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Tote auf der Warteliste

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Tote werden wie am Fließband beerdigt, müssen vorher auf einen freien Platz in der Kühlzelle warten und am Beerdigungstag findet man kein freies Lokal für den Leichenschmaus.

Das sind die Zustände, wie sie, kurz beschrieben, auf dem Friedhof in Dülken herrschen, das berichtet RP-Online.

Wie aus dem Artikel hervorgeht, hat die Verwaltung lediglich für die Tage Dienstag und Donnerstag Beerdigungen vorgesehen. Leider schweigt sich der Artikel über die Hintergründe und Ursachen aus und gibt lediglich die „neue Viersener Bestattungsregelung“ und „Kostengründe“ an.

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Die Beschränkung auf lediglich zwei Beisetzungstage führt nun dazu, daß offenbar die Kapazitäten zur Leichenlagerung sowohl auf dem Friedhof, als auch bei den Bestattern nicht mehr ausreichen. Sechs Kühlkammern soll es vor Ort geben und die sind unter Umständen schnell belegt, weil die Leichen bis zu eine Woche auf die Bestattung warten und so lange zwischengelagert werden müssen.
So kann es passieren dass Leichen nicht sofort einen Platz in der Kühlkammer bekommen, im vorliegenden Fall konnte der Verstorbene erst nach einem Tag Wartezeit in die Kühlung.

Aus dieser Regelung ergeben sich natürlich auch diverse Folgeprobleme. Die wenigen Cafés und Lokale sind schnell mit Beerdigungsgesellschaften belegt, die natürlich alle an diesem Tag „feiern“ wollen. Auch auf dem Friedhof muss es dann natürlich recht zügig gehen. Während an einer Stelle noch beerdigt wird, muss an einer anderen Stelle der Bagger schon das Grab zuschaufeln.

Die RP-Online schreibt dazu:

Es war der furchtbarste Tag in ihrem Leben.

Natürlich ist es traurig, dass die Angehörigen in diesem Fall nicht zufrieden waren und sich den kompletten Ablauf anders vorgestellt haben. Allerdings muss man dazu sagen, daß die Verhältnisse selbst in einer nur mittleren Großstadt oft nicht anders sind. Es ist überhaupt nichts Ungewöhnliches, dass kommunale Kühleinrichtungen überbelegt sind und Särge in Nebenräumen auf einen freien Platz warten müssen. Im Übrigen verfügen bei weitem nicht alle Friedhöfe überhaupt über eine Kühlanlage.

Im Übrigen gibt es in allen Städten Tage, an denen besonders viel beerdigt wird. Die Freitage sind, wegen der Nähe zum Wochenende und der damit verbesserten Anreisemöglichkeit, überall besonders beliebt. Und Beerdigungen bzw. Trauerfeiern „wie am Fließband“ gehören in jeder größeren Stadt zum Alltag. Die eine Trauergemeinde hat gerade fertiggebetet, da wird die hintere Tür der Halle schon geöffnet, der Sarg hinausgeschoben und gleichzeitig öffnet sich die vordere Tür und die nächste Trauergesellschaft „schiebt nach“. Ich kenne Städte, in denen die Trauerfeiern im 30-Minuten-Takt terminiert sind, ohne Pause. Für eine Trauerfeier bleiben da 27 Minuten netto.

Der Friedhofsverwalter unseres großen Friedhofs sagt dazu: „Wir müssten um 7 Uhr morgens anfangen und bis 17 Uhr durchmachen, damit wir einen 45-Minuten-Takt mit jeweils 15 Minuten Pause hinbekommen. Aber wer will schon so früh oder so spät zu einer Beerdigung?“

Möglicherweise war aber auch die Familie, um die es im Bericht bei RP-Online geht, besonders sensibilisiert. Ein wenig in diese Richtung deutet die Aussage, dass der Tod des immerhin 91-jährigen für die Familie ein „Schock“ gewesen sei. Jeder Todesfall ist in gewisser Weise schockierend, aber wenn jemand deutlich jenseits Mitte 80 ist, muss man -selbst bei bester Konstitution- einfach jeden Tag mit dem Tod rechnen, das ist einfach so.

Auch die „Dramatik“, die sich für diese Familie aus dem Leichenschmaus ergibt, ist nur schwer nachvollziehbar.

