Geschichten

Weihnachten im Bestattungshaus

Der Heiligabend ist doch schon ein merkwürdiger Tag. Eigentlich meinen wir mit Weihnachten doch diesen Tag, obwohl ja in Wirklichkeit erst am 25. und 26. Weihnachten ist. Und obwohl uns dieser Tag so wichtig ist, ist er angefüllt von Hektik, Trubel und Gehetze.
Von der ganzen Spinnerei, die die Menschheit in den paar Wochen vor Weihnachten betreibt, will ich gar nicht sprechen.

Mir ist Weihnachten wichtig. Ein kleines bisschen bin ich volksfromm, ich mag diesen Zinnober rund um die Weihnachtsmesse, Krippen und das ganze Gedöns. Minge Pänz ooch.

Wann immer es geht, schaufele ich mir Weihnachten frei und auch in unserer Firma herrscht seitdem ich zu sagen habe vom 24.12. bis 06.01. Betriebsruhe. Und weil mir das ja sowieso wieder falsch ausgelegt wird, erwähne ich gar nicht, dass ich dafür immer das Bereithalten von sage und schreibe 3 Urlaubstagen erwarte.

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Letztes Jahr an Heiligabend komme ich mit den Kindern vom Weihnachtsgottesdienst zurück. Diesmal waren wir evangelisch unterwegs, die Kirche ist zwar etwas weiter weg, aber die Uhrzeit war besser. Die Kinder sind schon ganz aufgeregt und ich schicke sie schnell rein und gehe nochmal auf den Hof, um zu schauen, dass auch alle unsere Wagen gut untergebracht sind. Alle passen sie nicht in den Keller.
Im Grunde ist es Quatsch, da nochmal gucken zu gehen, aber Männer machen sowas, sicher ist sicher.

Als ich wieder um das Haus herumkomme stehen unter der Laterne vor unserer Einfahrt zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, vielleicht 6 oder 7 Jahre alt.

„Na, was macht Ihr denn am Heiligen Abend hier draußen, es ist doch schon dunkel und kalt ist es auch.“

„Sind Sie der Mann, der die Toten begräbt?“

„Ja, das bin ich wohl.“

Die beiden schauen sich an, drucksen herum und tuscheln miteinander. Ist doch merkwürdig, dass zwei so kleine Kinder ausgerechnet an Weihnachten alleine unterwegs sind. Ich frage nochmal nach: „Jetzt sagt doch mal, was wollt ihr hier?“

Der Junge hebt seine Hände und erst da sehe ich, dass sie etwas dabei haben. Ich muß näher herangehen, um sehen zu können, was das ist. Zuerst sieht es aus, wie ein zusammengerollter Waschlappen oder sowas und erst als der Junge sagt: „Unser Mucki ist tot!“, wird mir klar, dass es sich wohl um ein Meerschweinchen handelt.

„Ach Du meine Güte“, sage ich. „Das ist aber schade. Was wollte ihr denn jetzt von mir?“

„Sie sollen den Mucki beerdigen.“

„Ja, aber ich beerdige doch keine Meerschweinchen, nur Menschen.“

Der Junge sagt: „Als der Mucki heute gestorben ist, hat der Papa gesagt, wir sollen ihn irgendwo am Feldrand begraben. Unsere Eltern glauben, wir sind jetzt am Feld, um Mucki zu beerdigen. Wir wollen aber eine richtige Beerdigung.“

Das Mädchen weint. Verflixt, wenn mich was weich macht, dann sind das weinende Frauen, auch wenn sie erst sechs oder sieben sind.

„Na, dann kommt mal rein.“

„Sie, wir können auch bezahlen“, sagt das Mädchen mit weinerlicher Stimme und hält mir in der offenen Hand stolze 80 Cent hin.

Drinnen setze ich die beiden in ein Beratungszimmer und telefoniere vom anderen Büro aus nach oben. Meine Frau meldet sich. Die Gans muss warten. Meine Frau meldet sich und ich sage ihr, dass sie mit der Weihnachtsgans noch etwas warten muss. Ich schildere kurz, was los ist und meine Frau bietet an, eine Kanne Kakao herunterzubringen.

Dann sitze ich da mit den beiden Kleinen, die Patricia und Felix heißen und frage, wie sie sich das Ganze denn vorstellen.

