Menschen

Tau schau wem

Pastor Zittelmann ist schon alt und wohnt im Schwesternhaus. Da der katholische Geistliche keine Ehefrau und vermutlich auch keine Kinder hat, ist das für ihn eine gute Lösung. Da wohnen noch mehr alte Leute, so ist er nicht alleine und weil viele von denen früher viel Rindfleisch gegessen haben, vergessen sie auch viel und so kann er seine nicht enden wollenden Geschichten aus 40 Jahren Pfarrdienst sozusagen in einer Endlosschleife zum Besten geben.
Überdies versorgen ihn die Schwestern, die heute in der Mehrzahl gar keine mehr sind und zu einem gewissen Teil sogar männlich sind, sehr gut und als frommer Mann hat er dort sein eigenes Zimmer.

Nun ist es aber so, daß allenthalben Pfarrer fehlen und so nimmt man den Alten gerne für die eine oder andere Beerdigung her und der Dauerbrennerwitz von Frau Büser ist: „Pastor Zittelmann, haben Sie Zeit für eine Beerdigung?“ Und was antwortet er dann immer?
Genau: „Wenn’s nicht meine eigene ist.“ Hahaha.

Aber nein, Pastor Zittelmann ist ein ganz Netter und sein Salär ist seit eh und je die Übernahme der Taxikosten und eine Flasche Doppelkorn.

Werbung

Große Trauerfeiern, bei denen die Angehörigen Wert auf ein ausführliches Gespräch mit dem Geistlichen oder dem Redner legen, können wir Pastor Zittelmann nicht geben. Er ruft vorher nur bei den Leuten an und hält dann eine sehr schöne, würdevolle und andächtige Trauerfeier, die allerdings immer gleich ist.
Da es aber genug alte Herrschaften gibt, auf die seine Trauerrede passt, können wir ihn wirklich guten Gewissens bei so einigen Standardtrauerfeiern nehmen.

Nach dem Krieg mit aufgebaut, Kinder großgezogen, Kinder weggezogen, in Vereinen tüchtig mitgeholfen, immer zu allen gut gewesen, in Haushalt oder Beruf angesehen und stets aufopfernd fleißig, Silber- oder Goldhochzeit gefeiert und viele Freunde und Verwandte schon zu Grabe getragen…

Passt oft, fast immer, zumindest bei den Alten.

Da fügt er dann noch den Namen ein, die Firma, den Beruf und so einige Kleinigkeiten.
Den Leuten gefällt’s, der würdevolle, weißhaarige Mann mit der angenehmen Stimme ist sehr beliebt und entweder stört es keinen, daß es immer der selbe Sermon ist oder sie merken es schlicht und ergreifend einfach nicht.

Das Taxi hält vor unserem Haus, Pastor Zittelmann kommt ins Büro, unter dem Arm seine abgegriffene braune Aktentasche und was wird er wollen? Seine Flasche Doppelkorn. Frau Büser geht raus, regelt das mit dem Taxi und Pastor Zittelmann winkt fröhlich zum Abschied. Mit dem weißen Bart, den er seit einiger Zeit hat, sieht er fast ein bißchen aus wie der Weihnachtsmann.

Normalerweise läuft das so.
Dieses Mal ist Pastor Zittelmann etwas aufgeregt.

„Guckt Euch mal an, was mir passiert ist“, sagt er und lupft seine dunkelgraue Weste, die unter dem schwarzen Anzug seinen durchaus passablen Bauch kaschiert. „Hab ich vergessen!“

„Was denn?“ will Antonia wissen und der Pastor nickt in Richtung seines Bauches: „Da! Sieht man doch. Ich hab vergessen meinen Gürtel anzuziehen und jetzt rutscht mir die Hose.“

„Kein Problem!“ ruft Sandy, die niemals um eine Antwort oder Lösung verlegen ist und hat von irgendwoher einen struppigen Strick herbeigezaubert. Völlig keusch und ohne weitere Hintergedanken sind kurz darauf drei Frauen damit beschäftigt, das widerspenstige Tau durch die Laschen von Pastor Zittelmanns Hose zu ziehen und fachmännisch zu verknoten. „Zieht die doch nicht so hoch, Mädels, ich krieg ja keine Luft mehr!“

„Müssen wir aber, wenn die Hose nicht über’n Bauch kommt, rutscht die Ihnen wieder weg“, sagt Frau Büser und zieht noch etwas fester am Strick.

