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p class=“initial“>Dieser Tag hat es in sich! Morgens um drei Uhr hatte eine Familie angerufen, die unbedingt noch in der Nacht eine Beratung und anschließende Überführung ihres verstorbenen Vaters gewünscht hatte. Danach hatte ich versucht, noch wenigstens eine Stunde Schlaf zu bekommen, was mir aber nicht richtig gelungen war.
Ich quäle mich aus dem Bett und nur zwei Tassen frischen Kaffees halten mich halbwegs wach, als ich um kurz vor sieben schon wieder auf dem Weg zu einer Beratung war.
So kommt es, daß ich schon acht Arbeitsstunden auf der Uhr habe, als ich gegen zwölf mit unserem Praktikanten Rolli (siehe auch hier), zu einer Beerdigung auf den Friedhof fahre.
Rolli hatte sich wirklich gemacht, das kann man nicht anders sagen.
Seitdem wir ihm schicke Klamotten besorgt hatten, kam er jeden Morgen in seinem fadenscheinigen Hemdchen und den viel zu kurzen Hosen mit dem Schlabberarsch zur Arbeit und verwandelte sich dann mit etwas Pomade im Haar und dem schönen neuen Anzug in einen wirklich ganz brauchbar aussehenden Büromenschen.
Wie ich schon sagte, war ihm auch keine Arbeit zu viel. Frau Büser sang ein Loblied auf seine Fertigkeit an der Computertastatur und die Schnelligkeit, mit der er tippen konnte.
Manni fand es klasse, daß sich Rolli gleich vom ersten Tag an auch für die Mithilfe bei der Arbeit an den Verstorbenen nicht zu fein war.
Nach etwa zwei Wochen konnte ich nicht anders und mußte eingestehen, daß dieser Abkömmling eines entfernten Zweiges unserer Familie wirklich ein guter Mitarbeiter war.
Meinen Plan, ihn durchs Praktikum zu ziehen und dann fortzuscheuchen, hatte ich aufgegeben und Rolli einen Ausbildungsplatz als Bürokaufmann angeboten.
Mit Tränen in den Augen hatte er das angenommen, noch nie habe ihm jemand eine Chance gegeben und in seinem vorherigen Ausbildungsbetrieb bei der Firma Masermann sei er ja ach so arg gemobbt worden.
Seitdem waren einige Monate vergangen und Rolli hatte sich sehr gut in den Betrieb integriert.
Während ich also mit Rolli zum Friedhof fahre, schaue ich ihn von der Seite an.
Schon seit einigen Tagen war mir aufgefallen, daß der fast 18-jährige häufiger mit glasigen Augen und abwesendem Blick seinen Tagträumen nachhing.
So tat er es auch jetzt und ich beobachte, daß fast neben mir einschläft.
Bei der Beerdigung läuft alles reibungslos, nur hat einer der Schwiegersöhne des Verstorbenen ausgerechnet direkt im Anschluß der Beerdigung noch das Bedürfnis, den Kostenvoranschlag in der prallen Mittagshitze mit mir Punkt für Punkt durchzusprechen.
Müde, genervt und hitzegeplagt steige ich anschließen zu Rolli ins Auto und schalte die Klimaeinlage ein.
Fahren muß ich ja, denn Rolli hat keinen Führerschein.
„Rolli“, hatte ich zu ihm gesagt, nach der Ausbildungsvertrag unterschrieben war: „Ich mache Dir das Angebot, auf Firmenkosten den Führerschein machen zu können. Ja, Du kannst sogar während der Arbeitszeit Fahrstunden nehmen und wenn wenig los ist, kannst Du auch am Computer Fragebögen üben.“
Ach, was hatte sich der junge Mann gefreut. Gleichzeitig hatte ich ihm klar gemacht, daß wenn er gut lernen würde und wenigstens einen Prüfungsabschluß mit befriedigend erreichen würde, ich ihn vielleicht sogar übernehmen würde. Aber eins hatte ich ihm auch gesagt, nämlich daß ich ihn auf keinen Fall behalten würde, wenn er keinen Führerschein hätte.
Die kühle Luft aus der Klimaanlage des Wagens tut mir gut, ich werde wieder etwas frischer, da fragt mich Rolli so ganz nebenbei: „Chef, ich hab da jetzt so’n Job. So nebenbei, so’n Nebenjob. Da hast Du doch nichts dagegen, oder?“
Rolli duzt mich, nennt mich aber Chef, wir sind ja irgendwie verwandt …
Hm, Nebenjob? In der Ausbildung? Das geht ja mal gar nicht! Der soll sich auf seine Ausbildung bei mir konzentrieren und nicht seine Zeit als Frikadellenschubser bei McDonalds oder so vertun. Da steht doch bestimmt irgendwas im Ausbildungsvertrag; oder die Kammer verbietet das.
