Heiner Grotowski ist vom Dach gefallen. Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches, da Herr Grotowski Dachdecker ist und das Herunterfallen von Dächern wohl zu seinem Berufsrisiko gehört. Das Besondere an dem Fall ist, daß Herr Grotowski am Freitag kurz vor Feierabend etwa aus der Höhe des ersten Stockwerkes von einem Baugerüst auf die Ladefläche eines 7,5-Tonners springen wollte, dabei mit seiner Latzhose an einer Strebe des Gerüstes hängenblieb und hierdurch wiederum das Gerüst ins Wanken kam und Herrn Grotowski und den 7,5-Tonner unter sich begrub.
Noch streitet man sich, wer Schuld an dem ungenügend befestigten Gerüst war, da hat sich wohl einer auf den anderen verlassen.
Herrn Grotowski wird es kaum noch interessieren, er hat das Ganze nicht überlebt. Seine Eltern haben uns beauftragt, Herr Grotowski ist geschieden und seine finanzielle Situation eher desolat.
Umso überraschter war ich, als heute Früh der Inhaber des Dachdeckerunternehmens, Herr Schaumburg-Mützer bei uns erschien und verkündete: „Schaumburg-Mützer zahlt das alles!“
Der rundliche, kurzarmige Mann griff in die Hosentasche, zog ein Bündel Banknoten heraus und fragte: „Was wird das kosten?“
Während er die Scheine durchblätterte sagte ich: „Das kann man jetzt noch nicht genau sagen, wir müssen abwarten, bis die Eltern da waren, aber so zwischen zwei- und viertausend…“
„Was? So viel?“
„Na ja, vielleicht wird’s auch günstiger… Wie gesagt, wir wissen ja nicht, was die Familie sich da raussucht.“
„Hmmm“, Herr Schaumburg-Mützer kratzte sich auf der Glatze, sein Mund stand etwas offen und seine Zunge fuhr im Mund hin und her während er überlegte. Schließlich sagte er: „Na, is‘ ja auch egal, das letzte Wellness-Wochenende für Dana hat auch 2.000 Euro gekostet, was soll’s?“
Zweitausend Euro für ein Wochenende, ich staunte nicht schlecht. „Da haben Sie Ihrer Frau aber was Gutes gegönnt“, sagte ich unverbindlich, doch Schaumburg-Mützer grinste, machte mit seinen kurzen Armen eine abwehrende Handbewegung und schüttelte den Kopf: „Meine Frau? Wo denken Sie hin? Dana ist meine, äh, Sekretärin… also mehr so meine persönliche Assistentin; meine Frau ist ja krank, die hat schon 27 Jahre Migräne, wenn Sie wissen was ich meine.“
Er begann, Scheine auf den Tisch zu zählen und ich sagte: „Dann schreibe ich Ihnen mal eine Quittung.“
„Um Himmels Willen! Bloß keine Quittung, keine Unterlagen, nichts! Schaumburg-Mützer zahlt das und fertig!“
„Na gut, dann schreibe ich die Rechnung auf die Familie und Sie geben denen dann das Geld, so wird es am Besten sein“, beschloß ich, denn mir war schon klar, wie die Summen zustande gekommen sind, die der feiste Dachdeckermeister da hinblättern wollte.
„Mir doch egal. Ich lasse es jetzt mal da, geben Sie es der Familie.“
Ich notierte das auf meinem Erfassungsbogen als Schaumburg-Mützer seine Lippen leckte und sagte: „Kann ich noch was fragen?“
„Ja bitte.“
„Kann man auf dem Friedhof nicht ein Schild aufstellen, auf dem steht: ‚Schaumburg-Mützer, alles unter einem Dach'“?
„Wozu?“
„Na, wenn ich doch schon alles bezahle…“
„Nein, sowas geht nicht. Nachher kommt noch einer und will Bandenwerbung seitlich auf dem Sarg.“
„Mist!“
„Na ja, es heißt doch: Tue Gutes und rede nicht darüber.“
„Ich will ja nicht reden, bloß so ein Schild aufstellen. Aber wenn’s nicht geht, dann lassen wir es.“
Ich zählte das Geld nach, immerhin 2.800 Euro hatte der Rundliche auf den Tisch geblättert.
Er wedelte mit den Händen über dem Tisch herum und sagte: „Nee, nee, das ist nicht alles. Rufen Sie mich an und sagen Sie mir durch was es kostet und ich zahl auch noch den Rest.“
„Nobel, sehr nobel, Herr Schaumburg-Mützer.“
Er wurde nachdenklich, zog ein Papiertaschentuch aus der Hosentasche und wischte sich tatsächlich ein Tränchen aus dem Augenwinkel. „Ach wissen Sie, der Grotowski war ein guter Mann und irgendwie war es ja doch auch meine Schuld, ist ja schließlich während der Arbeitszeit passiert.“
Egal wie der Mann auch sonst sein mag, mir imponiert das und ich finde es hochanständig, daß er das so selbstverständlich macht.
