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Antonias letzter Tag

Fehler durch Lektorin Alexandra bereinigt.

Es liegt eine besondere Atmosphäre in der Luft, sozusagen weht der Hauch des Besonderen durch unsere Hallen.
Jeder in der Firma weiß, daß es heute Antonias letzter Tag bei uns ist. Haben gestern noch einige so getan, als sähen sie das eher mit Genugtuung, so merkt man jetzt allerdings, daß die allermeisten Mitarbeiter doch so etwas wie Wehmut empfinden.

Meine Güte, Antonia ist ein Gollum, ohne Zweifel, aber man darf doch nicht vergessen, daß wir ohne den dauermampfenden Schwabbelzwerg doch um einige schöne Erlebnisse gebracht worden wären. Und man muß wissen, daß sie ja normalerweise alles zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt hat, sofern zwischen Rollmopsbrötchen und Speckzipfel und anschließender Verbrennung Zeit dafür war.

Selten habe ich eine freundlichere und liebenswürdigere Mitarbeiterin gehabt, das muß ich ganz deutlich sagen.

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Gut, Antonia hat jeden Tag im Internet irgendjemanden kennengelernt, wollte schon zu anderen Religionen übertreten, selbst im Herkunftsland ungebräuchliche Sprachen lernen oder sich irgendwo irgendwas operieren lassen, nur um den vermeintlichen Erfordernissen einer neuen Beziehung gerecht zu werden. Zuletzt war ja Müllbütz ihr großer Herzensheld, doch stellte sich gestern urplötzlich, aber offenbar nachhaltig heraus, daß Antonia keineswegs auf Lebenszeit auf den Verzehr von Schweinen, am Liebsten ganz und am Stück, verzichten möchte, kann und will.
„Wie? Speck ist auch vom Schwein? Das kauf ich doch mit Käs‘ zusammen in den Käse-Speck-Zipfeln beim Bäcker und nicht beim Metzger! Sowas aber auch!“

Und überhaupt hat sie neuerdings ein Auge auf einen ganz dünnen, schlaksigen Apothekenboten geworfen, der täglich mehrmals durch unseren Stadtteil radelt und vorwiegend älteren Menschen ihre Medikamente nach Hause bringt. Insofern war Müllbütz sowieso nur ein Intermezzo, denn wenn der Schlaksige am Horizont auftaucht, rufen Frau Büser und Sandy Antonia und diese stellt sich dann vor dem Haus in Positur. Mit der Eleganz einer brünftigen Seekuh dreht und wendet sich Antonia dann und, man glaubt es kaum, wirft dem Apothekenradler sogar Kusshändchen zu. Seitdem heißt es, der junge Mann habe seine Spitzengeschwindigkeit auf dem Fahrrad beinahe verdoppelt. Kommt er also an unserem Haus vorbei und sieht dort die wankende, küssende Seekuh, dann hört man eigentlich nur ein ‚Wusch‘ und sieht einen Kondensstreifen am Horizont verschwinden.
So ähnlich muß es sein, wenn Superman an einem vorbeifliegt. Ist es ein Flugzeug? Ist es ein Vogel? Nein, es ist der Apothekenradler auf der Flucht.

Antonia stört das nicht. Sie hat ein romantisches Bahnhofskiosk-Heftchen gelesen, in dem die unscheinbare Magd auf Schloß Bordenholm auch den auf der Jagd vorbeireitenden Erbprinzen zu Hohenstirne-Glatzenkahl abbekommen hat.

Ach, wenn man so über Antonia erzählt, dann könnte man glatt ins Schwärmen kommen. Selten hat jemand so viele bunte Eindrücke hinterlassen. Aber wenn wir über Antonia lachten, sie mit den gemeinsten Namen belegten oder sie zu irgendeinem, eher voluminösen Tier in Beziehung setzten, so taten wir das nie hinter ihrem Rücken oder gar gehässig auf ihre Kosten. Antonia ist jemand, der unsere Reaktion sofort wahrnimmt, sich auf der Stelle der Blödheit ihres Tuns bewußt wird und sich dann stets klatschend mit der Hand vor die Stirn schlägt und sich selbst die schlimmsten Namen gibt.

Besonders beliebt ist ihr Spruch: „Ach, ich bin doch eine GRÖFAZ!“
Auf die Frage, was das bedeuten soll, antwortet sie immer wieder, wie aus der Pistole geschossen: „Größte Flaume aller Zeiten!“
Dann bleckt sie ihre fülligen Lippen, lacht meckernd und laut und hält sich vor Lachschmerzen den Bauch.