Ja, das wissen sie auch nicht so genau, sie wissen nur, dass man mit Toten zu uns kommt. Natürlich brauche Mucki einen Sarg, er müsse eine Feier mit Musik bekommen und begraben müsse man ihn dann ja sowieso.
Ach Gott, die Meersau! „Komm, gib mir mal den Mucki“, sage ich, nehme dem Kind das etwas aufgedunsene Meerschweinchen ab und lege es vorsichtig auf ein Stück Zeitungspapier auf einen anderen Tisch.

Meine Frau kommt mit dem Kakao und flüstert mir zu, ich hätte noch eine Dreiviertelstunde, aber dann…
„Los, hilf mir, dann geht es schneller“, sage ich und sie will wissen, was ich vorhabe.
Ich sage: „Das sind zahlende Kunden.“

Sie nickt, sie kennt mich, sie weiß, dass ich bekloppt bin.

Einmal mehr schaut sie mich an, wie eine Mutter ihr leicht beschränktes Kind, aber in ihrem Blick ist auch viel Liebe.

„Gut“, sage ich zu den Kindern, „dann wollen wir mal.“

Mit großen Augen schauen sie zu, wie ich aus dem Ausstellungsraum ein einfaches kleines Handkreuz aus Holz hole und dann mit einem schwarzen Filzmarkierer MUCKI darauf schreibe.
Ein Sargfabrikant hatte uns in seinem obligatorischen Weihnachtsfresskorb eine Flasche Cognac in einem Sarg-Karton geschickt und genau diesen Karton hole ich von nebenan.
Ich glaube, es hat die Kinder kein bisschen gestört, dass auf der Seite der Schachtel ein Aufkleber der Cognac-Firma prangte. Der Sarg hat nämlich ansonsten genau die richtige Größe. Drei weiße Blätter von der Küchenrolle sind perfekt als Unterlage, Kissen und Decke und Mucki liegt schöner in seinem Pappsarg, als ich es erwartet hätte, die Kinder weinen.
Mit Klebefilm verschließen wir gemeinsam die ewige Truhe. Felix rollt ab, Patricia reißt die Stücke ab und ich klebe zu.

„War der Mucki denn evangelisch oder katholisch?“, frage ich und wie aus der Pistole geschossen antworten die beiden: „Katholisch!“

„Na gut, dann kommt mal mit, wir müssen jetzt die Trauerfeier machen.“

So stehe ich am Heiligen Abend mit Patricia und Felix in der Trauerhalle unseres Bestattungshauses. Vorne auf dem riesigen Katafalk steht ein winziger Pappsarg mit Cognac-Reklame und von Band spielt es Bing Crosby’s „White Christmas“. Keine Ahnung, ob das Lied besonders katholisch ist, aber feierlich ist es für uns auf alle Fälle. Ich stehe da in der Mitte, an der rechten Hand das Mädchen, an der linken Hand den Jungen.
Als das Weihnachtslied fertig ist, hole ich den kleinen Sarg und wir marschieren in einer kleinen, aber sehr, sehr würdigen Prozession auf den Hof, wo wir Muckis Sarg neben einem Rhododendron vergraben. Obendrauf kommt das kleine Kreuz.

Felix und Patricia stehen da mit riesengroßen Augen und schweigen. Ich geh schon mal rein und lasse die Tür offen.
Sie kommen etwa fünf Minuten später und ich habe ihnen schon Kakao eingeschenkt.

Mit dem dicken Filzschreiber schreibe ich auf ein weißes Blatt Papier:

1 x Mucki beerdigen 80 Cent

Dann mache ich einen Stempel drunter und unterschreibe. Felix nickt, so findet er es perfekt. Patricia bezahlt ihre 80 Cent und gut ist es.

„Los, jetzt aber Abmarsch nach Hause!“

An der Tür rufen mir die beiden unisono noch ‚Frohe Weihnachten‘ zu und ich winke ihnen hinterher.

Ich schalte noch das Licht in der Trauerhalle aus, schließe hinten ab und dann, ja dann ist Weihnachten.

© 2007

Bildquellen:

  • rhododendron-g826e5d0e4_640: Bild von Pezibear auf Pixabay

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#bestattungshaus #weihnachten

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