Linzer Torte ist ja sowas von geil! Hm, lecker! Das ist so ein dunkler, relativ trockener Teig und obendrauf kommt Pflaumenmus. Ja, ich weiß, ausgerechnet Deine Oma tut da Aprikosenmarmelade drauf und Du kennst auch helle Linzer Torte. Ja, aber ich mag sie am liebsten aus dunklem Teig mit Pflaumenmus.
Das Beste an der Linzer ist, daß man sie im Grunde ewig aufheben kann, sie kann problemlos mehrere Wochen aufbewahrt werden, ja manche sagen sogar, daß sie erst nach ein bis zwei Wochen so richtig gut wird.
Nun ist meine Frau eine wunderbare Frau und ich liebe sie nicht nur, ich vergöttere sie, gebe aber zu, daß das nicht unbedingt wegen ihrer Backkünste so ist. Das weiß auch Oma Lange und deshalb backt sie mir immer mal wieder eine Linzer Torte, ruft dann an und läßt mich den Kuchen abholen. Ich verbringe dann ein bis zwei Stündchen gemeinsam mit ihr und ihren Erinnerungen an die Flucht aus dem Sudetenland. Das ist der Preis, den ich -und das durchaus gerne- für den Kuchen bezahlen muß.
Vorgestern rief sie an, dieses Mal ging es aber nicht um Linzer Torte, sondern um ein verklemmtes Kellerfenster, das sich wegen des Frosts nicht mehr schließen lies. Ob ich denn wohl so lieb sein könnte und mal versuchen könnte das Fenster mit meinen kräftigen Männerhänden zu schließen.
Ja klar, hab ich gemacht, kein Problem.
Und ich sitze schon im Auto und will wieder nach Hause fahren, da kommt Oma Lange auf ihren dünnen und etwas krummen Beinen hergewackelt und ruft: „Halt! Ich hab da noch was für Sie!“ Die Kittelschürze weht ihr hinterher und auf der rechten Hand balanciert sie eine dicht in Alufolie gepackte Tortenplatte, die zusätzlich obenrum durch eine dieser absolut häßlichen pinkfarbenen Tortenhauben aus Ami-Plastik geschützt ist, mit der linken Hand zieht Oma Lange ihren Gehfreiwagen hinter sich her, der sich durch die unerwartete Geschwindigkeit auf eines seiner Räder aufgestellt hat, das ob des Tempos quietscht und raucht: „Nehmen Sie das doch bitte mit, das ist lecker!“
Ich nehme durch die halbgeöffnete Tür die Tortenplatte, stelle sie in den Fußraum der Beifahrerseite und bedanke mich artig. Oma Lange winkt mir hinterher und mir läuft während der Fahrt schon das Wasser im Mund zusammen. Hm, lecker, Linzer Torte!
Ich muß mich beeilen, denn meine Tochter wartet zu Hause darauf, daß ich sie zum Training fahre. Wir weigern uns ja erfolgreich seit Jahren, Kindertaxi zu spielen. Du willst dieses oder jenes Hobby machen? Kein Problem, aber Du mußt schauen, wie Du da immer hinkommst. Diese Ansage hat immer gut funktioniert und wenn ich sehe, wie oft unsere Kinder irgendwelche Vereinsaktivitäten haben, wären meine Frau und ich die halbe Woche unterwegs, um die Blagen von hier nach da zu fahren.
Okay, jetzt sind es draußen fast 10 Grad minus und die Kleine muß einen Haufen Sachen zum Vereinsheim transportieren, da mache ich mal eine Ausnahme.
Also beeile ich mich, gebe etwas mehr Gas und komme rechtzeitig zu Hause an, der Kleinen schicke ich nur eine SMS und sie kommt sofort heraus, steigt hinten und wir fahren los.
Auf der Fahrt zum Vereinsheim fragt sie mich: „Und, hast Du daran gedacht?“
„Woran?“
„Na, an das was ich Dir gesagt hab‘.“
„Häh?“
„Sag bloß, Du hast das vergessen?“
„Ja, was denn?“
„Ich hatte doch gefragt, ob Du einen Kuchen besorgen kannst. Wir feiern doch den Geburtstag der Trainerin.“
Siedendheiß fällt es mir wie Schuppen aus den Schuhen und ich bin mir aller Schuld dieser Welt bewußt. Ja, ich gebe zu, ich habe aus dem weiblichen Dauergesabbel meiner Tochter dieses eine Mal die einzige an mich gerichtete und sinnvolle Information nicht herausgefiltert und wie üblich alles einfach vollautomatisch durch rein zufallsgesteuertes Nicken oder Kopfschütteln beantwortet.
