Schneidet man Leichen die Herzschrittmacher wieder raus? Wer macht das? Werden die wieder verkauft?
Als die Zahl der Feuerbestattungen ab den 70er bzw. 80er Jahren zugenommen hat und die Lebenserwartung der Menschen immer größer wurde1, standen die Krematorien und Bestatter einem Problem gegenüber.
Die Herzschrittmacher explodierten während des Einäscherungsprozesses mit einem laut hörbaren Knall.
Hierbei wird der Leichnam, anders als es in Gute-Antwort-Portalen immer behauptet wird, nicht „zerfetzt“.
Vor allem ältere Ofenanlagen zeigten aber im Laufe der Zeit Beschädigungen, was dazu führte, daß die Krematoriumsbetreiber, oft sogar nur das Einäscherungspersonal, von den Bestattern verlangten, die Herzschrittmacher vor der Einlieferung des Verstorbenen zu entfernen.
Die Bestatter lernen diese Arbeit auch im Rahmen ihrer Ausbildung. Da Herzschrittmacher, anders als viele das glauben, nicht im Herzen oder hinter den Rippen direkt beim Herzen sitzen, sondern meist unter der Haut oberhalb des Brustmuskels, sind sie zu Lebzeiten des Patienten auch sehr gut für den recht einfachen Gerätetausch durch einen kleinen Hautschnitt2 und das Umprogrammieren durch das Auflegen eines Programmiergerätes zu erreichen.
Ähnlich einfach geht das Entfernen des kleinen Gerätes nach dem Tode. Ein gut plazierter etwa 4-5 cm langer Hautschnitt und ein paar Schnitte mit dem Skalpell, falls das Gerät mit dem umliegenden Gewebe etwas verwachsen ist, dann werden die Drähte „gekappt“, denn diese können bedenkenlos im Körper verbleiben und das war es schon.
Das Gerät wird dann entnommen und die kleine Wunde fachgerecht verschlossen. Manche Bestatter nähen die Wunde und verkleben sie dann mit einem hautfarbenen Pflaster, andere Bestatter nehmen nur das Pflaster, was auch in den meisten Fällen ausreicht.
Der Herzschrittmacher wird der Sondermüllentsorgung zugeführt und nicht etwa weiter verkauft.
Moderne Krematorien haben durchaus Schamottsteine, die die kleinen Explosionen der Herzschrittmacher aushalten. Deshalb kam es eine Weile dazu, daß Einäscherungsanlagen mit moderneren Öfen auch wieder Leichname mitsamt Herzschrittmacher angenommen haben.
Ich erinnere mich nicht mehr daran, wann das genau war, als die TA Luft (Technische Anleitung Luft, Bestandteil des Bundesimmissionsschutzgesetzes)3 verschärft wurde, aber ich meine, das war so Mitte bis Ende der 90er Jahre. Falls noch so ein Bestatterfossil hier mitliest oder jemand der sich auskennt: Bitte kommentieren!
Auf jeden Fall führte diese verschärfte „TA Luft“ dazu daß die Krematorien gezwungen waren sehr aufwendige Luftreinigungsanlagen, sprich Filter, einzubauen. Und damit ergab sich dann wieder ein neues Problem: Die von den verbrennenden Herzschrittmachern ausgehenden Giftstoffe bzw. Schwelstoffe konnten die Filterung nachteilig beeinflussen.
Also wurde die Anlieferung von Leichnamen mit Herzschrittmacher beinahe flächendeckend wieder „verboten“.
Im gleichen Zug wurden die Krematorien auch kritischer, was die Kleidung der Verstorbenen und die Sargbeigaben und auch die Särge an sich anbetraf! Alles was auf Kunststoffbasis war, und sei es ein Totenhemd aus Kunstfasern, stand im Verdacht, die Filteranlagen verkleben oder zerstören zu können und deshalb wurde das alles kurzerhand ebenfalls „verboten“4.
Kein schwarzer Anzug aus Nylon, kein Teddybärchen aus Polyesterplüsch, keine Sargdecke mit Perlonrüschen und keine Abdichtungsfolie aus herkömmlichem Plastik unten im Sarg.
Inzwischen hat sich die Situation wieder etwas gewandelt5.
Heute muß man wieder einmal mehr sagen: Das ist regional verschieden. Das eine Krematorium nimmt Verstorbene mit Herzschrittmacher problemlos an, das nächste Krematorium lehnt das kategorisch ab.
Andere Krematorien verlangen, daß Herzschrittmacher, die vor dem Jahr 2000 hergestellt (nicht eingesetzt!) worden sind, ausgebaut werden; neuere können im Leichnam verbleiben.
Wieder andere Krematorien setzen hier das Jahr 2009 als magische Grenze.
