Fundstücke

5 Jahre als Bestatter

geiz-pixabay

Es war schon am Morgen sehr warm, im August des Jahres 1980.

Nur noch circa 150 Meter, da sah ich schon das Schild: XXX Bestattungen seit 1895.

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Als ich den Laden betrat, schlug mir der schon aus meiner Praktikumszeit bekannte Duft entgegen. Eine Mischung aus Körpergeruch, Möbelpolitur und Holz.
Karl, der eine der beiden Brüder, die das größte, seit Generationen in Familienhand befindliche Bestattungshaus in der Stadt betrieben, begrüßte mich kurz und sagte, das ich mit seinem Bruder gleich zu einer Beerdigung fahren könnte.

Ich ging durch das Sarglager zur Garage, wir stiegen in das Auto und fuhren zum Friedhof.
Meine erste Beerdigung war nicht sehr groß, sechs Kränze und nochmal so viel Schalen und Gestecke. Als die Kerzenhalter weggeräumt waren und der Kranzwagen beladen war, fuhren wir wieder heimwärts.

Nach der Ankunft in der Firma ging es in die Werkstatt, die sich im ersten Stock befand.
Die Särge mussten leer hoch und ein Teil fertig mit Beschlägen dran und mit Spänen gefüllt wieder runter. Jetzt muss man wissen, ich war 17 und wog 63 Kilo. Eine Truhe aus Eiche war schon viel schwerer als ich.

Nach dem ersten Tag habe ich gedacht: Das schaffe ich nie!

Mein anderer Chef Franz, der das Praktische machte und mit dem ich meistens zusammen gearbeitet habe war sehr geduldig.
Er war selbst sehr dünn, und sagte:

„Guck mich an! Ich musste mich auch langsam dran gewöhnen!“

Nach ein paar Monaten machte es mir auch nichts mehr aus. Ich wurde durch das schleppen fit wie ein Turnschuh!

Nach einem Jahr wurde umgebaut, unter anderem kam jetzt auch ein Aufzug!
Die andere Komponente dieses Jobs ist das Seelische. Einen besonders schlimmen Fall möchte ich genauer schildern.

Es war ein Haussterbefall, der Verstorbene wurde erst nach einer Woche entdeckt. Der ganze Parkettboden war feucht, man musste aufpassen das man nicht hinfiel.
Überall krochen Maden herum, der Gestank war bestialisch. Man konnte in den Brustkorb des Verstorbenen gucken, eine Seite war total weggefault!

Damals war jeder Bestatter zweimal im Jahr mit dem Bergedienst für die Polizei dran. In diesen fünf Jahren, die ich dort gearbeitet habe, habe ich alle Arten des Todes kennen gelernt.
Die gepflegte Dame aus dem Altenheim, bis hin zu allen möglichen Stadien der Verwesung und der Zerstückelung durch Bahn-Suizide.

Bei den an Krebs verstorben Menschen waren es die zum Teil völlig abgemagerten Körper, mit den tief in den Höhlen liegenden Augen, die eine schreckliche Leidensgeschichte ohne ein Wort erzählten.

Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich alle die grauenhaften Anblicke im Detail schildern würde.

Der nächste Aspekt, von dem ich berichten möchte, soll der zwischenmenschliche sein.

Karl war der eine der Brüder, er war fast nur für das Büro zuständig. Bei interessanten Überführungen, zum Beispiel jemanden von Norderney abholen, fuhr er aber gerne los.
Franz, mit dem ich zu 99% zu tun hatte, war ein Malocher vor dem Herrn, der kein Problem damit hatte, jeden Tag das anstrengende Tagesgeschäft mit zu bestreiten.

Beiden war eines gemeinsam, sie waren sehr wohlhabend und furchtbar geizig!
Der alte Leimtopf wurde über Nacht auf den neuen gestellt, damit der Rest noch reinfloß; kein Tropfen wurde vergeudet!
Krumme Nägel wurden, wann immer es möglich war wieder gerade geschlagen.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem logistischen Bereich eines Bestattungsunternehmens, ein nicht unwesentlicher Bereich.
Man muss den leeren Sarg in oft sehr langen Wegen zur Prosektur schaffen. Und belegt wieder zurück.

Ist dann ein Verstorbener darin, kann es mit dem falschen Transportmittel zur argen Quälerei werden.
Wir hatten einen Sargroller aus den Fünfzigern mit einer Achse und Luftbereifung, das heißt man muss das Gewicht immer stützen. Mein Vorschlag, doch einen Scherenwagen an zu schaffen, der das transportieren auch schwerster Gewichte enorm vereinfacht, wurde abgelehnt.

„Das lohnt sich für uns nicht“, hieß es.

Wenn es sich für vierhundert Bestattungen im Jahr nicht lohnt, wann dann?

Nun, jeder Chef hat seine Marotten, was will man machen?

