Wenn Sie sich den Bauwagen mal anschauen, dann werden Sie sehen, daß das Jahre dauert, bis der Müllhaufen wieder fahren würde. Da wird sowieso nichts draus. Aber lassen wir ihn, so hat er wenigstens etwas zu tun.“
Ich merkte an Günthers Eifer, wie verzweifelt der Mann war und hoffte nur inständig, daß er keine Dummheit machen würde.
Dabei konnte ich ihn gut verstehen. Seine Frau hatte ihn betrogen, das allein bringt manchen Mann schon um den Verstand. Dann war diese Frau, die er trotz allem ja wohl noch geliebt hatte, umgebracht worden; ein Schicksalsschlag, der so außerordentlich ist, daß man alleine daran hätte zerbrechen können, aber es war noch schlimmer gekommen, man hatte ihn auch noch des Mordes bezichtigt.
Spätestens nachdem ihm seine Kinder weggenommen worden waren, wäre doch vermutlich jeder dritte andere Mann dem Alkohol verfallen und vielleicht auf der Straße gelandet. Und dann? Dann hatte ihm die Stadtverwaltung auch noch seine „Villa Kunterbunt“ quasi überm Kopf abgerissen.
Gelandet war er in einer von der Stadt zur Verfügung gestellten Zweiraumwohnung mit sehr beengten Verhältnissen. Großzügig schien dieses Angebot der Stadt zu sein, war es aber doch bloß ein Beruhigungsbonbon, denn auf diese Weise hatte man sich ja quasi Günthers Haus und Grundstück erschlichen.
Nun hatte Günther aber gehofft, in der neuen Wohnung seine Kinder wieder zu sich nehmen zu können, aber daß das schon aus Platzgründen nicht ging, war dem Mann in seiner ersten Euphorie entgangen.
Wenigsten hatte er sich ein abgelegenes Gartengrundstück mit etlichen Lauben und Bauwagen verschaffen können, um wenigstens die gewohnte Freiheit und den dringend benötigten Freiraum wieder zu erlangen, aber auch dort waren ja die Wohnverhältnisse nicht so, daß man ihm die Kinder zurück gegeben hätte.
Denn die befanden sich ja, nach Ansicht des Jugendamtes, in bester Obhut. Der behinderte Junge Thomas war in einem guten Heim untergebracht und Günther hatte wohl, was Thomas anbetraf, inzwischen eingesehen, daß der dort ganz gut versorgt und betreut wurde.
Anders war das bei seinen Töchtern Monika und Ute. Die waren bei meiner alten Haßgegnerin, Frau Birnbaumer-Nüsselschweif, als Pflegekinder untergebracht. Eine durchaus als vorübergehend anzusehende Maßnahme, was aber die Birnbaumer völlig anders sah.
Wo immer sie in Begleitung der beiden Mädchen auftauchte, sprach sie nur noch von ihren Töchtern und hatte die Mädchen auch dazu gebracht sie Mama zu nennen.
Über das, was bei den Birnbaumer-Nüsselschweifs zu Hause geschah, konnte man ja nur Mutmaßungen anstellen und man hatte keine guten Gefühle dabei, wenn man die Mädchen anschaute. Blaß sahen sie aus, verängstigt und scheu wirkten sie und hielten ihre Blicke stets gesenkt. Kein fröhliches Kinderlachen, keine strahlenden Augen, kein Glücksempfinden, nun doch in einer richtigen Familie untergekommen zu sein.
Was dort aber wirklich los war, das sollte ich später ganz genau erfahren, und wie es dazu kam, das erzähle ich auch noch.
Die Günther-Geschichte geht jetzt dem Ende zu. Ich erklärte schon einmal, daß ich Günther später noch sehr viel besser kennen lernen konnte und daß diese Geschichte auch tatsächlich so passiert ist. Nur als ich begonnen habe, sie zu erzählen, wollte ich eigentlich nur eine etwas rührselige Geschichte über den einsamen und dann gestorbenen Seemann Leo schreiben, doch dann bin ich ins Quatschen gekommen und habe gemerkt, wie viel es da zu erzählen gibt.
Wenn ich einen Brief schreibe und der mal wieder etwas länger geworden ist, schreibe ich manchmal darunter: „Verzeihen Sie mir, daß der Brief so lang geworden ist, aber ich hatte keine Zeit einen kürzeren zu schreiben.“
In diesem Fall ist es etwas anders. Ich muß mich nicht dafür entschuldigen, daß die Geschichte so lang geworden ist, aber dafür, daß sie zeitlich einfach so viel Raum greift, daß ich nicht früher damit fertig werden konnte.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Wir hoffen, dass irgendwann noch rauskommt, wer die Frau umgebracht hat…. *fieber*
Wer Blaise Pascal zitiert, der darf so lang schreiben, wie er will.
wobei man diesen Satz ja noch häufiger dem Herrn Johann Wolfgang von G. aus W. zuschreibt, und auch ein gewisser Tucholsky soll nicht ganz unschuldig an dessen Verbreitung sein. Und alle wussten, wovon sie reden ^w schreiben…
Argh, ich will unbedingt wissen, wies zu Ende geht! Ich zittere schon. 😀
Zitat:
Ich zittere schon.
…da hilft manchmal weiter trinken. 😉
Ich trinke doch gar keinen Alkohol und habe auch nie wirklich welchen getrunken.
Dann würde ich mir über `s Zittern ernsthaft Gedanken machen.
😉
Wenn Sie Geothe zitieren, sollten Sie ihn auch nennen 🙂 Sehr ergreifende Story, ich warte schon auf den nächsten und hoffentlich letzten Teil.
Wer zum Teufel ist Geothe?
Ist das nicht schon Folge XXVIII?
nein, das ist Folge A XXXVIII. Folge XXVII erhalten sie an Schalter I im VI. Stock.
Aber nur gegen Vorlage des Passierscheins A 38.
Einen Antrag auf Erteilung eines Antragformulars,zur Betätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars
dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt
zum Behuf der Vorlage beim zuständ’gen Erteilungsamt.
Wehe du entschuldigst dich 😉