„Ah!“ unterbrach er meine Gedanken: „Ich weiß jetzt, wie ich’s mache!“
„Was denn?“
„Na, das mit dem Firmennamen. Ich geh‘ jetzt zum Gärtner und bestelle einen dicken, fetten Kranz mit einer breiten Schleife und da lass‘ ich meinen Firmennamen draufdrucken.“
„Aber ohne Werbung!“
„Is‘ klar, aber ‚Schaumburg-Mützer‘ reicht ja auch, mich kennt hier sowieso jeder.“
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War auch mein erster Gedanke 😀
Ansonsten, schon ok das er die Kosten komplett übernehmen will.
Ich kann mir das lebhaft vorstellen…
Der Obichor singt ein Ständchen, auf dem Sarg steht „20% auf alles (ausser Tiernahrung), sponsored by Praktiker“, in dem Grünzeug stecken Fleuropgutscheine für die eigene Beerdigung zum mitnehmen, der Ültje-Erdnussmann geht mit seinem Studentenfutter durch die Reihen, und am Ausgang steht…(hier fällt mir nix passendes ein ^^)
P.S.: Wirklich nobel das Verhalten des Herrn SM, gerade heutzutage…
Heute ist echt nichts mehr unmöglich … das mit dem Kranz ist ja schon durchaus normal
und wird erwartet, aber Aufschrift am Sarg hätte was *lol
Wer wann welches Gerüst aufgebaut hat, ist doch eigentlich peng was den Beitrag angeht oder?
Schlussends wird hier eh keiner erfahren wer aus welchen Gründen welche Schuld bekommt…
Diese Beerdigung wurde Ihnen präsentiert von…
Das hängt alles von der Planung ab. Bei der Beerdigung eines sehr guten Freundes hat der Trauerredner sogar ausdrücklich auf seinen Arbeitgeber (große Drogeriekette) hingewiesen – wobei die mit Sicherheit nichtmal etwas dafür bezahlt haben.
Na, solange der Pfarrer bei der Trauerrede kein Sponsorenlogo am Kragen tragen muss, ist ja noch alles im grünen Bereich.
Bandenwerbung am Sarg … innen oder außen?
🙂
Soso… Auf einmal verstummt der Trauerredner – mitten im Satz, an der ergreifendsten Stelle, die Leinwand fährt herunter und das Werbefilmchen kommt. Nach 2-3 Minuten diverser, unpassender Werbung kommt dann die Vorschau, „demnächst in Ihrer Kapelle“ und sagt, wer die nächsten Wochen oder Monate beigesetzt wird 🙂
danach gehts weiter – stell ich mir lustig vor
Hallo…
Bei einer meiner Trauerfeiern fing einer der Angehörigen der Bestatteten nach dem Gottesdienst an, Visitenkarten zu verteilen. Er war Steuerberater und versuchte so, sich einen neuen Kundenkreis zu erschliessen – bei der Beerdigung seiner eigenen Mutter!
Es hat mir ziemlich die Sprache verschlagen…
*harhar* wie’s eben am Kaff so läuft.
Und hinterher regen sich die ungeladenen alten Weib…Damen beim Leichengaffen auf dass der geldgeile Schaumburg-Mützer auch noch Werbung machen muss wo er ihn doch (nach ihrer fachkundigen Meinung, fundiert durch handfestes Dorfgetratsche) sozusagen fast selbst ungebracht hat.
zu 6: und am Ausgang stehen dann noch diverse DSL Anbieter mit ihren kleinen mobilen Ständen und versuchen zum Abschied noch einen Vertrag reinzuquetschen
Wir unterbrechen diese ergreifende Beerdigung für eine kurze Werbepause. Bleiben Sie dran (am Sarg)!
Aber egal, eine durchaus noble Geste des Herrn S.-M., die Beerdigung komplett zu bezahlen. Das versöhnt. Dann darf er auch dezent werben.
Bezahlt er die Beerdigung vielleicht nur, weil er vor einer Klage seitens der Familie Angst hat? Immerhin war das Gerüst seiner Firma nicht richtig befestigt, das zum Tode geführt hat.
@Krupuk: Das Bezahlen der Bestatterrechnung würde ja nur seinen guten Willen zeigen, ihn aber nicht von eventuellen weiteren Ansprüchen befreien. Jedoch war das Gerüst von einer Gipserfirma die die Fassade macht.
naja, so großkotzig, er wird schon wissen, warum… denn das hört sich eher nach „nicht Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen an“ Da wird bestimmt noch was auf den Herrn Sch. Mü. zukommen. Aber durch seine „noble“ Geste, wird das „Volk“ ihn loben. Sooo mag er das.
@11, eher nicht.
