Geschichten

Nur ein Pfund Äpfel wollte er holen

Der Rechtsanwalt Schröpfke, der Architekt Schmidt und der Straßenbahnfahrer Möbius haben ganz was Tolles vor und kommen ausgerechnet zu mir, um mich zu fragen, ob ich da mit mache.
Der Rechtsanwalt ist Mitglied irgendeiner Kirche, dabei spielt es keine Rolle, ob es die Mormonen, Jehovas Zeugen oder die Neuapostolischen sind. Wichtig ist nur, daß die Gemeinde, zu der er gehört, gute Beziehungen zu einem afrikanischen Dorf haben, das sie seit Jahrzehnten mit Geld und Hilfsgütern unterstützen.

Jetzt haben sie die Idee, hier ein paar Autos gebraucht zu kaufen, damit nach Afrika zu fahren, selbstverständlich ordentlich was zu erleben, aber in erster Linie, die Autos dann in Afrika zu versteigern und den Erlös wiederum diesem Dorf zu Gute kommen zu lassen.

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Was Ähnliches ist da vor drei Jahren schon mal gemacht worden und da waren fast 100.000 Euro herausgekommen, für die man Brunnen und eine Schule und eine kleine Siedlung gebaut hat. In Afrika geht sowas alles für 100.000 Euro.

Durch den Abenteuercharakter gelingt es immer wieder, geeignete Leute zu finden, die eben auch ein Auto stiften können, es muss ja kein tolles Auto sein, nur bis Afrika muss es kommen.

Nur bin ich nicht geeignet, ich bin nicht reich und ich schaffe das derzeit auch gesundheitlich nicht. Schade. Aber natürlich war ich von diesem Zeitpunkt bestens über diese Tour informiert, habe jeden Tag verfolgt, was die Leute im Netz berichtet haben und wie weit sie schon gekommen sind.

Dann komme ich zur Gemüsefrau und die sagt mir:
„Was habe ich gehört? Sie wollten auch mit nach Afrika? Das haben Sie aber richtig gemacht, daß Sie da die Finger von gelassen haben.“

„Warum? Das ist doch eine gute Sache.“

„Finden Sie? Also die Frau Birnbaumer-Nüsselschweif, die hat mir gesagt, das sei doch alles Lug und Trug und Schaumschlägerei.“

„Wieso das denn?“

„Da müssen Sie sie mal selbst fragen, da kommt sie ja gerade.“

Nichts liegt mir inzwischen ferner, als mit der Birnbaumer-Nüsselschweif ein längeres Gespräch zu führen. Ich habe sie schon längere Zeit nicht mehr gesehen, was ich für einen Vorteil halte.
Meine Güte, die ist noch dicker geworden! Ihr Doppelkinn reicht bis zum Dekolleté und vom Kinn selbst ist nichts mehr zu sehen. Ihre Pausbacken, die etwas hamsteriger sind, als die der Kanzlerin, sind faltenfrei und rund, was ihrem Mund etwas seitlichen Druck verleiht, sodaß es aussieht, als spitze sie die ganze Zeit etwas die Lippen.
Die Handtasche trägt sie am Riemen quer vor der Brust, damit sie ihr nicht gestohlen werden kann und seit sie in der Zeitung gelesen hat, daß irgendwo in Deutschland ein Sexualstraftäter auf dem Freigang entwichen ist, trägt sie nur noch Cordhosen aus grobem Trenkercord. Angeblich soll das Tragen solcher Hosen Frauen wirkungsvoll vor einer Vergewaltigung schützen.

Unwillkürlich muss ich grinsen, weil ich mir insgeheim vorstelle, wie da so ein Männlein auf diesem Butterberg herumzappelt.

„Ach Gott! Haben Sie zugenommen?“ sagt sie zu mir anstelle einer Begrüßung und begutachtet mich von oben bis unten.

„Nein“, sage ich, „ich trage nur seit neuestem Einlagen, die machen das.“

„Wir reden gerade über die Afrika-Fahrer“, mischt sich die Gemüsefrau ein und wie aufs Stichwort fängt die Birnbaumerin an, ihren Text abzuspulen:
„Das ist ja wohl die Höhe! Haben Sie das in der Zeitung gelesen? Ich habe ja gedacht, mich trifft der Schlag! Da fahren die nach Afrika, stellen Sie sich das mal vor! Ein Rechtsanwalt und ein Architekt!“

„Und was ist daran so schlimm?“ frage ich.