Als einmal der Schraubenschlüssel aus Stahl abbrach, der wahrscheinlich noch vor dem zweiten Weltkrieg hergestellt worden war, wimmerte Franz mit tränenerstickter Stimme:

„Oh je, wir müssen einen neuen kaufen! Nach vierzig Jahren so eine gewaltige Investition!“

Hoffentlich hielt die Metabo Bohrmaschine aus den Fünfzigern noch! Immer wenn die Widerstände aus Kohle verschlissen waren, musste sein Cousin, der Elektriker, die Maschine wieder flicken.

Im letzten Jahr sah Franz mich beifallheischend an: Er hatte tatsächlich eine neue Bosch gekauft.
Da staunt man, was? Ich lobte den Neukauf gebührend, und verkniff mir die Frage, ob es nach fast fünfzig Jahren nicht ein wenig früh ist.

Ja und die lustigste Geschichte aus dieser Zeit will ich hier auch noch erzählen. Es war nachmittags in der Werkstatt, Franz stopfte Kissen, und ich montierte an einen eichenen Unterkasten die Beschläge.
Nun hatten wir nicht wie üblich, vormontierte Beschläge, sondern einen Bausatz. Man musste erst eine Blende mit dem Kloben darin ansetzen, um dann den Beschlag mit der zweiten Blende und dem Kloben einzuhängen.
Beim Montieren der ersten Blende passierte es, wohl aufgrund eines Materialfehlers zerbrach sie. Ein Teil flog neben mir her und der zweite Teil schlug in meinen „Behälter für Fortpflanzungsmaterial“ ein.

Jedermann kann sich vorstellen, was das für Schmerzen sind.

Ich tanzte den Siegertanz der letzten lateinamerikanischen WM in freier Interpretation!
Franz drehte sich natürlich gerade jetzt zu mir um. Mit seinen Adleraugen blickte er streng drein, und sagte: “

Josef, du weißt das ich sehr schwer höre, du hast bestimmt wieder das Radio bis zum Anschlag laut gemacht, und tanzt jetzt auch noch hier rum!“

Bis ich antworten konnte, verging eine Weile, ich war zu sehr mit Luftholen beschäftigt.
Als ich die Sache erklärt hatte, war er sehr amüsiert. Doch gleich darauf wurde sein Blick wieder betrübt.
Ob der Hersteller die Blende wohl kostenlos ersetzt?

Zur Beruhigung möchte ich erwähnen, dass der Hersteller die Blende tatsächlich kostenlos ersetzt hat.

Franz musste also keines seiner drei Häuser verkaufen…

Bei meiner Einstellung wurde mir schon gesagt, dass nach fünf Jahren Schluss sein würde, weil dann die Söhne der beiden in die Firma eintreten. „Wir können dich dann leider nicht weiter beschäftigen! Das lohnt sich für uns nicht.“

An meinem letzten Tag durfte ich schon mittags Feierabend machen.
Man übergab mir eine Glasschüssel mit selbst gebackenen Keksen.

Feierlich hieß es dann noch: „Und die Glasschüssel, lieber Josef, die kannst du natürlich behalten!“

Ich sagte danke, bevor die Rührung meine Stimme versagen ließ, und machte dass ich nach Hause kam.

eingesandt von Leser © Josef

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    Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 10. September 2016

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    9 Kommentare
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    Josef
    8 Jahre zuvor

    Vielen Dank Peter!

    Athropos
    Reply to  Josef
    8 Jahre zuvor

    @Josef:
    Vielen Dank, Josef.

    Reply to  Josef
    8 Jahre zuvor

    @Josef: Herzhaft gelacht xD Danke!

    D.
    8 Jahre zuvor

    Sehr schöne Geschichte! Zum Arbeitsunfall stellt sich doch glatt eine sachdienliche Frage: Bei welcher BG sind eigentlich Bestatter versichert?

    Katrin
    Reply to  D.
    8 Jahre zuvor

    @D.: BG für Fahrzeugbau (durch die Sonderfahrzeuge)

    D.
    Reply to  Peter Wilhelm
    8 Jahre zuvor

    @Peter Wilhelm: Vielen Dank für die interessante Info! Die Fusionen der BGen haben ich seinerzeit mit Interesse verfolgt.

    Ich bin selbst übrigens freiwillig bei der VBG versichert, quasi im großen Topf aller möglichen Dienstleistungberufe, die sich bei Ihrer Tätigkeit allenfalls den Bleistift brechen können 😉

    Katrin
    Reply to  Peter Wilhelm
    8 Jahre zuvor

    @Peter Wilhelm:
    Die BG für Fahrzeughaltung meinte ich, hatte das falsche Wort in Erinnerung.
    Ich hatte das Thema in der Berufsschule, das war 2007. Da kam es zur Sprache, dass es oft keine berufsspezifischen BGs gibt, und z.B. Bestatter daher bei der BG für Fahrzeughaltung sind. Aber eben mit der Argumentation, dass es sich bei BKWs um Sonderfahrzeuge handelt. Sorry für den Schreibfehler.

    Ole
    8 Jahre zuvor

    So eine Metabo Bohrmaschine aus den 50er Jahren habe ich auch noch – da hätte ich mir mal keine Sorgen gemacht, dass das Gerät hält. Zu dieser Zeit wurde nämlich noch echte Qualität gefertigt. Diese Maschinen laufen, laufen und laufen.




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