Man(n) kann das ruhig einmal selbst ausprobieren, es reicht wirklich vollkommen aus, rein zufällig immer Ja oder Nein zu sagen, das beantwortet alle gestellten Fragen, passt immer und man muß sich mit den Inhalten der ja als besonders tiefgründig bekannten weiblichen Gespräche nicht belasten; und erstaunlicherweise passt zufälliges Ja und Nein immer. Die Fehlerquote wird durch unerwartete Glückstreffer immer zuverlässig ausgeglichen.
Gut, ich gebe zu, dieses Mal hat meine Methode versagt und ich habe das Einkaufen eines Kuchens glatt vergessen.
Aber da ist ja noch der Kuchen von Oma Lange. Ich lasse mir also nichts anmerken, schiebe das kurzfristig auf meinem Gesicht aufgetauchte Entsetzen beiseite und lasse einem männlich, überlegenen Grinsen Platz. „Ja sicher, ich habe einen Kuchen, eine Linzer Torte.“
Prima, das ist gut ausgegangen, die Kleine nimmt die Tortenplatte mit der pinkfarbenen Haube mit ins Vereinsheim und ich fahre wieder heim.
Es sind zwei Tage vergangen, da kommt mir das Ganze wieder in den Sinn, denn Oma Lange will natürlich irgendwann ihre Tortenplatte und den auf Hausfrauenpartys vertriebenen Abdeckscheiß wiederhaben. Also frage ich meine Tochter, ob denn der Kuchen geschmeckt habe und ermahne sie, bitte an die Platte zu denken.
„Ach so, den Kuchen haben wir gar nicht angerührt. Da war soviel Zeug da, da haben wir diesen Kuchen gar nicht mehr gebraucht. Aber Du hast ja gesagt, daß das Linzer Torte ist, ich bringe den Kuchen nächste Woche einfach wieder mit, Linzer hält sich ja.“
„Linzer wird sogar noch besser, wenn sie länger steht“, sage ich und freue mich, daß ich doch noch eine Chance erhalte, etwas von Oma Langes sudetendeutschem Linzerkuchen zu bekommen.
In der Woche darauf hole ich die Kleine extra vom Training ab, sie bringt das pinkfarbene PVC-Ungeheuer mit dem Kuchen und stellt es in den Kofferraum. Wenn wir zu Hause sind, werde ich gleich etwas vom Linzerkuchen essen.
Doch, man kann es sich schon fast denken, ich komme nicht dazu. Denn kaum habe ich die Kleine zu Hause abgeliefert, da erreicht mich ein Anruf, ich muß nochmal los, in der Orga-Gruppe der Handwerkskammer hat es Stunk gegeben und man will sich zu einer Krisenrunde zusammensetzen.
Was war das Hallo groß, als ich die Pinkfarbene auf den Tisch stellte. Damit hatte keiner meiner Handwerkskollegen gerechnet, daß ich einen Kuchen mitbringe. Aber zuerst der Dienst, dann der Schnaps, so ähnlich sagt man ja immer und deshalb handelten wir erst die ganzen anstehenden Probleme ab, dann begann Frau Dr. Rütishäuser-Sack die Teller zu verteilen: „Ich habe inzwischen schon Kaffee aufsetzen lassen, wann haben wir schonmal Kuchen? Was ist es überhaupt für einer?“
„Linzer Torte“, sage ich stolz und löse die amerikanische Plastikverschnallung und hebe die Pinkfarbene ab.
Darunter ist der Kuchen ja noch in Alufolie gehüllt.
Doch just in dem Moment, in dem ich die dichtsaugende Rosafarbene abhebe, entströmt seit gut einer Woche dort gefangener Duft. Und ich muß eingestehen, daß der nach 4.000 Jahren dem Grabe Tut Ench Amuns entströmende Duft nicht schlimmer gewesen sein kann!
Es ist eine Mischung aus Jauche, Kotze und Hundescheiße, so riecht das.
Die Anwesenden Handwerksmeister und Lokalpolitiker weichen angewidert zurück, Herr Wippermann übergibt sich spontan in einen Papierhächsler und Frau Siebenstern steckt sich, völlig unsinnigerweise, die Finger in die Ohren.
„Was ist das denn?“ will Frau Dr. Rütishäuser-Sack wissen und ich hebe mit dem Finger vorsichtig die Alufolie hoch.