„Schlimm? Haben Sie mir denn nicht zugehört? Ein Rechtsanwalt und ein Architekt!“

„Ja, das habe ich verstanden. Und ein Straßenbahnfahrer fährt auch noch mit.“

„Als ob ein Anwalt und ein Architekt nicht genügend Geld hätten. Fürchterlich, diese Geldgier! Da kaufen die hier Schrottautos, die nur noch in Afrika einen Wert haben, und dann ziehen die den armen Afrikanern das Geld aus der Tasche, um sich zu bereichern. Das ekelt mich an. So ein Architekt verdient ja wohl selbst genug, der muss nicht noch die Afrikaner bescheißen.“

„Die bescheißen doch niemanden. Die Afrikaner sind erstens froh über die Autos, die sie sehr günstig bekommen und die bei uns auf dem Schrott landen würden, dort aber noch zehn Jahre gefahren und repariert werden. Und außerdem stecken die sich das Geld doch gar nicht in die eigene Tasche, sondern lassen es gleich wieder in Afrika. Jeder von denen steckt fast 10.000 Euro aus eigener Tasche da rein.“

„Sag ich doch, alles in die eigene Tasche! Ich bin die Vorsitzende vom Mütterkreis… Ja, gucken Sie nicht so, ich bin da wieder reingewählt worden. Das war nur eine vorübergehende Sache, daß die mich abgewählt hatten. Und wir Mütter, wir machen was für Afrika, seit Jahren. Da lenken solche albernen Kirmesaktionen von reichen Architekten und Rechtsanwälten nur ab. Jetzt denken die Leute, es sei schon genug für Afrika getan und dabei haben sich da nur ein paar Leute, die es weiß Gott nicht nötig haben, auch noch die Taschen voll gemacht.“

„Aber das stimmt doch so gar nicht, das ist doch ganz anders…“

„Nix da! Ich bin hier für Afrika zuständig! Die hätten ja auch mal beim Mütterkreis anfragen können, ob wir was machen und sich da dran beteiligen können.“

„Was macht denn der Mütterkreis? Woran hätten die sich denn beteiligen können?“

„Wir? Wir stricken dicke Wintermützen mit Ohrenschützern.“

„Au prima, das braucht man ja bekanntlich in Afrika ganz besonders dringend.“

„Quatsch, die sind doch nicht für die Neger, die sind für unsere Leute hier.“

„Und die sollen dann mit den Ohrenklappenmützen nach Afrika fahren, um die dort zu versteigern?“

„Sagen Sie mal, wollen Sie mich verarschen?“

„Ja.“

„Die Mützen wollen wir auf dem Batzar (sie sagt wirklich Batzar und spricht es so aus: Batzarr mit zwei kurzen A und gerolltem R, Betonung auf TZ) verkaufen. Und der Erlös, der kommt in meine Kasse. Davon tun wir dann sehr viel Gutes.“

„Ach wissen Sie was, Frau Birntraumer-Rübenschweif, ich glaube, Sie sind bloß neidisch auf die. Deren Aktion steht immer wieder in der Zeitung und von Ihnen kommt nichts außer Ohrenmützen. Und die kriegen vielleicht wieder 100.000 Euro zusammen, da fahren ja Autos aus vielen Städten mit, und Sie, sie kriegen am Ende 80 Euro für monatelanges Mützenstricken.“

„Die von der Zeitung sind ja sowieso doof. Ich bin Bundesverdienstkreuzträgerin am Bande!“

„Das sieht man an Ihrer Handtasche, der Gurt da quer über ihrer Brust, sieht aus wie eine schmale Schärpe.“

„Jetzt werden Sie mal nicht frech! Meinen Sie, ich merke das nicht, dass Sie immer so spitzfindig sind und mich okkupieren wollen.“

„Was will ich?“

„Sie wollen mir Ihre Meinung aufokkupieren, mich quasi einhalluzinieren!“

„Haben Sie zuviel im Fremdwörter-Duden gelesen?“

„Was soll denn das jetzt heißen. Sie sind ganz schön frech.“

Im Hintergrund steht die Gemüsefrau mit dem Telefon in der Hand und ruft ihre besten Kunden an, um sie schnell in den Laden zu bestellen, weil hier sicher gleich die Fetzen fliegen.
Doch ich habe nicht vor, mich mit der Birnbaumer zu prügeln.
Ich weiß, wie ignorant und selbstbezogen diese Dicke ist und daß sie sowieso keine Argumente oder Erklärungen gelten lässt. Es zählt bloß ihre Meinung und bei was Anderem hört die gar nicht zu.

