Allgemein

Hanna und Ferdi V

Fehler durch Lektorin Alexandra bereinigt.

Wie findet man einen Mann, zu dem seine Familie viele Jahrzehnte keinen Kontakt hatte?
Ganz einfach: Man schaut ins Telefonbuch.

Ferdinand Tekopen ist nie aus seiner Stadt weggezogen und steht ganz normal im Telefonbuch. Hätte nur irgendjemand gewollt, hätte er ihn leicht finden und Kontakt aufnehmen können. Aber das wollte ja keiner. Hanna, seine Schwester, und die ganze übrige Familie sind seit Kriegsende davon ausgegangen, daß er ein kleines Vermögen gestohlen hat. Daß sie von dem vermeintlichen Dieb nichts wissen wollen, kann man verstehen. Franz Tekopen hingegen hatte ganz andere Motive, es gut zu finden, daß man den Kontakt zu Bruder Ferdi abgebrochen hatte, wäre doch sonst herausgekommen, daß er der eigentliche Dieb war und dafür verantwortlich, daß der Bruder ins Abseits gedrängt worden ist.

Ich bin immer noch fast sprachlos, ob der Geschichte, die mir Herr Tekopen da erzählt hat, aber offenbar hat ihm das schon so lange die Seele verdüstert, daß er froh war, in mir als neutralem Zuhörer ein Ventil gefunden zu haben. Jetzt nur keine Schuldzuweisungen, nur den Mann nicht in die Situation bringen, sein Tun irgendwie rechtfertigen zu müssen. Das würde nämlich dazu führen, daß er seine, die eigene Schuld eingestehende, Haltung wieder aufgibt und in eine Abwehrstellung geht.

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„Sie müssen mit Ihrem Bruder reden“, sage ich und blicke Herrn Tekopen an, der mit versteinertem Gesicht neben mir sitzt. Die Botschaft, daß sein Bruder durch einen einfachen Blick ins Telefonbuch zu finden war, hat ihn offenbar ebenso mitgenommen, wie das Erzählen der langen Geschichte.

Müde hebt er die Schultern und läßt sie kraftlos wieder fallen, dann sagt er: „Es ist alles schon so lange her, wir sind jetzt alle schon so alt, ich glaube nicht, daß sich das noch in Ordnung bringen läßt.“

„Wann, wenn nicht jetzt?“

„Wie meinen Sie das?“

Es ist erst dann zu spät, wenn einer von Ihnen tot ist. Solange Hanna, Ferdi und Sie noch leben, solange können sie auch miteinander sprechen und die Sache ins Reine bringen.“

„Ich glaube das nicht.“

„Mag sein, daß Sie sogar Recht haben, aber herausfinden können Sie das nur, indem Sie es probieren. Ich fürchte, sonst werden Sie sich ihr ganzes Leben wegen der verpassten Chance Vorwürfe machen.“

„Und wie soll das gehen?“

„Laden Sie Ihren Bruder zur Beerdigung ein. Ein fast schon offizieller Anlaß, neutraler Boden, eine Atmosphäre die offenen Streit nicht dulden sollte… Welche Gelegenheit wäre denn jetzt im Augenblick besser geeignet, ohne daß Sie gleich ihr Gesicht verlieren?“

„Ich kann den doch jetzt nicht anrufen, nicht nach so vielen Jahren…“

„Aber wir können ihm einen Totenbrief schicken.“

„Und Sie meinen, der kommt dann?“

„Wieso nicht? Er hat doch nichts Schlimmes getan, in seinen Augen sind doch die anderen diejenigen, die den Kontakt abgebrochen haben. Vielleicht freut er sich sogar.“

Tekopen steht auf, die Sache scheint ihn aufzuwühlen, denn er geht im Zimmer auf und ab. Dann bleibt er plötzlich stehen, schüttelt den Kopf und meint: „Nein, ich kann das nicht. Wir beerdigen meine Inge und damit ist es gut. Das mit meinem Bruder Ferdi ist ein schweres Kapitel, da haben sie Recht, aber man soll alte Geschichten nicht aufwärmen.“

„Und Sie finden nicht, daß Ihr Bruder ein Recht darauf hat, wenigstens jetzt in hohem Alter rehabilitiert zu werden?“

„Geht denn das?“

„Keine Ahnung, aber ich finde, Sie sollten reinen Tisch machen.“

„Also gut, schicken Sie ihm einen Totenbrief, wenn er kommt ist er da, wenn nicht, dann eben nicht…“

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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