Allgemein

Stille Wasser sind tief

„Wupp“ macht es und dann etwas leiser „wamm“ und „zisch“. Danach öffnet sich die Presse wieder, Frau Nattkämper legt einen anderen Buchstaben ein, schiebt den Stoff etwas nach und wieder macht es wupp, wamm und es zischt kurz. Diesen Vorgang wiederholt sie etliche Male, dann hat sie eine Kranzschleife bedruckt. Sie schaut noch einmal auf das Blatt, das wir ihr zugefaxt haben und vergewissert sich, daß sie die Namen richtig geschrieben hat.

masha.jpg

Eine Weile zuvor in unserem Bestattungshaus:

Werbung

Immer noch liegt Herr Fleischer im Kühlraum und die Herren aus dem Keller haben schon zweimal angerufen, um zu fragen, wie es mit dem jetzt weitergeht. Ich kann noch nichts sagen.

Masha seine Ex-Frau hatte das Heft in die Hand genommen und alles entschieden, der Sohn des Verstorbenen, Tommy mit dem iPod, hatte sich allerdings als einziger Auftraggeber zu erkennen gegeben und andere Verfügungen getroffen. Heute will er vorbeikommen und alles unter Dach und Fach bringen.

Normalerweise drücke ich mich montags immer ganz gerne an den frühen Beratungen vorbei. Ich habe ja meistens am Wochenende schon Hausberatungen gemacht und damit genug zu tun. Eigentlich ist bei uns alles so organisiert, daß jeder Mitarbeiter jederzeit einen bestimmten Sterbefall weiterbearbeiten kann. Aber es hat sich herauskristallisiert, daß tatsächlich doch jeder die von ihm angenommenen Sterbefälle als seine betrachtet und möglichst von vorne bis hinten durchorganisiert.
Doch heute hatte ich durchgegeben, man möge mich verständigen wenn Tommy Fleischer kommt. Gegen 08.30 Uhr war das dann auch soweit und ich marschierte rüber zum Beratungszimmer 2 und freute mich darauf, den jungen Mann endlich mal alleine sprechen zu können, denn auch ich bin der Meinung, wie einige der Kommentatoren, daß stille Wasser oft tief sind.

Ich öffne die Tür und sofort schlägt mir ein süßes, schweres Parfüm in die Nase, außer Tommy ist auch Masha gekommen. Er hat seinen unvermeidlichen iPod am Gürtel hängen, sie trägt wieder Turban und Sonnenbrille, soweit also nichts Neues. Anders als sonst ist jedoch, daß Masha ganz dicht neben Tommy sitzt, einen Arm bei ihm eingehakt hat und seine Hand streichelt.
Tommy grinst wie ein Kater, der gerade vier Nachbarskatzen geschwängert und den großen Fisch aus der Küche verspeist hat.

Muß ich viel sagen?
Es bleibt alles so, wie Masha es schon bestellt hatte. Tommy sagt: „Wir haben uns in der Familie noch einmal unterhalten, es bleibt weitestgehend so wie ursprünglich besprochen.“
Masha will noch wissen, wie das denn mit dem Erbe sei, ob Tommy jetzt schon in das Haus seines Vaters einziehen könne und ob wir noch vorbeikämen, den Fleck auf dem Teppich wegmachen, obwohl eigentlich wolle sie ja sowieso einen neuen Teppich legen lassen. „Gell, Tommy, das machen wir zuerst?“ Und Tommy streichelt nun auch ihre Hand, legt seinen Kopf an ihre nerzbepelzte Schulter und sagt mit hoher Stimmer: „Au ja, ganz wie du meinst.“

Das offenbar frisch verliebte Paar sucht noch Kränze und Blumen aus und ansonsten äußert man nur den Wunsch, daß jetzt alle „ganz fix über die Bühne geht“.

Tja, und was ist mit Bruno, dem Bruder des Verstorbenen, der mir als neuen Mann von Masha vorgestellt worden ist, nachdem Masha ja mal mit Tommy Vater verheiratet war? Ich kann ja schlecht direkt danach fragen, aber vielleicht komme ich über einen Umweg dahin: „Gut, ich habe alles notiert. Haben vielleicht der Bruder des Verstorbenen und seine geschiedene erste Frau auch noch Wünsche, die berücksichtigt werden müssten?“

„Ach die!“, Erregung schwingt in Mashas Stimme mit, „Stellen Sie sich vor, die beiden haben sich total gegen Tommy verschworen und wollten mich noch auf ihre Seite ziehen. Aber das kann ich nicht zulassen, schließlich braucht Tommy jetzt jemanden, der sich um ihn kümmert.“

Eva, die erste Frau des Herrn Fleischer und Tommys Mutter, und Bruno, der Bruder des Verstorbenen und jetzt Mashas Ehemann, seien gestern Abend noch gemeinsam nach Hiddensee gefahren. „Aber die können sich alles von der Backe putzen, denn mit dem Tod meines Vaters hat das Schmarotzerleben jetzt ein Ende“, sagt Tommy.

Ja, ist ja klar. Die offenbar freiwillig und aufgrund von Eheverträgen gewährten üppigen Apanagen an seine beiden Ex-Ehefrauen fallen ja nun weg. Wer tot ist, zahlt auch keinen Unterhalt mehr und von eben diesem Unterhalt hat letztlich ja auch der Bruder des Verstorbenen offenbar ganz gut gelebt, denn wie ich erfahre, arbeitet von den handelnden Personen keiner.
Wenn es also wirklich so kommt, wie Tommy sicher zu wissen glaubt, daß nämlich er alles erben wird, dann sind die anderen drei natürlich ziemlich in den Arsch gekniffen. Geschiedene Frauen bekommen ja nichtmal einen Pflichtteil und ein Bruder kommt in der Erbfolge sowieso zu kurz, solange noch ein Kind da ist. Sagte ich gerade „die anderen drei“? Natürlich sind es nur zwei, denn Masha hat sich ja offenbar über Nacht von der geschiedenen Stiefmutter in die persönliche Händchenhalterin des betuchten Erben verwandelt.

Ja, und so kommt es, daß Frau Nattkämper in der Gärtnerei auf eine violette Schleife den Text gedruckt hat: „In stiller Trauer, Masha und Tommy“

Wupp, wamm, zisch.

Bildquellen:

    Hashtags:

    Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

    #sind #stille #tief #wasser

    Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden


    Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

    Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




    Lesen Sie doch auch:


    (©si)