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Martin

Man meint ja immer, daß nur Homosexuelle, Prostituierte und Drogensüchtige oder arme Menschen in Afrika AIDS bekommen können. Bei Martin Steubel ist das anders, kein Mensch weiß, wie er an den HI-Virus gekommen ist. Seine Frau Monika empfindet das als besondere Tragik, zerknüllt verzweifelt ihr Taschentuch und schluchzt laut.

Ihre Mutter bringt die beiden Kinder nach oben, damit Monika und ich uns über die Bestattung des erst 41-jährigen Mannes unterhalten können. Das Wohnzimmer der Steubels ist gemütlich, hell, warm und sehr geschmackvoll eingerichtet. Frau Steubel kann nicht stillsitzen, sie ist von innerer Unruhe getrieben, steht alles Nase lang auf, holt mal Tee, mal Zucker, muß mal, holt dann wieder Taschentücher, muß wieder Tee nachschenken und irgendwann wird mir das zu bunt und als sie wieder einmal aufspringen will, lege ich meine Hand auf ihren Arm und beruhige sie ein bißchen.

„Es ist ja nicht nur weil Martin jetzt tot ist, damit haben wir ja gerechnet, das haben wir ja gewußt, aber ich weiß jetzt so gar nicht, wie es jetzt weitergeht und das macht mich ganz kirre“, sagt sie und ich kann sie nur zu gut verstehen.

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Wer beschäftigt sich schon in normalen Zeiten mit dem Thema Tod, Trauer und Bestattung? Kaum einer! Da ist es kein Wunder, daß die meisten Menschen im Falle eines Falles ziemlich hilflos dastehen und nicht wissen was jetzt alles passieren wird.
Das ist ja auch mit ein Grund warum ich dieses Weblog schreibe, um eben dieses Thema ein wenig aus dem Tabu zu holen und die Vorgänge transparenter zu machen und zu erklären.

Ich erkläre Frau Steubel die nächsten Schritte ganz genau. Am meisten Angst hat sie, daß sie ihren Mann, den meine Angestellten etwa anderthalb Stunden vorher zu Hause abgeholt haben, nicht mehr wiedersehen kann und daß sie ihn dann vielleicht auch nicht wiedererkennt oder daß wir irgendwas mit ihm machen, was sie nicht möchte.
Da kann ich sie beruhigen und erläutere ihr, daß wir zunächst mal gar nichts machen, sondern erst einmal das Gespräch jetzt mit ihr abwarten und daß auch danach nichts geschieht, über das sie sich den Kopf zerbrechen muß.

Die Frau ist dankbar, ringt sich sogar ein tapferes Lächeln mit zusammengepressten Lippen ab.

Die sachlichen Dinge sind recht schnell erledigt. Martin Steubel wird eingeäschert und es gibt später eine Beisetzung der Asche in einem Beisetzungswald. Mit der Kirche haben die Steubels nicht viel am Hut, mir scheint es, daß sie eher einer Form der Ökoesoterik oder so anhängen, jedenfalls spricht sie viel von der Allmacht der Natur und auch der für alles Unbelegbare immer halten müssende feinstoffliche Bereich bleibt nicht unerwähnt.

„Wir machen eine Riesenparty für den Martin. Alle seine Freunde sollen kommen… meine Güte, das werden bestimmt viele… ich weiß jetzt gar nicht, nee, ich habe keine Ahnung, meine Güte…“

„Was ist denn das Problem?“ frage ich und sie macht mit den Armen eine hilflose Bewegung und sagt: „Na schauen Sie sich doch mal hier um, hier ist es doch viel zu eng für sowas.“

„Das ist doch überhaupt kein Problem, wir können die Feier für Ihren Mann doch bei uns in der Trauerhalle machen.“

Monika Steubel ist erleichtert als ich ihr Bilder von der Halle zeige, das gefällt ihr und sie stimmt zu. Ob man denn die Bestuhlung umstellen könne, sie habe an einen großen Kreis gedacht und sicherlich wolle ihr Bruder das alles dekorieren.
Auch das ist kein Problem und vor allem gibt es keine zeitliche Beschränkung, auch das findet sie gut.

Über den Sarg will ich gar nicht so lange mit ihr sprechen. Bei einer Trauerfeier mit der Urne sieht ja kein Trauergast den Sarg und da können wir den allereinfachsten Verbrennersarg nehmen, das spart Geld und der erfüllt seinen Zweck.
„Ja schon“, das können wir so machen“, meint sie, gibt aber zu bedenken: „Wir haben uns vorher schon überlegt wie der Sarg aussehen soll. Ich möchte ihn gerne mit den Kindern gemeinsam anmalen. Geht das?“

„Aber sicher doch“, sage ich und ich merke, daß der Frau schon wieder eine Sorge weniger auf dem Herzen liegt. Gerade die einfachen Kiefernsärge, die ja roh und unlackiert sind, lassen sich besonders gut für so etwas hernehmen. Ich muß ganz ehrlich sagen, daß mir diese einfachen naturfarbenen Särge fast am Besten gefallen. Schlicht in der Form, nur natürliches, unbehandeltes Holz, die Maserung ganz naturbelassen. Außerdem riechen diese Särge besonders gut nach Harz, Baum und Wald.

Wir sprechen ab, wann die Frau mit ihren Kindern kommen will, um diese Arbeit zu verrichten und ich bin schon an der Tür, da hält mich Monika noch einmal am Arm fest. Ich merke, daß ihr noch etwas auf den Nägeln brennt und warte einfach ruhig und versuche dabei ein Gesicht zu machen, daß ihr Mut macht, das zu sagen, was sie loswerden will. Schließlich sagt sie: „Wenn Martin angezogen wird, darf ich dann dabei sein und mithelfen? Ich weiß, daß das in Deutschland bestimmt verboten ist, aber ich denk‘ ich frag einfach mal…“

„Kein Problem“ sage ich und wir verabreden uns für den Nachmittag.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#martin

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