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Werner V

Ich habe alle rausgeworfen.
Nein, ich habe niemanden entlassen aber ich wollte mit Werner alleine in unserem Vorbereitungsraum sein. Ich meine, Werner war ein guter Freund, aber ich habe ihn immer nur angezogen gesehen. Jetzt liegt er da vor mir, wie so viele hundert Leichen zuvor und ich suche in mir die Nähe, kann sie aber nicht finden.

Das da ist nicht mein Werner, seine Augen sind starr und leer, sein Mund steht offen, die Wangen sind eingefallen. Er ist weiß, fast ein bißchen grau und sieht so mager aus. Wie kann ein Mensch in so kurzer Zeit so abbauen?

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Ich will Werner die letzte Ehre erweisen, einen letzten Liebesdienst tun und bin mir bewußt, daß niemand näher, intimer und persönlicher so etwas tun kann als ein Bestatter. Doch dieses Gefühl muß ich mir selbst gegenüber betonen, es kommt nicht so von alleine, wie ich es gedacht hatte.

Werner wird gewaschen, mit viel lauwarmem Wasser, dann trockne ich ihn und schäume sein Gesicht ein, ich will ihn noch rasieren. Das geht glücklicherweise sehr gut, das ist nicht immer so, aber die Stoppeln sind lang genug, die Klingen greifen gut und die Haut ist noch flexibel und fest.

Huber steckt den Kopf zur Tür rein, will wissen ob es geht, ich nicke und will nicht zugeben, daß es mir unangenehm ist, meinem Freund im Schambereich zu betrachten und zu berühren. Huber ist ein alter Fuchs, kommt einfach herein und übernimmt die Arbeit unten herum. Er trocknet nach und nimmt aus dem Regal eine Unterhose. Ich sage nichts, bin froh, daß er da ist und reibe Werners Oberkörper mit Balsam ein.

Unterwäsche bei einem Toten? Ja, das machen wir manchmal. Die Idee ist mir vor Jahren gekommen, als ich mal im Krankenhaus war und so ein weißes Flügelhemd anbekommen habe. Mir jedenfalls war es damals unangenehm unten herum nichts anzuhaben. Warum sollen wir also nicht unseren Verstorbenen auch einfache weiße Unterwäsche anziehen? Mir jedenfalls würde das gefallen.
Und Balsam? Einige werden sich fragen, was es damit auf sich hat. Nun, unser Balsam ist eine Creme, die Wollwachse enthält, nicht so schnell einzieht und der Haut eine gewisse Geschmeidigkeit verleiht und verhindert, daß sie austrocknet. Außerdem riecht es gut. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Verstorbenen etwas länger frisch aussehen.

Werner wollte einen Talar, keinen Anzug. Er war kein Anzugtyp und liebte es bequem. Mir war der Gedanke gekommen, daß man ihm vielleicht seine Polizeiuniform anziehen könnte, aber Edith meinte, das sei keine gute Idee, die habe er schon viele Jahre nur noch zu besonderen Anlässen getragen und immer als höchst unbequem empfunden.

Einen grauen Talar aus Seide habe ich ausgewählt, der sieht besonders edel aus und hat einen hohen Kragen, sodaß man die verbundene Stelle und die Folgen der Operation am Hals nicht sieht.

Huber holt den Sarg. Ich habe für Werner eine Buchentruhe ausgewählt. Massiv, schwer, aber sehr schlicht und ohne Schnörkel.
Ich habe nicht vor, Werners Wunsch nach einer Jaffa-Kiste zu erfüllen. So hatte er sich nämlich geäußert und ich weiß, daß er sich nur hintenan stellen wollte und seiner Familie Geld sparen wollte. Wäre ich davon überzeugt, daß er wirklich aus tiefem Herzen einen ganz einfachen Sarg gewünscht hatte, dann hätte er ihn auch bekommen. Aber diese Überzeugung habe ich nicht und deshalb bekommt er die Buchentruhe. Ganz gerade Linien, alles kantig, nur der Deckel ist rund gewölbt. Schlicht, aber edel.

Wir heben Werner in den Sarg, Decke und Kissen passen zum Talar und haben eine Mäanderstickung am Rand. Seine Hände falten wir, pudern noch einmal darüber, das Gesicht pudern wir ebenfalls leicht, mehr muß man nicht machen. Huber kämmt die Haare, ich zupfe an der Decke.

Dann fahre ich den offenen Sarg im Aufzug nach oben. Werner bekommt seine eigene Kühlzelle, damit seine Familie morgen Abschied nehmen kann. Eine Trauerfeier bei uns im Haus wird es nicht geben, dazu kommen zu viele Leute. Werner war sehr beliebt, in Vereinen, auf der Arbeit und alleine die Polizei wird mit dem gesamten Polizeiorchester anrücken und eine größere Abordnung schicken. Dazu erfahre ich aber erst morgen früh mehr, dann kommt nämlich der zuständige Öffentlichkeitsbeauftragte zu mir, um den ganzen Ablauf durchzusprechen.

Da steht der Sarg nun in der Aufbahrungszelle und ich setze mich neben den Sarg, betrachte Werner und habe jetzt erst das Gefühl, daß das da wieder mein Freund ist.

„Ihr müßt doch diesen Leib verwandeln“, eine Botschaft aus uralter Zeit, die uns Noker von Zwiefalten auf den Weg gegeben hat und die mir immer Mahnung und berufliches Ziel war.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#werner

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(©si)