Das sind meine Gedanken, doch bevor ich nicht die näheren Umstände kenne, will ich nichts dazu sagen und deshalb grunze ich nur unverständlich.
Doch im Büro wird mir dann schnell klar, daß ich dem Auszubildenden nicht verbieten kann, einen Nebenjob anzunehmen. 48 Stunden darf die Arbeitszeit betragen und Rolli arbeitet bei mir nur 38 Stunden, da bleiben ihm noch 10 Stunden, die er auch ohne meine Genehmigung woanders einsetzen konnte.
„Nö, nö, Chef!“ tönt Frau Büser, mit der ich darüber gesprochen hatte, in meine Gedanken: „Der ist ja noch nicht volljährig, der wird erst 18 und deshalb darf der nur 40 Stunden pro Woche arbeiten, also quasi noch zwei Stunden Nebenjob zusätzlich.“
Kurz vor Feierabend steht Rolli in meinem Büro: „Und? Wie ist es mit meinem Nebenjob?“
Ich nicke nur und sage: „Geht in Ordnung. Ich kann Dir das nicht verbieten, ist aber schön, daß Du trotzdem gefragt hast. Bescheid sagen mußt Du sowieso und da Du noch minderjährig bist, darfst Du zwei Stunden pro Woche einen Nebenjob annehmen.“
„Ja, wie jetzt? Nur zwei Stunden? Ich will jeden Abend drei bis vier machen.“
„Als was willst Du denn arbeiten und wo überhaupt?“
„Im Folterkeller.“
Vor meinem geistigen Auge sah ich den schmächtigen, kleinen Kerl in einem schwarzen Latexgewand, wie er badische Jungfern mit einer neunschwänzigen Katze bearbeitet…
„Das ist ’ne Kneipe in der Stadt“, erklärt Rolli dann aber sogleich.
„Ja nee, das geht nicht. Zwei Stunden pro Woche, solange wie Du noch minderjährig bist, danach darf die gesamte Wochenarbeitszeit 48 Stunden nicht überschreiten.“
„Hammer!“ war alles was er noch zu sagen hat, dann geht er.
Weiter sprechen wir zunächst nicht über das Thema, mir fällt aber weiterhin auf, daß Rolli tagsüber müde, unkonzentriert und reizbar ist. Auch die bisher so von ihm angetanen Frau Büser und Manni berichten mir Ähnliches.
Eines Abends, meine Frau und ich kommen aus dem Theater, muß ich eine Umleitung fahren und sehe plötzlich das rot flackernde Schild der Gaststätte „Zum Folterkeller“ an einem der Häuser am Straßenrand.
„Komm, da gehen wir mal rein. Würde mich ja doch mal interessieren, was das für ein Laden ist, wo unser Rolli arbeiten wollte.“
Von „wollte“ kann aber gar keine Rede sein, Rolli arbeitet da. Und wie es aussieht, arbeitet er dort schon länger an diesem Tag und überhaupt. Ja, er scheint sogar so etwas wie der Chef im Ring zu sein, denn er kommandiert zwei ebenfalls sehr jugendliche Bedienungen herum und die etwa 50-jährige Wirtin hinter der Theke ist die ganze Zeit fest in ein Gespräch mit einigen Männern vertieft.
Wir suchen uns einen Platz und bekommen von einer der weiblichen Bedienungen auch bald etwas zu trinken. Erst nach einer guten halben Stunde entdeckt uns Rolli und kommt freudestrahlend zu unserem Tisch. „Schön, daß Ihr da seid! Die Runde geht aufs Haus!“
Die Gaststätte ist von Leuten jeglichen Alters besucht. Um den Billardtisch scharen sich jüngere Leute, an den anderen Tischen sitzen junge und ältere Paare gemischt.
Ein paar schaurige Poster von Guillotinen und Stricken mit Henkersknoten sind alles, was dem Namen „Folterkeller“ Ehre machte, das hätte man besser dekorieren können.
Eine gute halbe Stunde bleiben wir noch, dann gehen wir. Rolli bekommt davon nichts mit, so stark ist er mit dem Herumkommandieren, Zapfen und Tablettherumtragen beschäftigt.
Am nächsten Tag ist er wieder müde und so entwickelt sich das Ganze auch fort. Rolli läßt in seinen Leistungen immer mehr nach und so bleibt es nicht aus, daß ich ihn zu mir bestelle.
„So geht das nicht weiter! Du bist hier in der Ausbildung, Du sollst hier was lernen und da kann es nicht sein, daß Du Dir in einer Kneipe die Nächte um die Ohren schlägst und hier nur noch wie ein Zombie durch die Gegend stapfst.“
Rolli ist geknickt, muckt aber nicht auf, dazu fehlt ihm der Mumm.
