Geschichten

Loch

Heute bekomme ich ein Gerichtsurteil. Mein Anwalt hat angerufen, macht die Sache spannend und lässt mir das Urteil, das zuerst bei ihm gelandet ist, nachher vorbeibringen.
So Gerichtsverfahen kommen vor, damit bin ich im Beruf groß geworden. Was ich da schon alles erlebt habe… Die meisten Prozesse, die geführt werden sind sinnlos, witzlos und überflüssig, aber die lieben Herren Anwälte und das verschrobene Rechtsempfinden mancher Leute (oder beides zusammen: also das verschrobene Rechtsempfinden der Anwälte) stellen sicher, daß man immer mal wieder einen Prozess am Hals hat.
Da kann man strampeln wie man will, sich bemühen und aus seiner Sicht auch alles richtig machen, früher oder später trifft es einen. Glücklicherweise sind wir nicht besonders oft von so etwas betroffen, aber es lässt sich im geschäftlichen Alltag nicht vermeiden. Wir selbst sind immer sehr bemüht, niemanden zu verklagen, das ist uns viel zu lästig, aber auch das lässt sich manchmal nicht vermeiden.

Heute ist die vermutlich letzte mündliche Verhandlung in einer sehr unangenehmen Sarg- und Grabsache.

Losgegangen ist das Ganze vor zwei Jahren im Februar. Eine Frau ist mit ihrer Tochter bei uns erschienen und hat uns den Auftrag erteilt, ihren Mann zu beerdigen. Die alte Dame war sehr angenehm, etwas hilflos, nahm unsere Hinweise und Ratschläge dankbar an, doch ihre Tochter konnte schon aufgrund ihrer zwei Doppelnamen nicht anders, als nur alles besser zu wissen. Wir nennen sie mal für diesen Artikel Katharina-Luise Mösenberger-Oberheimer.

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Es ging schon bei der Frage nach dem Grab los. Ich erkundige mich da immer nach den Verhältnissen und Vorstellungen, um dann für mich eine Entscheidung zu fällen und das richtige Grab anbieten zu können. Ist der Mann beispielsweise 20 Jahre älter gewesen und/oder will die Frau in Kürze von hier fortziehen, wäre ein Familiengrab für mehrere Personen vielleicht weniger geeignet. Ist es hingegen aufgrund biologischer Umstände absehbar, dass auch die Witwe in einigen überschaubaren Jahren sterben wird, könnte die Empfehlung eher für ein gemeinsames Grab lauten.

Hier war es so, dass die Frau sogar älter war als ihr Mann, er war mit 78 Jahren verstorben, sie war zu diesem Zeitpunkt schon 85 Jahre alt. Obwohl ich der alten Frau Oberheimer sicherlich noch etliche Jahre gönnte, war es ja absehbar, dass die Wahrscheinlichkeit, dass auch sie sterben wird, mit jedem Jahr steigt und deshalb empfahl ich ein Familiengrab. Das entsprach auch dem Wunsch der Kundin. Das heisst, es entsprach dem Wunsch der Frau, bis sich die Tochter einmischte:

„Ach was? Verdienen Sie da etwa auch mit? Das Grab ist ja drei mal so teuer und ich finde das ist typisch für einen Bestatter, dass er die Leute immer zu etwas Teurem überreden will.“

„Ich kann nur Vorschläge machen, Ihnen aufzeigen, was sinnvoll ist, die Preise und Zusammenhänge erklären; was Sie jedoch letztendlich entscheiden, ist aber allein Ihre Sache.“

„Das kennt man doch! Immer erst das Teure anbieten und die günstigen Alternativen nicht erwähnen. Was ist zum Beispiel mit den anonymen Urnengräbern, die sind doch besonders günstig und von denen haben Sie noch gar nicht gesprochen.“

Mann! Da hat sie mich aber erwischt! Wow! Ich sagte: „Das, sehr verehrte Frau Mösenberger-Oberheimer, liegt in erster Linie daran, dass Ihr Herr Vater nicht eingeäschert werden soll.“

„Ich wollte es ja nur mal ansprechen.“

So ging es auch bei anderen Fragen weiter. Zum Beispiel bei der Frage, ob der Verstorbene noch einmal offen aufgebahrt wird.