Es wäre also nun am Bestatter, auch noch herauszufinden, in welchem Jahr der Herzschrittmacher hergestellt worden ist. Diese Auskunft wird er aber in aller Regel im Krankenhaus nicht bekommen. Also wird er prophylaktisch bei allen Patienten, die den HZM vor 2000 bzw. 2009 bekommen haben, das Ding entfernen und es bei den anderen „Patienten“ an Ort und Stelle belassen.
Die Antwort auf die Frage „Werden vor der Einäscherung Toten die Herzschrittmacher herausgenommen?“ lautet also wieder einmal mehr: Im Prinzip ja, aber manchmal auch nicht. Oder: Im Prinzip nein, aber manchmal eben doch.
Die Kosten für die Entnahme haben die Angehörigen zu tragen.
Ich persönlich hatte die Eigentumsfrage noch nie zu klären, aber es wäre theoretisch möglich, daß jemand Ansprüche auf das entnommene Gerät erhebt. Das könnte die Krankenkasse sein (die Kassen sind überwiegend der Auffassung, die Geräte gehörten ihnen) oder aber die Angehörigen als erben.
Bis jetzt haben wir die Geräte immer als Sondermüll separat verpackt und gekennzeichnet beim Recyclinghof abgegeben.
Aufgrund der hohen Lebensdauer der Geräte, die bis zu 19 Jahre betragen kann und die sicher noch weiter steigen wird, spricht im Grunde genommen aus technisch/medizinischer Sicht kaum etwas gegen die Wiederverwertung von nur kurzzeitig gelaufenen Geräten, sofern sie sachgerecht entnommen und wieder ordentlich aufgearbeitet wurden. In Anbetracht der hohen Kosten für die Geräte ist dies kein abwegiger Gedanke, der in anderen Ländern auch diskutiert und wo diese Frage auch anders beantwortet wurde als bei uns in Deutschland.
Man sieht dort den entnommenen Herzschrittmacher in etwa so wie ein entnommenes Organ.
Hier gibt es sicherlich viel Diskussionspotential.
1 Das Durchschnittsalter für die Erstimplantation liegt bei 75 Jahren.
2 Die durchschn. „Lebensdauer“ eines Herzschrittmachers liegt bei etwa 8 Jahren.
3 http://de.wikipedia.org/wiki/TA_Luft
4 „verboten“ steht hier deshalb in Anführungszeichen, weil es oft nur kommunale Verwaltungsanordnungen, ja manchmal nur mündliche Mitteilungen von Einäscherern waren.
5 Stand 2012
6 Das Bild stammt aus Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz, Fotograf ist Steven Fruitsmaak. Besonderheit: Der Fotograf gibt sehr passend zum Thema des Artikels an, es handele sich um einen mitsamt der Elektrode aus einem Verstorbenen entfernten Herzschrittmacher.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Hm. Ich finde gut, dass der Bestatter das Entfernen des Schrittmachers durchführen darf. Ich hätte erwartet, dass selbst wenn der Mensch tot ist, weiterhin nur ein Mediziner denjenigen „aufschneiden“ darf.
Ich hoffe für Hinterbliebene, dass die KKasse nicht mit hohen Geldforderungen kommt, wenn Wochen oder Monate, nachdem die vom Bestatter entsorgten Geräte dementsprechend nicht bei den KKankenkassen zurück gebracht worden sind. Das wäre ja eine zusätzliche Belastung für die Hinterbliebenen die 1. vermutlich gar nicht wissen dass das Gerät entsorgt wurde und 2. nicht wissen dass die Kasse den Schrittmacher zurückfordert.
Ist so ein Fall euch mal zu Ohren gekommen? Dass Angehörige wegen der Krankenkasse nach dem Schrittmacher gefragt haben?