Gerüste bauen nicht Dachdecker auf sondern spezielle Gerüstbauerfirmen, die auch entsprechend versichert sind (sein sollten). Und der Herr SM ist Dachdeckermeister (und war der Arbeitgeber des Verstorbenen). Der dürfte also das Gerüst nicht wirklich aufgebaut haben.
Wenn das Gerüst umkippt, hat entweder der Gerüstbauer nicht korrekt gearbeitet oder, wenn der Dachdecker wirklich Dreck am Stecken hat, hat er das Gerüst manipuliert, um z.b. den Dachaufzug besser hinstellen zu können.
Aber dafür gibts keine Beweise, ich denke (und die Schilderung von Tom gibt da wirklich nicht mehr her), dass er wirklich einen guten Mitarbeiter verloren hat, trotz dessen desolater Finanzsituation, dass ihm diese Situation auch durchaus bekannt war und das er ihm zumindest noch ein schönes Begräbnis ermöglichen möchte. Auch im Hinblick auf die trauernde Familie.
Das mit der Werbung ist Schrulligkeit, aber nicht irgendwelche Geldgier. 😉
„Das Besondere an dem Fall..“ – sehr schön. 🙂
Werbung auf einer Beerdigung. Befürchte, dass das irgendwann mal Wirklichkeit werden wird.
Sind die Geschichten eigentlich immer echt oder als Kunstakt zu verstehen 🙂
Ich hab das Gefühl bei dir passiert irgendwie verflucht viel.
Das wird dann so wie im Berliner Kino. Werbung für eine Eisfirma und dann 10 min Pause für Eisverkauf. ^^
Taschentücherpackungen mit Werbung drauf. Besser noch diese grossen Taschentuchspender aus Pappe. Da würde eine Menge Werbung darauf passen…
@frozen: er sage ja schonmal, dass das ~20 jahre berufserfahrung ist ^^
(wobei die persönliche assistentin schon böse klischeehaft is *gg*)
finds aber trotzdem anständig von ihm, sich so darum zu kümmern 🙂
@Pastor, tröste dich immerhin mal damit, daß ihn das eher einige Kunden gekostet haben dürfte …
Grotowski kommt doch von grotesk, nicht wahr? 🙂
@Peter
Sone Kommentare sind wohl überflüssig… Da hat jemand sein Leben verloren und ich denke mal der war noch keine 60.
Find ich voll okay das der Chef das macht, auch wenn er n Arsch zu sein scheint ;D
Wäre er bei der Feuerwehr oder der Polizei gewesen, oder gar Soldat, dann wären seine Kollegen (hier heißen sie Kameraden)
in Arbeitskleidundung (Uniform) gekommen. was hindert seine Kollegen und seinen Chef dran, in der Handwerkertracht der Dachdecker zu kommen? Stilecht, eine Sargsonderausführung für Dachdecker: Der Deckel ist oben nicht flach, sondern läuft spitz zu. Die schrägen Flächen werden mit den z.B. im
Schwarzwald gebräuchlichen Schindeln optisch in ein Ziegeldach verwandelt. So tragen die Kollegen von der Kapelle zum Grab. Morgen rennen alle zu Herrn S-M und lassen ihr Dach decken.
mmmh…warum keine Werbung, im richtigen Rahmen kann die ja auch passend sein.
Beim Tod eines jugendlichen Discorasers währe ja …
„This Funeral is brought to you by *Biermixgetränk einsetzen*“
… durchaus passend. – Mehr oder minder zumindest.
„denn mir war schon klar, wie die Summen zustande gekommen sind“
Mir nicht, erklär doch mal bitte :/
„Schaumburg-Mützer, alles unter einem Dach“
Wäre das nicht fast schon eher eine Antiwerbung?
>>>>Krupuk:Bezahlt er die Beerdigung vielleicht nur, weil er vor einer Klage seitens der Familie Angst hat? Immerhin war das Gerüst seiner Firma nicht richtig befestigt, das zum Tode geführt hat<<<< Ich glaube, über Klagen braucht der sich keinen Kopp zu machen, so wie Tom den Vor"fall" schilderte: Das Besondere an dem Fall ist, daß Herr Grotowski am Freitag kurz vor Feierabend etwa aus der Höhe des ersten Stockwerkes von einem Baugerüst auf die Ladefläche eines 7,5-Tonners springen wollte, dabei mit seiner Latzhose an einer Strebe des Gerüstes hängenblieb und hierdurch wiederum das Gerüst ins Wanken kam und Herrn Grotowski und den 7,5-Tonner unter sich begrub. Gerüst nicht ordnungsgemäß benutzt, Vorsatz, eigene Blödheit, keine Versicherung, kein Geld, mein Beileid. Also ein feiner Zug des Herrn S-M., sein Schwarzgeld auf anständige Weise unters Volk zu bringen.
Solange es keine Werbeunterbrechung gibt…Kurz bevor der Sarg abgesenkt wird: Und gleich geht es weiter! Präsentiert von…