„Ja, das möchte ich gerne, ich möchte von meinem Mann noch einmal Abschied nehmen können“, sagte die Mutter, doch die Tochter legte gleich ihr Veto ein: „Kostet das nicht mehr? Wir wollen alles ganz schlicht.“

„Nein, das kostet nichts zusätzlich.“

„Na also“, sagte die Mutter, doch die Tochter blieb hart: „Nein Mutter, lass ihn das wieder streichen, Papa hätte das nicht gewollt.“

„Papa! Der hat nie irgendwas gesagt! Ich weiß bloß, daß er nicht verbrannt werden wollte. Nein, ich möchte gerne daß er aufgebahrt wird, Onkel Franz kommt auch und der wird ihn sicherlich sehen wollen.“

„Wenn das aber doch was extra kostet…“

„Tut es aber nicht“, wendete ich ein.

Das meiste Theater veranstaltete die Mösenober-Bergerheimer beim Sarg. Ich habe schon x-mal geschrieben, daß wir den Leuten nie was aufschwatzen. Erstens bringt das nicht, außer einem schlechten Ruf und zweitens egalisiert sich das sowieso immer irgendwie. Will heißen, unterm Strich kommt immer was raus.

Es sollte eine Erdbestattung werden, da kann man nicht den einfachsten Feuerbestattungssarg nehmen. Umgekehrt ist es kein Problem: Man kann auch den schwersten Erdbestattungssarg aus japanischer Zirbelkiefer ins Feuer schieben, aber einen leichten Nadelholzsarg ohne Erddrucksperren usw. kann man nur im Notfall für eine Erdbestattung nehmen. Die Feuchtigkeit würde ihn schnell aufweichen, die Verbindungen würden aufplatzen, der Sarg sehr schnell zusammenfassen. Man kommt ja auch nicht auf die Idee, einen Fahrradschlauch mit Klopapier zu flicken, das eine ist eben nicht für das andere gemacht.

Das erkläre ich den beiden auch. Frau Obernheimer möchte sowieso einen hellen Eichensarg, so einen habe schon ihr Vater gehabt und dunkle Särge hätten so etwas Tristes. Die Tochter hat inzwischen ihre Brille aufgesetzt, studiert die Preise an allen ausgestellten Särgen und schüttelt ständig den Kopf. „Das ist ja die Höhe, der hier kostet ja viermal so viel wie der da drüben und der hier ist doppelt so teuer wie der Helle und der Dunkle da kostet ja sogar noch mehr.“

Ich denke: „Du kannst Dir ja mal selbst einen schnitzen!“, sage aber: „Wir haben auch preisgünstige Modelle, der hier zum Beispiel.“ Ich deute auf einen sehr schönen und stabilen Nadelholzsarg, der in Eiche hell gebeizt ist und viel mehr hermacht, als er kostet. Der, den sich die Mutter ausgesucht hat, kostet 1750 Euro, ich empfehle ein durchaus ähnlich aussehendes Modell, das aber nur 1100 Euro kostet, doch die Obermöse tippt auf den preiswertesten Verbrennungssarg, der an diesem Tag in der Ausstellung stand und sagt: „Der hier, der wäre nicht schlecht, nicht wahr Mutter, den nehmen wir!“ 425 Euro, ein ganz glatter Nadelholzsarg ohne Schnitzereien, ja sogar ohne Griffe, helles Holz eben, ein bißchen IKEA…

„Nein, den mag ich nicht, der ist doch nicht schön“, wehrt sich die Mutter.

Ich sage nochmals meine Litanei, daß es mir im Grunde egal sei, welchen Sarg sie letztendlich nehmen, daß die Modelle hier auf der rechten Seite aber nicht geeignet sind, da sie wirklich nur für eine Feuerbestattung taugen.

