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So kommt jeder zu seinem Ding

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Herr Prosperius war früher mal Rechtsanwalt und ist dann viele Jahre in der Kommunalpolitik unter anderem als Stadtrat tätig gewesen. Man kann also mit Fug und Recht sagen, daß er zu den Prominenten hier gehört. Pünktlich zu seinem 63. Geburtstag hatte er aber alle Ämter niedergelegt und sich komplett aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen.

Er wolle sich seiner Frau und seinen Kindern und Enkeln widmen, die in all den Jahren eindeutig zu kurz gekommen seien. Mehr als 240 Abendtermine jedes Jahr hatten ein geregeltes Miteinander nahezu unmöglich gemacht.
Als Hobby hatte sich Herr Prosperius die Fotografie ausgesucht und war in Kreisen der Kunstinteressierten zu einer bekannten Größe geworden. Als Leiter der Künstlerinitiative Haderer Wollmühle hatte er Künstler der verschiedensten Fachrichtungen unter dem Dach eines ehemaligen Industriekomplexes zusammengetrommelt und mit diesen regelmäßig Ausstellungen veranstaltet.

Nun ist er tot.

Ja und nun sitzt mir seine Frau gegenüber und ist ratlos.
Ihr Mann sei einer von der Sorte gewesen, die nie über das Thema Tod hätten sprechen wollen und was er gesagt hat, das war: „Wenn ich mal nicht mehr bin, dann verbrennt mich und streut die Asche im Garten auf die Radieschen, bloß kein großes Brimborium! Oder verscharrt mich irgendwo im Wald, wo sich Fuchs und Hase eine gute Nacht wünschen, aber ohne großes Theater.“

Kaum war aber bekannt geworden, daß Dr. h.c. Bernward Prosperius verstorben ist, hatten wir schon den persönlichen Referenten des Oberbürgermeisters an der Strippe, der die persönlichen Wünsche der Stadtobrigkeit bezüglich der Bestattung kundtat.

Große Messe in Sankt Anna-Bolika, Gedenkfeier im großen Ratssaal und anschließend noch eine Trauerfeier in der großen Halle auf dem Hauptfriedhof. Selbstverständlich stelle die Stadt ein Ehrengrab (Klasse 2).

Ja, wer denn das alles bezahle, wollte ich wissen und hörte daraufhin nur ein: „Äh…“

„Ja, Sie können natürlich Wünsche und Vorstellungen bezüglich der Bestattung äußern, aber letztlich bleibt ja die Frage offen, ob die Angehörigen das auch so wollen und wer das alles bezahlt.“

Da müsse er dann nochmal mit dem Dezernenten sprechen und würde mich dann gleich zurückrufen.
Inzwischen sprach ich mit der Witwe, die völlig entsetzt war bei der Vorstellung, daß so ein Riesentheater gemacht werden soll. „Das wäre nicht im Sinne meines Mannes und ehrlich gesagt haben wir auch gar nicht das Geld für so eine ausufernde Geschichte. Gut, wir nagen nicht am Hungertuch, aber wir haben es uns in den letzten Jahren gut gehen lassen und unseren Töchtern viel zugesteckt. Man soll doch mit warmen Händen geben, heißt es immer. Genau so haben wir es gemacht. Was man zu Lebzeiten gibt, das gibt man zum passenden Zeitpunkt und darüber brauchen sich die Kinder später nicht mehr zu streiten.
Keine Angst, ich habe genug für eine schöne Beerdigung, aber ich kann keine vielen Leute einladen.“

Der Stadtreferent ruft wieder an und erklärt, daß die Stadt die Differenz zwischen dem günstigsten Sarg und einem Eichensarg bezahlt. Außerdem sei die Feier im großen Ratssaal sowie die Messe für die Angehörigen kostenlos, darum kümmere sich die Stadt als Veranstalter. Das Grab sei ein großes Familiengrab in prominenter Lage direkt am Hauptweg und das bekomme die Familie für 30 Jahre auf Kosten der Stadtverwaltung.