@1 Astrid: Von Krankenkassen wurde ich noch nie nach meinen aufgebrauchten Schrittmachern gefragt. Eher von Ärzten, meist in Unikliniken, die diese Geräte für ihre „Sammlung“ wollten, um sie ihren Studenten zeigen zu können. Die ausgebauten Geräte wurden nämlich nach der OP meist mir ausgehändigt und lagen dann so auf dem Nachttisch herum. Aufgebrauchte Schrittmacher können nicht aufgeladen werden, und einen Batteriewechsel, wie man ihn vom Wecker oder der Taschenlampe kennt, gibt es auch nicht. Das, was man auf dem Bild sieht (nicht die Sonden), IST die Batterie. Auch als mir ein erst ein Jahr zuvor implantierter Schrittmacher wieder entfernt werden musste, weil eine größere Herzoperation die „Neuinstallation“ der gesamten Schrittmacheranlage (Kabel, Elektroden) erforderte, gab es keine Regressforderungen. Ein Arzt erklärte mir einmal, dass vorzeitig ausgebaute Schrittmacher nicht weiter verwendet würden. Wie das zukünftig sein wird, wird sich zeigen, denn inzwischen ist es möglich, bei der Schrittmacherkontrolle eine Laufzeitprognose abzufragen. Allerdings ist mir selbst mal passiert, dass das Aggregat in die Knie ging, obwohl bei der kurz zuvor stattgefundenen Kontrolle „voraussichtliche Laufzeit noch 36 Monate“ angezeigt… Weiterlesen »
Zusätzliche Würze bekommt die Angelegenheit mit den teilweise verwendeten Elektrodenmaterialien für die Batterie:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/plutonium-herzschrittmacher-atombatterie-in-der-brust-a-662648.html
Das eine Krankenkasse die Herzschrittmacher zurück verlangt habe ich auch noch nie gehört. Ganz im Gegenteil – keiner will die haben. Ich wäre froh, wenn ich nen ordentlichen Weg wüsste, wie man die entsorgen kann – ich hätte da so einige, die mal explantiert wurden und nein, ich geb die nicht an irgend jemanden der die aus Interesse sammeln will, oder sonst etwas.
In den Sondermüll vom Recyclinghof find ich irgendwie auch nicht die beste Lösung.
Abgabe an ne Uniklinik oder so wär ne Maßnahme.
Wenn ausgediente Herzschrittmacher auf Recyclinghöfe entsorgt werden, wird dabei unwissend außer Acht gelassen, dass es durchaus einen gefragten Markt für diese Geräte gibt! Und das ist sowohl mit dem Recht, wie auch mit der Menschenwürde vereinbar.
Sammler, Technikbegeisterte, wie auch Professoren, die Studienversuche mit Meßpraktika anstellen, sind für Angebote dankbar, so irgendwann Angehörige und Betroffene, die sich explantierte Schrittmacher aushändigen ließen mal keine Verwendung mehr für haben.
Letztlich gilt jedoch zu beachten, dass bei blankliegende Elektroden oder unsachgemäß geöffnete Defis eine Gefahr von einem Stromschlag ausgeht.
Meiner verstorbenen Schwägerin wurde der Herzschritt macher entnommen von dem Leichenbeschauer. Habe ich als Erbin ein ein Recht auf das Gerät?
Ich will bzw. wollte das Ding (den Herzschrittmacher meiner verst. Schwägerin) nicht wirklich haben. Aber ich wurde auch gar nicht danach gefragt, soll jetzt aber die Entfernunf oder entnahme bezahlen.
Hallo! Als Elektronikentwickler bei einem Implantathersteller erlaube ich mir (wenngleich der Artikel schon etwas älter ist) ein paar Gedankengänge anzumerken, warum die Wiederverwendung keine sinnvolle Option darstellt: 1. Ein HZM kostet zwischen 1000 und 7000€. Klingt nach viel, ist es aber nicht, wenn nach einer fehlgeschlagenen Wiederverwendung erst recht ein neues Gerät implantiert werden muß (den psychologischen Streß des Patienten mit defektem Gerät ignorieren wir mal). 2. Vielleicht hat man eine Reanimation versucht? Man müßte nachforschen; und auch wenn HZM auf Defi-Beständigkeit geprüft werden, ist das ein elektronischer Streß für die Bauteile und somit eine potentielle Fehlerquelle für den weiteren Betrieb. 3. Der HZM müßte komplett gereinigt werden (v.a. Antikörper wg. Infektionsgefahr), auf Funktion getestet, neu verpackt, sterilisiert werden, etc. Dazu muß man das Gerät erst mal an den Hersteller zurückschicken. Das ganze Prozedere ist so aufwändig und mit so viel Papierkram verbunden, daß man sich das einfach nicht antut. V.a. der 2. (rein technisch betrachtet) und 3. Punkt (regulatorisch und monetär) zeigen, daß eine Wiederverwendung im Vgl. zu einem neuen Gerät einfach nicht sinnvoll… Weiterlesen »
Moin,
ein gebrauchtes Gerät einzubauen macht auf jeden Fall keinen Sinn, weil die Batterie sowieso schon teilweise verbraucht ist und je nach Einsatzdauer nur noch eine (sehr) verkürzte Lebensdauer hätte.
Also müsste in kurzem Zeitabstand wieder operiert werden, welches die Kosten erheblich in die Höhe treibt und verteuern würde. Um ein Handy oder ähnliches zu entsorgen macht man doch auch keinen solchen Tamm-Tamm, sondern wirft das Teil meistens in den Sondermüll u.s.w. . Das Entnehmen des Schrittmachers müsste schon mit der Krankenkasse geregelt sein. Das wäre auf jeden Fall die einfachste und sicherste Lösung. Jeder ist heute nur noch auf Profit aus!!!
Güsse H. Sturm