„Ha! Sehen Sie, da haben wir es wieder! Sie wollen uns nur was Teures verkaufen! Ich habe da schon was im Fernsehen gesehen, wissen Sie?“

Was kann ich anderes tun, als meine redlichen Absichten zu beteuern und um das zu unterstreichen, zeige ich den beiden Frauen noch ein Modell aus Kiefer, ebenfalls schlicht, aber für Erdbestattungen geeignet, dessen normaler Preis bei über 700 Euro liegt: „Den könnten Sie für 500 Euro bekommen, da komme ich Ihnen aber schon sehr entgegen.“

„Jaja, das kennt man doch, wenn Sie so ratzfatz mal eben ein paar hundert Euro runtergehen, dann können Sie uns den auch für 425 Euro geben.“

Nein, kann ich nicht und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun, nicht für die Obermöse!
Mir tut die Mutter Leid. Die steht inzwischen recht hilflos hinter ihrer Tochter, wirft mir schon fast entschuldigende Blicke zu und schnieft in ihr Taschentuch.

„Wir nehmen den hier!“, kommandiert die mit dem Doppelnamen und deutet auf den Verbrennungssarg.
Die Mutter hebt hilflos die Schultern und nickt.

Ich überspringe mal das Theater, das sich um die restlichen Dinge ergab. Es kann sich jeder denken, in welchem Stil das weiterging.
Im Beratungsraum fülle ich den Rest der Unterlagen aus und als es darum geht, auf wen die Rechnung laufen soll, meldet sich die Tochter: „Auf meinen Mann! Der ist in höherer Position und kann das von der Steuer absetzen. Mutter, Du gibst mir dann das Geld!“

Nun kann ich zwar die Rechnung dem Mann schicken, aber Vertragspartner kann nur sein, wer vor mir sitzt und unterschreibt. Das mache sie, sie würde sich sowieso um alle Finanzen kümmern, meint die Oberhausen-Möse, nimmt mir den Kuli aus der Hand und unterschreibt den Auftrag mit großem Wallewalle.

Auf die Vollmacht, die es als Nächstes zu unterschreiben gilt, scheibe ich noch dazu:

„Ich wurde darüber informiert, daß das gewählte Sargmodell nicht für Erdbestattungen geeignet ist und stelle das Bestattungshaus XYZ von allen hieraus erwachsenden Ansprüchen frei.“

Sie schaut mir zu, nimmt dann die Vollmacht und unterschreibt sie.

Die Beerdigung verlief soweit ganz normal, der Pfarrer erzählte mir später, es habe ihn schon etwas verwundert, daß eben diese Tochter nach der Trauerfeier zu ihm gekommen sei und ihm einen Umschlag in die Hand gedrückt habe. Das allein sei ja nichts Ungewöhnliches, viele Menschen geben da noch etwas für die Gemeindekasse, aber dass da eine Visitenkarte mit einem aufgeklebten 2-Euro-Stück drin gewesen sei, habe er doch schon als etwas schofelig empfunden.

Es geht ein halbes Jahr ins Land, da erhalte ich ein Schreiben vom Anwalt der Mösenhauser-Oberschlumpfs. Ich hätte einen fehlerhaften, weil zu instabilen Sarg geliefert und nun sei das Grab weit vor der Zeit dramatisch abgesunken und ich solle bitte für die dadurch notwendig gewordenen gärtnerischen Arbeiten 1.900 Euro überweisen.

Auf dem Friedhof schaue ich mir das an. Tatsächlich, es ist eine enorme Kuhle im Grab und die schönen Blumen sehen aus, als würden sie gleich ganz in der Erde versinken. Das ist natürlich doof.
Am Besten ist es, man spricht über sowas. Also rufe ich die Obermöse an. „Mit Ihnen rede ich gar nicht, das läuft alles über unsere Anwälte!“
Ich versuche es bei der Mutter. Ja, so sei sie eben, ihre Tochter.

Wir übergeben die Sache dem Anwalt. Unser Argument: Wir haben ausführlich beraten, die Familie habe sich trotz besseren Wissens für ein ungeeignetes Sargmodell entschieden und somit läge das Weitere außerhalb unserer Zuständigkeit.

Die Anwälte schreiben viele Briefe, das bringt bestimmt Geld und ich bin abermals erstaunt, was so ein gegnerischer Anwalt alles für Frechheiten unterstellen darf, ohne daß man ihm auf die Fresse hauen darf.
Nach seiner Darstellung habe ich quasi die beiden Frauen quasi an ihren Haaren durch den Laden gezogen, ihnen diktiert, was sie kaufen müssen und dann mit vorgehaltener Waffe die Unterschrift erzwungen.