Es ist unbeschreiblich, was mich da erwartet…
Aber ganz offensichtlich hat Oma Lange dieses Mal keine Linzer Torte eingepackt, sondern aus Gehacktes und Gouda-Stäbchen einen Hackfleisch-Igel gebastelt.
Einen Hackfleisch-Igel! Das ist ein Kilo gewürztes Gehacktes, manchmal vermischt mit einem rohen Ei und etwas Petersilie, geformt zu so etwas ähnlichem wie einem Igel und auf dem Rücken gespickt mit irgendwas was aussieht wie Igelstacheln. In den 50er und 60er Jahren war das mal auf Herrenabenden ein ganz beliebter Snack. Dazu frisches Brot und eine Schüssel mit Zwiebelringen…
Aber dieser Hackfleischigel hier im Speziellen, ja der hat sich während seiner Woche Aufenthalt im Vereinsheim in einen eher etwas toten Hackfleischigel verwandelt. Fachkundig stelle ich fest, daß sich die Leichenstarre schon wieder gelöst hat und inzwischen die Zersetzung eingesetzt hat.
Irritiert blicke ich in die Runde, denn bis zu dieser Sekunde hatte ich ja auch gedacht, es handele sich um einen durch Lagerung besser werdenden Kuchen.
Die Umstehenden halten sich Taschentücher vor den Mund, im Raum macht sich der Gestand des Furzes einer Mumie breit…
Beherzt greift sich Frau Dr. Rütishäuser-Sack die Tortenplatte und trägt das Ganze, sich mit der anderen Hand die Nase zuhaltend, in Richtung der Toilettenanlagen.
Meine Worte der Entschuldigung rufen nur Erheiterung hervor, ich muß mir sogar solche Sprüche gefallen lassen: „Wohl wieder mal etwas Arbeit mit nach Hause genommen, was?“
Ich nehme mir fest vor, in Zukunft immer ganz genau nachzuschauen, was Oma Lange da eingepackt hat.
Aber rohes Hackfleisch soll man ja sowieso nicht….
Boah, was war mir schlecht!
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Und was war diesmal wirklich auf der Tortenplatte? Es lebte doch nicht etwa schon, oder?
Wie gewonnen, so zerronnen…
bin ich der einzige der hieran denken musste?
[..der Tod hat reihum sie dort abgesahnt aaahh ooojehh
die Hinterbliebenen fanden vor Schmerz keine Worte,
mit Sacher- und Linzer – und Marzipantorte
hielt als letzte Liliane getreu noch zur Fahne…]
btw: bin schon gespannt, was auf der platte war und womit sich die lehrerin bedankt… 😉
Pflaumenmus (Powidl, wie man bei uns in Österreich sagt)auf einer Linzertorte! Au weia!
Ich meine, gut, wenn Dir das so schmeckt, aber Linzertorte ist das dann keine mehr. Auf eine originale Linzertorte kommt nämlich eindeutig Ribiselmarmelade = Konfitüre aus roten Johannisbeeren!
Hier zum Nachlesen: http://www.linzertorte.at/
Und so wird sie gemacht: http://www.gutekueche.at/rezepte/1035/original-linzer-torte.html
Übrigens hab ich das Gefühl, dass da bei der Geschichte noch was „nachgelegt“ wird, stimmt´s?
Schließe mich Requiem an. Auf Linzertorte gehören Ribiseln, punkt. Und so wirklich dunkel ist sie auch nicht.
Wie war das mit dem Schaden und dem Spott, und so? 😉 Trotzdem mein Beleid!
Komisch – im RSS-Feed ist der Rest der Geschichte schon drin…
Ich schmeiss mich weg…
Vielen Dank für die Geschichte 🙂
Das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten 🙂
http://www.youtube.com/watch?v=jXF7c47Zfuo
also mit Essenswaren hast in letzter Zeit nicht soviel Glück, oder?
Erst entpuppt sich die Schoki als Seife und jetzt das… *g*
Hierzulande ist das als Mett-Igel bekannt: http://images.google.de/images?hl=de&source=hp&q=mett-igel&btnG=Bilder-Suche&gbv=2&aq=f&oq=
*lol* und wer putzt mir jetzt den monitor…..
Das wäre doch eine interessante Studie für StinkyMeat gewesen, Leben und Verfall eines Mettigels:
http://www.stinkymeat.net/
Ich empfehle einen starken Magen, da die Bilder mit fortschreitender Projektdauer…sagen wir…etwas unappetitlich werden.