Ich fasse zusammen und rechne ihm vor, daß der Familie dann die Pflege Grabes und der Kauf eines entsprechenden großen Grabsteines bleiben und daß die Trauerfeier auf dem Friedhof auch an der Familie hängen bleiben wird.

Ja, so sei das immer in solchen Fällen.

Frau Prosperius ruft an: Sie habe jetzt mal mit ihren Schwiegersöhnen grob überschlagen. Allein aus den Künstlerkreisen und dem privaten Bekanntenkreis komme sie auf etwa 1000 Leute, die zur Beerdigung kommen würden. „Das sind ja allein 1000 Trauerkarten, viele von denen wohnen gar nicht hier und würden eine Anzeige auch nicht lesen. Dann kommen bestimmt mehrere große Anzeigen in die Zeitung und ich muß unsere dann auch so groß machen, das sind auch noch mal 1000 Euro. Wo soll ich denn das Geld her nehmen?“

Sie wolle mal vorbei kommen…

Wir sitzen wenig später zusammen und ohne große Probleme kommen wir auf beinahe 12.000 Euro. Frau Prosperius tippt sich an die Stirn, schüttelt den Kopf und sagt: „Die sollen machen was sie wollen, aber da mache ich nicht mit. Das macht mich ganz fertig und ich weiß jetzt gar nicht mehr, was ich machen soll.“

Ihre Kinder sind ihr keine große Hilfe. Die sind sich uneinig. Die einen meinen, der Vater habe den ganz großen Zapfenstreich verdient, die anderen meinen, man müsse seinen Willen nach wenig Theater respektieren.

Am nächsten Tag treffe ich mich mit dem Stadtreferenten in einem kleinen Büro beim Friedhofsamt.
Wir lassen unsere Köpfe rauchen und ich merke, daß ihm persönlich alles ganz egal ist, er gibt bloß Anweisungen weiter und ist Erfüllungsgehilfe.

Frau Prosperius ruft mich auf meinem Mobiltelefon an. Sie habe auf dem Waldfriedhof einer benachbarten Stadt ein wunderschönes kleines Urnengrab für zwei Personen gesehen, das sei genau das richtige Grab.

Zwei Stunden reden der Referent und ich uns die Köpfe heiß, dann haben wir das Ganze halbwegs in trockenen Tüchern; jetzt muß nur noch die Witwe zustimmen.

Eine der Töchter ist etwas schnippisch, läßt mich fühlen, daß ich derjenige bin der für Geld eine Dienstleistung zu erbringen hat, die andere Tochter und die Schwiegersöhne sind sehr nett und zeigen Dankbarkeit dafür, daß ich mich so reingekniet habe.
Vorsichtig unterbreite ich den gefundenen Kompromiss:
Die Druckerei der Stadt übernimmt den Druck der Trauerkarten, den Versand an Privatleute die Familie, den Versand an andere Personen die Stadt. Die Größe der Traueranzeigen von Dritten wird an die Größe der Anzeige der Familie angepasst.
Es findet eine Trauerfeier in der Kirche statt, da kann kommen wer will, die erste Reihe ist für die Familie reserviert, drei weitere Reihen für die Oberwichtigen der Stadt. Hier können auch die ganzen ehrenden Nachrufe gehalten werden.
Danach wird der Sarg aus der Kirche gefahren und damit ist für die Familie zunächst alles erledigt.
Die Stadt lädt anschließend zu einem Umtrunk mit kalt-warmem Buffet in den Stadtsaal.
Viel später, nach der Einäscherung, wird die Urne im engsten Familienkreis auf dem Waldfriedhof beigesetzt, das große Ehrengrab nimmt man nicht.

Die schnippische Tochter zieht eine Schnute, hält aber den Mund. Die anderen sind hoch zufrieden. „Das finde ich gut, so kommt jeder zu seinem Ding“, sagt Frau Prosperius.