„Schon belegt“ hieß es für Martina Stapels auch beim nächsten Punkt. Zum Beerdigungskaffee hatten ihre Mutter und sie rund 70 Verwandte und Freunde eingeladen: „An den zwei Tagen, an denen in Dülken beerdigt wird, kann es je nach Größe der Trauergesellschaft jetzt schwierig werden, einen passenden Saal zu bekommen. Wir hatten Glück, nach einigen Absagen haben wir noch etwas gefunden.“

Ich kenne das gar nicht anders. Wir bestatten in so vielen Gemeinden, Städten und Dörfern und nur in den seltensten Fällen bekommen wir auf Anhieb das Lokal, das sich die Familie oder wir uns vorgestellt haben. Denn im Gegensatz zur Trauerfeier in der Friedhofshalle gehen die Gäste einer solchen privaten Trauerfeier nicht nach netto 27 Minuten wieder weg, sondern bleiben oft den halben oder ganzen Tag sitzen. Kann der Friedhof vielleicht an einem (Vormit)tag 10 Trauerfeiern durchziehen, muss man erst einmal 10 Gaststätten mit entsprechenden Hinterzimmern und einem passenden Angebot finden. „Nach einigen Absagen“ doch noch etwas zu finden, ist also in meinen Augen eher ein positiver Aspekt, denn oft genug kommt es vor, dass Familien gar nichts finden.

Auch die Tatsache, dass man eine Woche auf die Beerdigung warten musste, ist vielleicht für Dülkener Verhältnisse ungewöhnlich. Für anderen Kommunen ist das die Regel. In einer Großstadt in der wir tätig sind, ist unter 6 Tagen gar nichts zu machen; und da wird jeden Tag beerdigt.

Es kann nur daran liegen, daß man bislang Verhältnisse hatten, die von den Angehörigen als angenehmer empfunden wurden. Aber nachvollziehen kann ich das hier nicht:

Tag der Beerdigung auf dem Dülkener Friedhof: „Es kam mir vor wie eine Massenabfertigung. Mein Vater war um 13.15 Uhr dran, es war die fünfte Bestattung. Auf Nachfrage hatte man uns mitgeteilt, dass es früher nicht möglich sei. Und selbst am Grab fand die Familie keine Ruhe: „Während wir unseren Vater beerdigten, dröhnte im Hintergrund der Bagger, der die Gruben anderer Verstorbener bereits wieder zu schaufelte“, so die Tochter. „Als ich sah, mit welchem Tempo der Sarg schließlich maschinell in die Erde sauste, habe ich nur noch geschrien.“

Mal ganz ehrlich, wenn um 13.15 Uhr erst die fünfte Bestattung an der Reihe ist, dann sind das in meinen Augen doch eher gute Verhältnisse. Man rechne sich nur den weiter oben beschriebenen 30-Minuten-Takt einmal selbst hoch, dann wird man schnell zu dem Ergebnis kommen, daß auf anderen Friedhöfen um 13.15 Uhr schon die zehnte Bestattung dran ist. Fünf Beerdigungen kommen hier oft schon auf kleinen Dorffriedhöfen vor.
Offenbar wird auf diesem Friedhof ein Beisetzungsgerät eingesetzt, wie es beispielsweise in den USA vollkommen normal ist. Statt durch vier kräftige Männer wird der Sarg auf Knopfdruck gleichmässig abgesenkt. Ich kenne diese Geräte sehr genau, die finden inzwischen immer mehr Verbreitung. Von einem „in die Erde sausen“ kann da keine Rede sein. Wer so etwas sagt, der soll mal mit der Stoppuhr nachmessen, wie lange die vier Männer benötigen, um das zu machen, auch das sind nur 3-5 Sekunden, so ein Sarg ist nämlich schwer!

Eine wirkliche Dramatik oder gar einen Skandal kann ich überhaupt nicht entdecken.
Daß der Verstorbene nicht sofort in die Kühlkammer konnte ist kein Drama, auf den meisten Friedhöfen in Deutschland gibt es sowieso keine Kühlung.
Nicht sofort auf Anhieb ein Lokal mit einem Saal für immerhin 70 Personen zu finden, ist eher normal, also auch hier kein Drama.
Und mal davon abgesehen, daß hier bei uns die Beerdigungstermine zwischen 11.30 und 13.30 Uhr die beliebtesten Termine sind (weil man dann gut anschließend Mittagessen gehen kann), sehe ich auch nichts Ungewöhnliches darin, daß man an der fünften Beerdigung an einem Tag teilnimmt.

Was mich stören würde, wäre die Baggertätigkeit während der Beerdigung, das könnte man in der Tat besser lösen, aber selten ist so etwas auch nicht.

Werfen wir noch einen Blick auf die Rechnung, die die Stadt Viersen gemäß RP-Online über folgende Beträge erstellt hat:

3900 Euro kostet die Verlängerung des Nutzungsrechts für das Grab.
197 Euro verlangt die Stadt für die Bereitstellung der Trauerhalle.
406 Euro beträgt die pauschale Bestattungsgebühr.
34 Euro wird für die eintägige Nutzung der Kühlhalle berechnet.