Zwei Gerichtstermine, zu denen nur die Anwälte hin müssen, bleiben erfolglos. Die gegnerische Partei will jetzt nicht nur den Schaden ersetzt haben, sondern auch noch die Kosten für die ganze Beerdigung zurückhaben. Und ich könne froh sein, daß man nicht darauf bestehe, den Verstorbenen wieder auszugraben, um ihn dann auf unsere Kosten in einem anständigen Sarg eines Konkurrenten erneut zu bestatten.
Insgesamt sind bis heute zwei Jahre ins Land gegangen. Doch vorher war noch der dritte Termin, persönliches Erscheinen ist angeordnet. Ich sehe die Obermaus-Katzenschreck zum ersten Mal wieder, sie kann mir nicht in die Augen schauen. Ihr Anwalt ist vom Typ tollwütiger Terrier, zitiert ständig irgendwelche Bestattergeschichten aus Zeitschriftenausschnitten, will dem Richter klar machen, daß alle Bestatter Gauner sind.

Der Richter lässt aber eigentlich keinen Zweifel daran, dass er eher unseren Standpunkt versteht.
„Hat der Beklagte Ihnen gesagt, daß so ein leichter Sarg in der Erde schnell zusammenbrechen kann?“

„Nein nicht wirklich, er hat gesagt, das gehe sehr viel schneller, als bei einem Erdsarg.“

„Also hat er es Ihnen doch gesagt?“

„Ja aber ich dachte, das dauert so zehn, zwanzig Jahre.“

„Sie haben doch auch unterschrieben, dass Sie darüber informiert wurden.“

„Ja aber der Mann hat uns ja so verrückt gemacht, daß ich am Ende gar nicht mehr wußte, was ich da unterschreibe und daß der da noch was dazugeschrieben hat, das alleine ist ja schon dubios.“

Nein, das fände er ganz normal, meint der Richter, denn nach seiner Kenntnis unserer Geschäftsbedingungen sind Nebenabsprachen nur gültig, wenn sie schriftlich fixiert worden sind und genau das hätte ich doch getan.

Die Mutter wird als Zeugin gehört. Sie schaut immer wieder ängstlich zur Tochter, sagt dann aber, sie habe sich gut behandelt gefühlt und es als etwas schäbig empfunden, daß ihre Tochter bei uns sogar die angebotene Tasse Kaffee abgelehnt habe, und das auch noch mit den Worten ‚das schlagen Sie uns hinterher nur auf die Rechnung drauf‘.

„Mutter!“ entfährt es der Tochter, was der einen bösen Blick des Vorsitzenden einbringt.

Nee, der fällt kein Urteil, der will einen Ortstermin mit einem Sachverständigen. Der kam dann auch zu uns, schaute sich im Lager den betreffenden Sarg an und schon ein halbes Jahr später ist Ortstermin. In Zivil sieht der Richter ganz anders aus.

Während wir da alle stehen und uns die Grube anschauen, kommt Herr Friedel vorbei. Der ist Gärtner und wohl von der Familie beauftragt worden, das Grab zu pflegen. Ungefragt mischt der blöde Wichtigtuer sich ein und gibt dann aber zum Besten, er sei ja extra mehrfach mit seinem kleinen Traktor und dem 1000-Liter-Fass auf dem Hänger da hingefahren und habe alle paar Tage 500 bis 800 Liter Wasser ins Grab laufen lassen.
Der Sachverständige stutzt und erkundigt sich näher. Naja, das Grab sei relativ schnell ein kleines bißchen abgesunken, das habe er als Gärtner aber für vollkommen normal gehalten, weil sich die Erde immer setzt und manche Gräber erwiesen sich da als Fass ohne Boden, da sackt die Erde jahrelang ständig. Die Klägerin sei dann zu ihm gekommen und habe gesagt, das liege bestimmt am schlechten Sarg und man solle mal kräftig wässern, damit die Erde schneller sackt und man dann richtig auffüllen kann. Das habe er dann wunschgemäß so gemacht.
Ja ob er denn nicht wisse, daß bei einer solchen Sturzbewässerung der Sarg ganz bestimmt schnell kaputt gehe, will der Sachverständige wissen und auch der Richter und sein Schreiberling sind sehr interessiert. Jaja, das wisse er und das habe er der Klägerin auch gesagt.

Ich bin sehr gespannt!

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(©si)