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Zwerg

Es gehört irgendwie zum Alltag, daß Antonia und Sandy sich gegenseitig ärgern. Frau Büser versteht oft die Zusammenhänge nicht und ich mache erst gar nicht den Versuch, die Details verstehen zu wollen. Zum einen handelt es sich um das Geplänkel zwischen Frauen und zum anderen sind diese auch noch so jung, daß sich die von uns bewohnten Themenwelten grundsätzlich unterscheiden.
Ich will Frauen hier gar nicht schlecht machen, sie sind stark und wichtig in unserem Leben. Aber sagen wir es mal so, auch eine Kette, die einen Dampfer am Kai festhält, ist schwer, wichtig und stark. Aber muß man sich deshalb Gedanken über die Geräusche machen, die eine solche Kette hervorbringt?

Antonia ist derzeit in einen gewissen Günther verliebt. Es ist, so glaube ich, der vierundzwanzigste Günther, er kann auch Jürgen heißen, auf jeden Fall irgendwas mit Ü und nicht türkisch.
Sandy hingegen frönt ihrer bisexuellen Ader und hat derzeit in ihrer Freizeit so ein übles, kleines, blondes Gewächs im Schlepptau. Diese Melina ist klein, schlank, zart und hat einen Lockenkopf, sodaß sie neben der großen, dunklen Sandy aussieht als gingen da Lady Vampirella und ein kleiner Posaunenengel nebeneinander her.

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Der mit dem Ü, einigen wir uns mal auf Günther, ruft etwa 40 mal am Tag an. Antonia bekommt dann immer ganz weiche, mütterlich-sanfte Anwandlungen und man glaubt, sie spreche da mit Kuno, dem Glückshäschen.

„Ei, was hat er denn Feines gemacht? Ja, hat er was Feines gemacht? Da freu ich mich aber! Ja, das hat er aber fein gemacht.“

So ähnlich sprechen ja Leute auch mit einem jungen Hund, wenn der brav einen Haufen gemacht hat. Bei Antonia ging es mit diesen Worten um die Zulassung ihres neuen Autos. Sie hat jetzt einen Peugeot und uns allen erzählt, daß ihr neues Baby (also der Peugeot) Bernhard heiße.
Das interessiert keinen, das kann auch keiner nachvollziehen, doch sie erklärt es uns trotzdem:

„Weil mein letzter Wagen doch Manfred geheißen hat, ist doch klar, dann kommt jetzt Bernhard an die Reihe.“

Und am Telefon zu ihrem Ü-Mann: „Mein Bubischwänzchen, hast Du Bernhard auch schön ein Fressi gegeben?“

Nochmals: Die sprechen nicht über ein Tier oder so, sondern über die Betankung eines französischen Autos.

Ü-Mann Günther ist derzeit arbeitslos und befindet sich in einer Maßnahme. Das heißt er muß mit anfangs zwölf, jetzt nur noch vier, anderen Arbeitslosen bei einem teuren Maßnahmenveranstalter einen Lehrgang machen, in dem er Haustechnik lernt, was ihnen ein bisher ebenfalls arbeitsloser Starkstromtechniker aus dem Osten beibringen soll.
Hinterher sind die Männer alle noch genauso arbeitslos, dafür aber in noch einem weiteren Beruf ohne Beschäftigung. Toll.

Weil es nur noch vier Leute sind, die Haustechniker werden wollen, hat der Veranstalter das Programm gerafft und Günther muß nur noch alle zwei Tage da hin. Den Rest der Zeit hält er Antonias kleine Wohnung sauber, denn in seine eigene kann er derzeit nicht zurück, dort steht noch das Bild von Jutta, seiner bisherigen Verlobten, und deren Anblick kann er nicht ertragen.
Zwischendurch ruft er immer bei Antonia an.
„So, jetzt habe ich den Kaffeefilter von heute morgen runtergebracht, stell Dir vor, die linke von den grünen Tonnen ist schon ganz voll.“

Gut, das sind ja auch essentielle und überlebensnotwendige, sozusagen doppelt ungesättigte Wichtigkeiten, da muß man unbedingt sofort telefonischen Kontakt aufnehmen. Um etwas Geld für SMS-Nachrichten zu sparen, haben die beiden ein nahezu geniales System entwickelt.
Der Ü-Günther hat die häufigsten Meldungen („Ich liebe Dich“, „Vergiss mich nicht!“, „Mein Herz ist klein, mein Haus ist rein, komm lass mich doch Dein Herzlieb sein!“) gleichlautend in zwei kleine Notizbücher geschrieben und durchnummeriert.
Statt jetzt lange SMS zu schreiben, simsen sich die beiden oft einfach nur die Nummer des jeweiligen Eintrages zu…

In seiner Freizeit ist Günther beim Technischen Hilfswerk. Dort darf er einen großen Laster fahren und wäre vor einigen Jahren beinahe sogar beim großen Oderhochwasser zum Einsatz gekommen.

Und genau an dieser Tätigkeit entbrannte der aktuelle Streit zwischen Antonia und Sandy.
Wie immer hatte sich Antonia gerade irgendetwas zwischen die Zähne gesteckt, da klingelte zum zwölften Mal innerhalb der letzten fünf Minuten das Liebes-Handy, der direkte Draht zum großen Ü.
Sandy machte sich darüber lustig und Antonia erzürnte sich, denn der Ü-Mann hatte ihr mitgeteilt, er fahre nachher mal zum Technischen Hilfswerk rüber und wasche mal eben alle blauen Wagen.

Sandy hält das alles für eine übertriebene bürgerliche Scheiße und weil Antonia auch noch an einem Puddingbrezel kaute, als sie ‚Technisches Hilfswerk‘ sagte, hat Sandy das als ‚Technischen Hilfszwerg‘ übernommen und mehrfach auch so wiederholt.

„Das verbitte ich mir! Güntherlie ist einsfünfundsiebzig groß, der ist kein Zwerg!“ schimpfte Antonia und Sandy zuckte nur mit den Achseln und wiederholte in aller Langsam- und Gleichgültigkeit sehr gedehnt:

„Technischer Hilfszwerg“.

„Boah ey, nur weil der nicht so goldene Locken hat, wie Deine blöde Melina, hackst Du auf dem rum.“

„Sorry, meines Wissens hat Dein Günni so gut wie gar keine Haare auf dem Kopf.“

„Ja und? Das ist eben so, daß besonders starke Männer auch schon mal jung die Haare einbüßen.“

„Meinetwegen, ist ja Dein Günni.“

„Und sag nicht immer Günni, das kann er nicht leiden, der heißt Günther.“

„Jau, soll mir auch recht sein. Mir ist es egal wie Dein technischer Hilfszwerg heißt. Früher gab es für Frauen so technische Hilfszwerge mit Batteriebetrieb.“

Das war der Punkt, an dem Antonia den Nachbrenner einschaltete und irgendwie schlagartig sogar so etwas wie Geschwindigkeit und Beweglichkeit entwickelte.
Jedenfalls hatte Sandy nach der Aktion Puddingcreme um die Nase und Antonia war mit hochrotem Kopf in ihrem Büro verschwunden.

Sandy rief noch drei oder vier mal „Hilfszwerg“ hinterher, Frau Büser schaute genervt über den Rand ihrer Brille und fragte, um was für einen Schilfberg es da gehe und Antonia mußte sofort ihren Günni anrufen, um zu fragen, wie es Bernhard geht.

Ist es vor diesem Hintergrund nicht als ganz besondere Charakterstärke einzustufen, daß ich nicht saufe?

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(©si)