Genau Tom,
der Mettigel war nicht nur in den 50iger , 60iger Jahren ein Snack, sondern ist das heute noch.
Ich könnt mich als reinlegen in sowas … jamm jamm.
Mit dieser Story hast Du Dich wiedereinmal selbst übertroffen, danke für die köstlichen Lacher!
Beim Lesen dachte ich schon daran, im Kommentar zuschreiben, dass Du von was anderem als Linzer Torte überrascht wirst, nämlich von Fischhäppchen. Doch Hackfleisch steigert das Ganze. Noch drei Tage, und die Gärung hätte den Deckel schlagartig geöffnet, dass die Scheibe der Heckklappe mit herausgeflogen wäre. Die Polizei hätte die Gegend abgeriegelt, alle Nachbarn evakuiert, und in der Tagesschau hätten wir Dein Haus im Hintergrund sehen können.
Mag jemand eine Portion Avatartar?
http://www.ruthe.de/frontend/index.php?pic=1147&sort=datum&order=DESC
Hehehe, nu hab ich alle wachgelacht.
Ich hab schon einen halbvergammelten Erdbeerkuchen erwartet, aber das war ja richtig fies 😀
You made my day. Danke
Schoen wieder eine laengere Geschichte zu lesen – und dann auch noch so eine 🙂
Na, da sah der Igel wohl sehr natürlich aus, wie man die überfahrenen Tierchen halt so von der Straße kennt…
Plötzlich appetitlos, Lechthaler 🙁
you made my day!
herrlich mir stehen die tränen noch immer in den augen, vor lachen
An unsere mitlesenden Österreicher:
ich nehme mal an, wenn die alte Dame aus dem Sudetenland kommt, hat ihre Linzer Torte nicht viel mit eurer Linzertorte zu tun. Wer weiß denn schon, was „Linz“ auf Sudetendeutsch heißt? Vielleicht ja einfach nur Pflaumenmus? ;o)
ich spul mich weg vor lache….da les ich doch gern paar zeilen mehr:-)
grüßle
wolf
habe am anfang der geschichte gewußt, es wird was grausliches – aber gleich so. und meine bildliche fantasie ist da nicht sehr hilfreich.
großes grins
@Tante Jay:
Woran Du ja nicht so ganz unschuldig bist… *fg*
@amavi, Requiem, Nightstallion: Es wird wohl soviele untersch. Rezepte für Linzer Torte geben, wie es Menschen gibt, die Linzer Torte backen. Jeder schwört auf sein eigenes und behauptet seine wäre „original, echt, was auch immer“.
Toms Lieblingslinzertorte ist nun mal dunkel mit Pflaumenmus. Hauptsache es schmeckt oder?
So nebenbei ich würde Mus auch nicht unbedingt mit Powidl gleichsetzen, da ein Röster was anderes ist als ein Mus.
Was soll’s. Wenn sich der Mettigel in seinem biologischen Kreislauf eigene Krabbelbeine zulegt, eignet er sich auch wieder als Backzutat. Es müssen nicht immer Korinthen sein.
*lappen holt*
*tastatur umdreht*
herrliche sauerei hier am schreibtisch.
danke für die sehr sehr schöne geschichte.
Habe mir beim letzten „Schneeschaufeln“ die Muskeln unter den Rippen verstreckt – und jetzt dieser Artikel.
Lachen tut weh!!!!!
Trotzdem besten Dank.
Ich muss mir hier im Büro so das Lachen verkneifen bzw leise halten, dass ich schon Bauchweh bekomme! Herrlich, danke!
Jetzt habe ich sooo gelacht, dass mein schlafender Hund aufgestanden ist und mich seltsam anschaut 😀
ischa nich so der gestank, aber es brennt so in die augen…. 😀 der furz einer mumie! 😀 herrlichst! 😀
Ich habe beim Lesen schon erwartet, dass da diesmal was anderes drunter ist – aber das übertrifft jetzt meine schlimmsten Befürchtungen…
[quote]Fachkundig stelle ich fest, daß sich die Leichenstarre schon wieder gelöst hat und inzwischen die Zersetzung eingesetzt hat.[/quote]
*wegschmeiß*
Es geht doch nichts über qualifiziertes Fachpersonal 😀
*gröhl*
Diese Ausdrucksweise ist göttlich!
ymmd
Besonders hübsch die Werbung unter dem Beitrag: foodbox.de – „Omas beste Rezepte“ und mehr… Hihihehehe!!
@#13: Sowas gibts, such mal nach „Roadkill Cuisine“.