Heute wird sie uns also verlassen und es war an mir, da was zu organisieren. Antonia hatte gegenüber Sandy angedeutet, daß sie Getränke mitbringen will und selbstgekauften Kuchen von Feinkost Albrecht. So begütert ist man ja als dauerhungrige Praktikantin nicht. Sparsam ist sie, das muß man sagen. „Ich und rauchen? Na, hört mal! Für das was eine Zigarette kostet, bekomme ich ein Brötchen und vom Rauchen wird man krank, vom Essen nicht. Ich bin nämlich nicht dick, ich hab bloß fette Knochen!“

Gegen 11 Uhr habe ich Antonia zu mir bestellt, ihr ein wirklich gutes Zeugnis ausgehändigt, bei dessen Abfassung ich, obwohl mehrmals in der Versuchung dazu, die Formulierungen „nach besten Kräften“ und „soweit es ihre Fähigkeiten zuließen“, nicht vorkommen ließ.
Es folgte die übliche Konversation und dann kündigte ich an, daß wir heute alle um 12 Uhr Schluß machen und uns in der Halle versammeln. Antonia bekam Hallenverbot, was sie in eine Aufregung versetzte, wie ein kleines Kind kurz vor der Bescherung. Von den Büros und dem dazugehörigen Gang kann man nämlich nicht in den Treppenhausbereich schauen und genau dort bauten meine Frau und Sandy schon die ganze Zeit etwas ganz Besonderes für Antonia auf.

Um Zwölf war es dann so weit, die Mitarbeiter hatten sich in der Halle versammelt, jeder hatte ein Glas Sekt in der Hand und ich wartete mit einem großen Blumenstrauß, dann wurde Antonia geholt. Schon als sie uns da stehen sah, hatte sie Tränen in den Augen und ihre Schritte wurden immer langsamer, doch dann sah sie mich, ich winkte sie herbei und überreichte ihr den Blumenstrauß und einen Umschlag mit den besten pekuniären Wünschen. Dann hielt ich eine Lobrede auf unsere „wohl eindrucksvollste Praktikantin“ und alle applaudierten brav.
Doch die ganze Zeit versuchte Antonia an mir vorbeizuschielen, doch die Überraschung im Flurbereich war noch durch ein weißes Tuch als Sichtblende abgeteilt.
Dann endlich war es soweit, auf mein Zeichen zog Herr Huber das Tuch beiseite und gab den Blick auf Antonias Überraschung frei. Dort stand ein über einen Meter hoher Schokoladenbrunnen, über dessen Terrassen leckere flüssige Vollmilchschokolade floss.
Antonia schlug die Hände vors Gesicht, war sekundenlang (!) sprachlos und brach dann in Freudentränen aus.
Die Frauen hatten einen langen Tisch mit allerlei Leckereien gedeckt und in der Mitte sprudelte herrliche Schokolade.

„Mann, wenn ich Platz hätte würde ich das Ding ja am Liebsten mitnehmen, aber das geht ja nicht.“

Gott sei Dank! Der Brunnen ist bloß aus der Konditorei geliehen.
Mit blanken Fingern probierte Antonia die Schokolade und schon bald grinste sie über schokoladenverschmierte Wangen ihr bekanntes breites Grinsen.

„Chef, das ist ja wohl mal das Geilste, was mir jemand besorgt hat!“

Wollen wir hoffen, daß es nicht so bleibt und schon heute kann ich mit Bestimmtheit ausschließen, daß ich jemals der Besorger sein werde. Aber den Schokoladenbrunnen habe ich ihr gerne spendiert.

Mit Schokolade an Wangen und Nasenspitze klopfte Antonia dann an ihr Glas und verabschiedete sich von allen, wies darauf hin, daß es noch leckeren Kuchen und allerlei Getränke gäbe und hielt dann eine wirklich kurze Abschiedsrede. Ein Satz hat mich wirklich beeindruckt: „Leute, ich weiß wie ich bin, danke, daß ihr mich so angenommen habt. Ich bin halt so, einfach nur so. Da wo Antonia draufsteht, da ist auch Antonia drin, aber eben auch nichts anderes. Ich lüge nicht, ich will auch keine Rolle spielen. Mir wäre das viel zu anstrengend, mir Lügen oder eine Rolle merken zu müssen. Da bin ich lieber echt, einfach nur Antonia und wißt ihr was? Ich bin gerne Antonia. Ich hab‘ Euch alle ganz doll lieb und sage nochmal danke dafür, daß ich hier so sein durfte, wie ich mich wohlfühle. Ich werd‘ Euch nicht vergessen.“

Mann, ich wollte doch nicht heulen…

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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(©si)