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Wenn die Mutter mit der Tochter

Rechtschreibung geprüft

In der Halle sitzen Mutter und Tochter. Die Mutter ganz normal gekleidet, die Tochter, etwa 17 Jahre alt, schaut bleich aus dicken schwarzen Klamotten in die Gegend. Die Haare sind schwarz gefärbt und stehen steif in alle Richtungen ab. An den Händen trägt das Mädchen schwarze Handschuhe, bei denen die Finger abgeschnitten sind, sodaß man die schwarzlackierten Fingernägel sehen kann.

Als die Mutter mich sieht, springt sie auf, nestelt an ihrer Kleidung herum, zieht den Rock glatt und will mich begrüßen. Doch dann sieht sie, daß ihre Tochter sitzenbleibt und gelangweilt an die Decke starrt und „Patsch“, die Kleine bekommt einen Schlag in den Nacken: „Los steht auf, Nadine!“

Schwerfälliger als Manuel Uribe erhebt die Kleine sich klappernd und scheppernd, an ihrer Kleidung hängt so einiges aus Metall und das Kind sieht aus als sei es magnetisch und durch einen Eisenwarenladen gelaufen.

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Nadine bequemt sich sogar, mich kurz anzuschauen, dann beginnt sie wieder gelangweilt zu kauen. Erst denke ich, sie kaue auf einem Kaugummi herum, später werde ich entdecken, daß sie permanent mit dem Metallstöpsel, der durch ihre Unterlippe gesteckt ist, herumspielt.

Ich begrüße die Mutter, gebe ihr die Hand und will auch Nadine begrüßen, doch die ignoriert meine ausgestreckte Hand, sodaß ich sie wieder zurückziehe.

„Nadine!“ sagt die Mutter mit einem scharfen Unterton und Nadine streckt mir widerwillig eine Hand hin, ohne jedoch in eine Richtung zu schauen.

„Also, wenn Sie nicht wollen, können wir es auch gleich lassen“, sage ich und halte der jungen Frau ebenfalls meine Hand hin. Sie wirft einen kurzen Blick drauf, fängt sich wieder einen Schlag in den Nacken und ein „Nadine!!!“ ein und in Zeitlupe ergreift sie meine Hand und siehe da, sie schaut mich sogar an.

„Na, dann gehen wir mal in mein Büro“, sage ich, gehe vor und halte den beiden Frauen die Tür auf.
Frau Fuchs und ihre Tochter Nadine sind gekommen, weil sich Nadine um eine Ausbildungsstelle bei uns bewerben möchte.

Während Frau Fuchs an mir vorbeigeht, sagt sie etwas leiser: „So ist sie normalerweise gar nicht, ich weiß auch nicht was in das Kind gefahren ist.“
Ich lächele nur unverbindlich, biete ihnen einen Sitzplatz vor dem Schreibtisch an und setze mich auf meinen Platz.
Nadine hat ihre Knie an die Kante des Schreibtisches geklemmt und bollert mit ihren Schuhen vor die Vorderseite meines Schreibtisches. Von der Mutter kommt wieder ein scharfes „Nadine!“ wobei man wissen muß, daß das E am Ende von Nadine immer schön mitgesprochen wird, betont werden alle drei Vokale.

Die Ausbildungsstelle, um die es geht, ist eine Berufsausbildung zur Bürokauffrau mit Schwerpunkt Bestattungswesen. In Absprache mit der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer haben wir so früher, als es noch keine ordentlichen Ausbildungsgänge zur Bestattungsfachkraft gab, junge Leute ausgebildet. Hierbei tragen wir dem Umstand Rechnung, daß der größte Teil der Arbeit eines Bestatters in Büro und Verwaltung stattfindet.
Die Ausbildung entspricht weitestgehend der zur Bürokauffrau (IHK) und betriebsintern vermitteln wir auch einen umfangreichen Einblick in die übrigen, teils handwerklichen, Belange eines Bestattungshauses.

Heraus kommen gut ausgebildete Bürokaufleute, die sehr gut auch in jede andere Branche zu vermitteln sind, die aber ausgezeichnet auch im Bestattungswesen Bescheid wissen. Als Bestattungsfachkraft, so unsere Erfahrungen, hat man zwar exzellente Chancen, eine gute Anstellung in der Branche zu bekommen, aber man ist natürlich ziemlich auf die Branche festgelegt.

Um eine solche Anstellung geht es und ich bin, nach dem bisherigen Auftritt von Nadine, eigentlich gewillt, die Schwarzklappernde wegzuschicken.

Ihre Mutter meldet sich zu Wort: „So ist Nadine eigentlich gar nicht. Ich weiß wirklich nicht was in das Kind gefahren ist. Sie hat sich vor vier oder fünf Wochen auf einmal schwarz angezogen und das ganze Zeugs hier… Sie können sich auf mich verlassen, die ist in Wirklichkeit ganz nett!“

Es ist ja schön, daß sich die Mutter so für ihre Tochter einsetzt und ich finde es ja schon bemerkenswert, daß überhaupt noch Eltern mit zu Bewerbungsgesprächen gehen, aber dieses Mädchen hätte ich in diesem Zustand auch nicht alleine losgeschickt.
Ich schlage die Bewerbungsmappe auf und lehne mich in meinem Sessel zurück, ich muß die Mappe etwas höher nehmen, damit sie mein Gesicht verdeckt, ich bin nämlich total verdutzt.
Die Mappe ist 1a sauber, Nadine hat die Hauptschule besucht und ihr Schulzeugnis weist in allen Hauptfächern eine Eins aus.
In Sport, BKWHAHA und MUK hat sie jeweils eine Zwei (Ich werde nie verstehen, warum die Fächer keine normalen Namen mehr haben. BKWHAHA soll Bildende Kunst, Werken, Hauswirtschaft und Handarbeit bedeuten… oder so.).

Auf dem beigefügten Foto sieht Nadine vollkommen anders aus, dunkelblond und nichts kreideweiß geschminkt. Ihre Handschrift ist rund und mädchenhaft, als Hobbies hat sie angegeben: „Lesen, Malen und Pferde“.

Ich eröffne das Gespräch mit Nadine, doch sie bleibt bockig.
„So, und Sie würden gerne bei uns eine Ausbildung machen?“
Nadine guckt an mir vorbei zum Fenster raus und wieder macht es „Patsch“. Die Schläge der Mutter landen immer im Nacken der Tochter und sind keine Akte der Gewalt und auch nicht wirklich fest. Es sind so Luftschläge, die wohl der Verzweiflung entspringen.

Ich versuche es erneut, das schweigende Mädchen zum Sprechen zu bewegen: „Wenn Sie eine Ausbildung bei uns machen wollen, müßten Sie schon mit mir sprechen, sonst wird das nichts.“

„Ja“, sagt das Mädchen, das ist alles, sie guckt wieder zum Fenster raus.

„Kann ich mal eben mit meiner Tochter rausgehen?“ erkundigt sich Frau Fuchs und ich will gerade zustimmen, da beschließe ich etwas anderes: „Wie wäre es, wenn ich mal kurz mit ihrer Tochter spreche?“

Sie nickt, nimmt ihre Handtasche und verlässt den Raum.

Zwanzig Minuten später unterschreiben Nadine und ich einen Vertrag für ein Vorpraktikum.
So!
Geht doch!

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 1. August 2008 | Revision: 12. März 2016

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