„Jetzt mal ehrlich, wieviele Stunden arbeitest Du denn da?“
Rolli druckst erst etwas herum, dann gibt er zu: „Jeden Abend von 20 Uhr bis der Laden zu macht.“
„Und wann macht der zu?“
„Offiziell um eins, aber manchmal auch erst um zwei, je nachdem wie viele Leute dann noch da sind.“
„Das sind ja fünf bis sechs Stunden jeden Tag. Wieviele Tage pro Woche geht das so?“
„Die haben keinen Ruhetag.“
„Das heißt, Du machst das an sieben Tagen die Woche?“
„Ja klar.“
„Da kommst Du ja auf 35 bis 38 Stunden alleine in der Kneipe.“
„Eher mehr.“
„Was?“
„Ja, ich muß ja hinterher noch aufräumen und saubermachen. Ich mach da 45 Stunden die Woche.“
„Nee, das geht nicht! Das kann ich nicht zulassen. Also wirklich nicht. Ich habe Dir doch gesagt, daß Du pro Woche nur zwei Stunden was dazuverdienen kannst.“
„Ja, aber ich werde doch in ein paar Wochen 18, dann bin ich volljährig und kann machen was ich will.“
„Auch Volljährige können nicht machen, was sie wollen. In Deinem Fall kannst Du auch als Volljähriger nur zehn Stunden zusätzlich arbeiten. Das sind so anderthalb Stunden am Tag.“
„Nee, jetzt, oder?“
„Doch.“
„Ich brauch aber die Kohle.“
„Kann ich ja alles verstehen, aber sieh mal, ich gebe Dir hier eine Lehrstelle, einen Ausbildungsplatz. Du sollst hier alle Abteilungen durchlaufen und auch was mitbekommen, was lernen. Wie willst Du denn was lernen, wenn Du nur vier Stunden Schlaf bekommst?“
„Geht doch.“
„Geht nicht. Du siehst aus, wie ein Tuberkulosekranker, bist unkonzentriert und immer müde.“
„Du kannst mir das aber nicht verbieten, Chef!“
„Ich kann Dir nicht verbieten, einen Nebenjob anzunehmen, aber ich kann Dir den Umfang den Dein Nebenjob angenommen hat, untersagen. Ich könnte Dir beispielsweise eine Abmahnung geben. Willst Du denn wirklich Deine Ausbildung gefährden?“
Nein, das will er natürlich nicht und er verspricht am nächsten Tag mit der Wirtin sprechen und seine Stunden zu reduzieren. Na ja.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Lektorin
„.. daß der fast 18-jährige häufiger mit glasigen Augen ..“
als ich das las, dachte ich mir: „Lieber Peter, hast Du an dem Tag schon mal in den Spiegel geschaut!“ 😉
*Fingernägel nag* Weiter…!!!!
Hmmm…
wenn der Text ein Häkchen hat, kann ich keine Fehler mehr melden???
Auch wenn ich die Regel nicht benennen kann, so kommt doch nicht generell vor jedem „wie“ oder jedem „als“ ein Komma; meinen Lesefluß stört das schon ein wenig.
Und in direkter Rede (oder wie heißt das?) schreibt man du und dich nicht groß.
Ausgemeckert! *g*
Die Leo.
@Leo: Doch. Das Tippfehlermeldeformular ist trotzdem jederzeit erreichbar.
Tippfehler entstehen in erster Linie aufgrund meiner Schnell- und Vielschreiberei.
Manchmal bin ich aber auch einfach nur doof oder bei der Schreibweise auf dem Holzweg.
Alles das beseitigen die Sprachwahrer.
Aber auch sie sind Menschen und Sprache ist auch manchmal Meinungssache, weil sie etwas Lebendiges ist.
Nun kommt es sicherlich vor, daß auch die Sprachwahrer etwas übersehen. Das ist völlig okay für mich.
Aber der schöne Effekt, wie man gerade an Deiner Zuschrift sieht: Wenn die reinen Flüchtigkeitsfehler weg sind, können wir uns sprachlichen Feinheiten zuwenden und auch noch die letzte Unsicherheit beseitigen.
Also: Immer weitermelden! Danke.
@Peter Wilhelm:
Jetzt seh ich’s auch – habe unbedingt einen Button finden wollen..;o))
L.
Find ich super, dass Du so sozial mit Rolli umgehst und nicht einfach sagst, dass seine privaten Hintergründe dich nicht interessieren!
Huhu,
gibt es schon nen Termin für die Fortsetzung? 🙂
LG