„Ich trage aber meine Hosen immer unterm Bauch und jetzt beißt das im Schritt“, mault der Gottesmann aber Frau Büser kennt keine Gnade: „Entweder Hose verlieren oder leiden, was wollen Sie?“

Er hat sich wohl fürs Leiden entschieden, denn kurz darauf geht er, winkt weihnachtsmännisch und fährt mit dem Taxi von dannen, um Oma Tschachkowiak zu beerdigen.

Die weiteren Begebenheiten sind mir zugetragen worden und erst beim Finale war ich wieder live dabei.

Schon während der Trauerfeier habe Pastor Zittelmann so komisch herumgehampelt. Es habe ausgesehen, als wanke er die ganze Zeit von einem Bein aufs andere und das im Takt seiner Worte.
Rechtes Bein, die liebe Verstorbene, linkes Bein, Agnes Tschachkowiak, rechtes Bein, war eine gute, linkes Bein…

Auch sei die Gesichtsfarbe des Pastors immer mehr ins Rötliche gewechselt, sodaß einige der Trauergäste Angst hatten, der alte Mann könne ernsthafte Kreislaufprobleme haben.
„Der hat auch immer schneller gesprochen und am Ende konnte man kaum noch verstehen, was er sagte, so schnell war der“, erzählte mir später der Friedhofswärter. „Dann hat er den Knopf gedrückt, damit wir den Sarg rausfahren und statt hinterm Sarg herzulaufen, ist der eben nach rechts aus der Halle verschwunden. Ich bin dann hinterher und sehe, wie der zum Klo abbiegt und höre noch wie er ruft: ‚Ich muss brunzen wie ein Elch!‘. Gott sei Dank hat das keiner von den Trauergästen gehört.
Der war aber schnell wieder da, das Gesicht immer noch hochrot und der lief so mit Tippelschritten. So schnell ist noch kein Pfarrer hinterm Sarg hergelaufen, der hat die Frau Tschachkowiak ja fast über den Friedhof geschoben mit seinem Bauch. Wir sind doch nicht bei der Rallye Monte Carlo! Die Trauergemeinde war so weit auseinandergezogen wegen seinem Tempo, daß manche von den ganz Alten gar nicht nachgekommen sind. Und Sie, passen Sie auf, ich erzähl Ihnen was: Der war dann mit seinen Segenssprüchen schon fast fertig, als die Letzten ans Grab kamen. Sowas Schnelles hab ich noch nicht erlebt. Und dann wo die den Sand ins Grab zum Werfen am Anfangen waren, da ist der schon ab durch die Mitte.“

Ab durch die Mitte bedeutet, daß er kaum zehn Minuten später bei uns im Büro auftauchte, hechelnd, stöhnend, mit hochrotem Kopf, und er rief: „Chef! Wo ist Euer Chef! Bringt mir Euren Chef und ein Messer, ganz schnell ein Messer!“
Und kaum hatte er es gerufen, kam Frau Büser auch schon mit einem klitzekleinen Taschenmesser in mein Büro und schob mich in Richtung unserer Toiletten, wohin der Pastor verschwunden war.

„Los, aufschneiden! Ich sterb‘ gleich, ich nässe gleich ein! ich muss bunzen wie ein Elch! Helfen Sie mir! Los, Strick durchschneiden!“

Nun probiere mal einer, mit einem nahezu stumpfen, winzig kleinen Taschenmesser ein Tau durchzuschneiden, mit dem man in Hamburg Schiffe anbinden würde!
Ich kniete also vor dem Pastor, er hielt seine Weste hoch und tippelte von einem Bein aufs andere und machte dabei gequälte Geräusche und ein verzerrtes Gesicht.
Gut, daß das keiner gefilmt hat!

Es ist klar, die Damen hatten dem alten Herrn die Hose viel zu hoch gezogen und den Strick so verknotet, daß er ihn bei seinem Toilettengang, den der etwas blasenschwache Mann vor jeder Trauerfeier absolviert, nicht aufbekommen hatte. Wird schon gehen, hatte er sich gedacht, die Rechnung aber ohne seinen Blasendruck gemacht.
Auch als er nach der Trauerfeier kurz verschwunden war, hatte er den Strick nicht aufbekommen und den Reißverschluss hatten die Damen ihm so hoch auf den Bauch gezogen, daß er durch den Schlitz nicht an das herankommen konnte, was Männer so zum Pipimachen nehmen…

„Aaaaah, Ooooooooh, Uiiiiiiiii“, das waren die Worte von Pfarrer Zittelmann, als er nach einem fast schon heroischen Messereinsatz meinerseits endlich in der Kabine der Erleichterung verschwinden konnte.

Ich kann ihn verstehen.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)