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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 22. Juni 2012 | Peter Wilhelm 22. Juni 2012

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13 Kommentare
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13 Jahre zuvor

Und wo ist der Haken?
So einfach und harmonisch hat das doch bestimmt nicht geendet…
Bestimmt ist die schnippische Tochter zum Bürgermeister gelaufen und hat eine Gewerbeaufsichtsbeschwerde eingelegt, weil du den ehrenwertesten Bürger der Stadt irgendwo in der letzten Ecke heimlich verscharren willst…
Und die Nüsselschweif-Birnbaum kommt dann bestimmt auch und will eine Rede halten…

13 Jahre zuvor

„Ahner bambelt immer die Brutsch!“ so sagt man hier, soll heißen, einer lässt immer die Mundwinkel hängen. Wenn (fast) alle zufrieden sind, ist eine(r) dabei, dem/der das alles gar nicht passt. Wie in dem Fall einer der Hinterbänkler, die aus Prinzip unzufrieden sind.

Big Al
13 Jahre zuvor

@ Kirchendiener.
Na also, noch ein „Mißtrauischer“.
Ich bin nicht allein, juchhu.
B. A.

13 Jahre zuvor

Na, da kommt doch noch was, oder?

Christian
13 Jahre zuvor

Tom, Du kannst Dich in jedem internationalen Unternehmen als Projektmanager bewerben, da wirst Du mit Kusshand genommen. Natürlich nur, falls es mit dem Bestatten nicht mehr funktioniert.
Aber gestorben wird ja bekanntlich immer…

Flamebeard
13 Jahre zuvor

Sowas nenne ich doch mal Krisenmanagement par excellence. ^^

Ma Rode
13 Jahre zuvor

@Kirchendiener: muss es denn immer einen Haken geben? Zugegeben, wir kennen des Undertakers Schreibstil. Aber diese Geschichte hier zeigt ja doch schon eien gewissen Trend zum Häppi End, nämlich Stadt und Familie nebst schnutenziehender Tochter bekommen fast alles, was sie haben wollen. Nur der Herr RA a.D.Prosperius, der wird nicht gefragt … aber wie auch?

Garfield
13 Jahre zuvor

Ich stimme Christian und Flamebeard zu. Da hast Du ganz schön was gestemmt.

MacJunior
13 Jahre zuvor

Wenn bei der Planung zur Trauerfeier von Dritten so heftig mitgemischt wird, stellt sich mir eine Frage.
Besteht die Motivation hierfür wirklich nur „zur Erweisung der letzten Ehre“ gegenüber dem Verstorbenen oder ist ein großer Teil davon mit Selbstdarstellung und Event verbunden ?

Logisch, der Bürgermeister ist in gewisser Weise im Zugzwang. Hält er sich vollständig raus, wird das von Mitbürgern sicher negativ ausgelegt, denn der Verstorbene war ja ein verdienter Mitbürger.
Erstaunlich nun, dass aus der Bürgerschaft noch kein Aufschrei kam. Scließlich wurden öffentliche Gelder für die Trauerfeier verwendet.
Der Bürgermeister kann einem fast schon leid tun.

13 Jahre zuvor

Schön, wenn es so laufen kann.

Was mir das Wichtigste dabei wäre: Dem Manne wird man gerecht. Und zwar in beider Hinsicht. Er selbst hat um eine kleine Bestattung gebeten. Aber die Stadt und seine Bekannten eifern nach einem würdigen Abschied. Hier ist beides verbunden und das finde ich den eigentlichen Clou an der Sache.

Wirklich eine veritable Lösung!

Gruß
Joe

13 Jahre zuvor

*misstrauischguck*
Datt Töchting läßt das doch nicht so einfach mit sich machen?

Sensenmann
13 Jahre zuvor

Sankt Anna-Bolika 😀

Na, das sollte doch ein brauchbarer Kompromiss sein. Bleibt nur zu hoffen, dass das Töchterchen (warum ist es meist die weibliche Fraktion, die da querschießt?) nicht noch dazwischenfunkt und das ganz große Aufgebot zur Beisetzung antanzen lässt.

der Glöckner
13 Jahre zuvor

Sankt Anna-Bolika – wo der Pfarrer noch die Muskeln spielen lässt 😀




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