„Die sind ja sowieso in Sekten“, brabbelt die Dicke und ich frage natürlich zurück:
„Was für Insekten?“

„Nicht Insekten, ich sagte in Sekten.“

„Ja wie jetzt, Insekten im Sinne von Krabbeltier, In Sekten im Sinne vom Plural des Wortes Sekt, also Schaumwein, oder in Sekten, im Sinne von Nebengruppen religiöser Bewegungen?“

„Sie, das muss ich mir nicht sagen lassen, ich habe mich nicht religiös bewegt! Die Gemüsefrau ist meine Zeugin! Gell, Sie haben das gesehen, daß ich ich nicht religiös bewegt habe, oder?“

„Ich“, sagt die Angesprochene und hält der Dicken eine Packung hartgekochter, bunter Eier hin: „Ich habe gar nichts gesehen und nicht gehört. Eichen? Lecker Eichen?“

Irgendwie komme ich mir vor, wie in einem Stück von Dario Fo, der einmal sagte: „Wir waten bis zum Hals in der Scheiße, aber genau deshalb tragen wir den Kopf hoch erhoben!“

Die Birnbaumer kann nicht anders und mehr reflexartig greift sie bei den bunten Eiern zu, pellt sich eins und stopft es sich in den Mund. Das Kauen scheint sie zu beruhigen und ihre rosa Gesichtsfarbe weicht einem entspannten helleren Farbton.
Sie hört auf zu kauen und ich muss sagen, daß der helle Farbton eher aussieht wie ein Hellgraugrünpink.
Noch einmal will sie was sagen, es bröckelt nur furztrockenes Eigelb aus ihrem Mund, dann gibt es einen Schlag und die Birnbaumer-Nüsselschweif liegt röchelnd auf dem Boden, zuckt mit den Füßen,

„Was ist denn jetzt los?“ entfährt es mir und die Gemüsefrau hüpft mit einer Salatgurke in der Hand hinter der Theke auf und ab: „Die ist tot, die ist bestimmt tot! Und das in meinem Laden! Mein Gott, was für eine Geschichte, was für eine tolle Geschichte!“

„Hören Sie doch auf!“ rufe ich und beuge mich über die am Boden liegende Dicke. „Man muss glaube ich den Puls fühlen. Sie rufen den Notarzt und ich guck mal, ob die noch lebt.“

Während sie wählt, sagt die Gemüsefrau: „Das kann ja so schwer nicht sein, da muss man am Hals fühlen.“

„Ich kann Ihnen sagen, ob jemand definitiv tot ist, ob jemand noch lebt, das ist schon etwas schwieriger. Und vor allem, wo fühlt man am Hals den Puls, wenn jemand keinen Hals hat, sondern nur so’n Speckkragen?“

„Sie müssen ihr einen Spiegel vor den Mund halten!“

„Ich habe aber keinen Spiegel.“

„Dann stechen Sie sie mit einer Nadel.“

„Ins Herz oder was?“ gebe ich genervt zurück und versuche die Dicke in die stabile Seitenlage zu rollen. Das gelingt mir nicht, es ist so, als wolle ich eine Lawine den Berg wieder hinaufschieben.

„Der Notarzt kommt gleich!“

„Helfen Sie mir lieber! Wir müssen gucken, ob die was im Hals hat, vielleicht erstickt die am Ei.“

„An meinen Eiern ist hier noch keiner erstickt. Meine Eier sind gut. Die sind bio!“

„Irgendwie lebt die noch, die Brust geht rauf und runter, die atmet!“

„Sie gucken der auf die Brust?“

„Was soll ich denn machen?“

„Sie haben doch gesagt, man muss das Ei aus ihrem Hals holen.“

„Schon, aber ich hab nicht gesagt, daß ich das mache. Ich packe der doch nicht in den Hals. Nachher bin ich gerade mit der Hand in ihrem Schlund und dann beißt die zu!“

„Sie sind doch blöd. Los, wir drehen die jetzt um und dann holen wir das Ei raus!“ sagt die Gemüsefrau und zieht sich einen armlangen grünen Gummihandschuh an.

Ich sage: „Wollen Sie das Ei rektal da raus holen?“

„Rek…was?“

„Warten Sie mal“, sage ich, „so schlecht ist diese Rektalidee gar nicht, dann kann die wenigstens nicht beißen?“

„Ich verstehe kein Wort von dem was sie sagen. Los jetzt, hau ruck!“

Es gelingt uns, die Dicke in die stabile Seitenlage zu bringen. Das heißt, ganz kurzzeitig befand sie sich mal sehr vorschriftsmäßig in dieser Lage. Nur, wer weiß schon 30 Jahre nachdem er seinen Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein gemacht hat, noch so ganz genau, welches Bein da angewinkelt werden muss? Jedenfalls rollt uns die dicke Frau aus der kurzzeitig stabilen Seitenlage auf den Bauch.
Genau in dem Moment hört man draußen die Signale des Notarztes und er Polizei und während wir noch an der Birnbaumer ziehen und schieben, passiert gleichzeitig Folgendes:

Ein Polizist kommt rein und ruft: „Lassen Sie sofort die Frau los!“
Der Notarzt schiebt den Ordnungshüter an die Seite und stürmt herbei.
Die Birnbaumer kotzt ein halbes Ei aus dem Hals.
Die Gemüsefrau sagt: Der da war’s!“ und zeigt mit dem Finger auf mich.
Die Birnbaumer setzt sich auf und sagt: „Ich hab‘ das Bundesverdienstkreuz.“

Ich gehe gerne einkaufen.

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