4537 Euro muss Witwe überweisen.

Einmal mehr sieht man, daß hohe Bestattungskosten nicht zuletzt durch städtische Gebühren zustande kommen.

Doch worum geht es mir?
Mir geht es darum, aufzuzeigen, daß Hinterbliebene oftmals eine große Unzufriedenheit mit der Friedhofsverwaltung oder dem Bestatter empfinden, obwohl aus Sicht derjenigen, die Tag für Tag damit zu tun haben, alles eigentlich ganz normal verlaufen ist.
Ich mutmaße einfach mal, daß die Familie schon ob der Tatsache, daß sie eine Woche auf den Beerdigungstermin warten mussten, in große Verärgerung geraten ist. Passiert so etwas, dann wird von den Familien auch nahezu alles andere als Zumutung empfunden.

Ich habe großes Verständnis für die Familie und ich würde, wenn das in unserem Umfeld von Angehörigen so empfunden würde, allerhand daran setzen, um dafür zu sorgen, da einiges noch gerade zu biegen. Allerdings will ich mit diesem Artikel auch aufzeigen, daß die Verärgerung und Aufregung zu einem großen Teil in der Sichtweise der Angehörigen begründet ist.

So eine Bestattung ist die Abfolge von zwar individuell gestalteten, aber doch sehr standardisierten Abläufen. Sagen wir einmal, daß es bis zu 50 verschiedene Komponenten sind, die zusammengestellt werden und nach einer Netzplantechnik miteinander verwoben und verzahnt nacheinander und parallel ablaufen.
Gerät die Familie nun schon bei der ersten oder wenigstens einer der ersten Komponente in Irritation, ist es die Aufgabe des Bestatters, die Vorgänge zu erklären und durch geeignete Maßnahmen einer weiteren Verärgerung entgegenzuwirken.


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Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 23. September 2007 | Revision: 28. Mai 2012

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7 Kommentare
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McDuck
17 Jahre zuvor

Bei "Wartezeit" fällt mir eine Frage ein: Gibt es eigentlich Vorschriften, wie lange ein Verstorbener vor der Beisetzung bzw. Kremierung "aufbewahrt" werden darf (ich meine hier den ganz natürlichen Tod ohne Obduktion o.ä.)? Dass er innerhalb einer bestimmten Frist aus der Wohnung muss, hattest du hier irgendwo schon mal erwähnt, aber dann?

a-zeller
17 Jahre zuvor

Eigentlich doch ganz einfach: für die Familie ist die Trauerfeier ein Ausnahmezustand. Für die professionell damit Beschäftigten ist es Alltag.

In der Medizin ist es doch genauso: jeder Patient empfindet sein Leiden als aussergewöhnlichen Einschnitt in sein Leben, die beteiligten Mediziner erleben dies täglich.

Die Aufgabe des Profis ist es, jedem seiner "Kunden" das Gefühl besonderer Betreuung zu geben. Oftmals geht das aber nicht (sachliche Zwänge, Zeitnot, Stress usw.) und das wird von den Betroffenen als Zumutung und Skandal empfunden.

Und über Skandale wird immer gerne berichtet.

Ben
17 Jahre zuvor

Wow, so ein langer und für mich Augen öffnender Artikel!

(leider fast übersehen, weil er in meinem RSS-Reader nur bis zum 3. Absatz erschien, ohne Hinweis auf mehr.)

undertaker
17 Jahre zuvor

@McDuck: Die Bestattungsgesetze der meisten Länder schreiben vor, daß nicht vor Ablauf von 48 Stunden beigesetzt werden darf. Daher rührt der Mythos, daß eine Beerdigung immer am dritten Tag erfolgt.

Wie lange es dann aber dauern darf, bis eine Beisetzung erfolgen muss, ist oft gar nicht oder nur schwammig geregelt.

17 Jahre zuvor

@undertaker:

Warum eigenlich? Um Zweifel an den Todesumständen noch "überirdisch" klären zu können?

In südeuropäischen Ländern ist's ja eher andersherum, in Griechenland beispielsweise müssen Verstorbene innerhalb von 48 Stunden bestattet werden, vermutlich weil die häusliche Aufbahrung noch weit verbreitet ist und es da ja keine Kühlmöglichkeiten gibt

undertaker
17 Jahre zuvor

@Franzi: Mit Deinen Vermutungen hinsichtlich mediterraner Länder hast Du Recht, es ist eine Frage des Klimas.

Bei uns steht die Abschiednahme und die früher weit verbreitete Angst vor Scheintod im Vordergrund.

powermax
17 Jahre zuvor

"Eine wirkliche Dramatik oder gar einen Skandal kann ich überhaupt nicht entdecken."

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