Geschichten

Der Blonde mit dem irren Blick -18-

Franz war der Hammer! Immer wieder spielte ich das Material ab, das Heiner und Lizzy mir gebracht hatten. Vier Kassetten voll, das waren sechs Stunden Material.
Franz und Heiner hatten jede Szene mindestens sieben Mal gedreht, Heiner hatte nicht nur auch Regie geführt, sondern auch die Kamera eingerichtet, die von Lizzy dann bedient worden war.
Das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

Oder sagen wir es so: Aus den sechs Stunden teils verwackeltem, teils unscharfem Material mit nur sehr schlecht verständlichem Ton, ließ sich etwas machen!

Mich hatte das Filmfieber gepackt und ich hatte mich tage- und nächtelang hingesetzt und das Material immer und immer wieder gesichtet. Lizzy und Heiner hatten sogar eine Klappe verwendet, was es mir möglich machte, den Ton komplett vom Bildmaterial zu trennen und gesondert zu bearbeiten.
Aus den sieben Stunden Bildmaterial zog ich 18 Minuten gutes Material heraus und begann es zu schneiden. Da die Beleuchtung von Szene zu Szene schwankte und der Ton mal donnernd laut und mal wieder rauschend unverständlich war, bedeutete das eine Heidenarbeit. Im Grunde musste man Bild für Bild vorgehen. Teilweise musste ich den Ton von unbrauchbaren Bildszenen auf gute Bildszenen mit schlechtem Ton übertragen. Dazu war es erforderlich, damit alles lippensynchron blieb, manchmal einzelne Bildsequenzen von nur zwei Sekunden Dauer in der Geschwindigkeit zu verändern.
Viel Arbeit, sehr viel Arbeit!

Werbung

Eine Woche, nachdem ich begonnen hatte, erreichte mich eine Einladung zu einer Buchlesung mit Fans und nachdem Heiner und Lizzy davon erfahren hatten, waren sie gleich Feuer und Flamme.
Sie hätten jetzt eine Gruppe von Musikern an der Hand und mit denen gemeinsam würden sie mitkommen und diese Lesung zu einem wunderschönen Kulturabend ausgestalten.

„Du liest aus Deinen Büchern, wir singen und spielen unser Stück und die Band macht da die Musik dazu. Das wird geil!“ jubelte Heiner.

Nun ja, so einfach war das nicht. Die Lesung sollte im tiefsten Sauerland stattfinden, der Wirt eines Gasthofes dort hatte sich als Leser meiner Bücher herausgestellt und wollte mich und die Allerliebste dorthin einladen. Wenn da schön viele Leute kommen, dann verdiente er ja auch was am Essen und an den Getränken und vielleicht nutzte auch jemand seine drei, vier kleinen Fremdenzimmer.

„Wie sieht’s denn aus, sind da 1.200 Euro drin?“ fragte Lizzy Hiller, „Ich meine, wenn wir mit ’ner Band anreisen, dann müsste das schon drin sein, wegen Benzin und so. Und ne anständige Soundanlage muss auch sein, nicht so ein Schrott wie beim letzten Mal!“

Zweifel stiegen in mir hoch. Beim letzten Mal, das war im Dorfkrug gewesen, da hatte der Techniker vor einem Schaltpult gesessen, mit so etwas wären die Amis früher auf den Mond geflogen. Besonders beeindruckend hatte ich gefunden, dass er den Soundcheck mit seinem iPhone und iPad aus der Ferne steuern konnte.
Da von Schrott zu sprechen, das fand ich interessant.
Und 1.200 Euro? Na ja, wenn man bedenkt, dass da acht oder neu Leute anreisen würden, da wäre das als Honorar schon angemessen.

Ich schlug es dem Wirt vor und der war sogleich Feuer und Flamme. Da mache er ganz was Großes draus, Zettel würde er in der ganzen Stadt verteilen lassen und statt in seiner guten Stube, würde er das Ganze in seinem großen Festsaal stattfinden lassen. „Der hat eine Bühne und da waren die letzten Jahre immer die großen Karnevalssitzungen.“
Auch 1.200 Euro seien für ihn kein Problem. „Wenn über hundert Leute essen und trinken, dann kommt ja auch genug zusammen. Ich verlange vielleicht drei bis fünf Euro Eintritt, mal sehen.“

Als ich das Lizzy und Heiner berichtete, waren sie hellauf begeistert. „Wir führen dann auch den Film auf, ganz groß! Ich besorge einen tollen Beamer und eine Leinwand wird ja im Saal sein. Da machen wir dann die Uraufführung.“

Am nächsten Tag sagte der Wirt ab. Ihm wachse das alles über den Kopf, alleine der Tontechniker würde auch 1.000 Euro verlangen und dann habe er mit Heiner und Lizzy gemailt und die hätten jetzt zusätzlich zu den 1.200 Euro noch 390 Euro für Benzin und freie Kost und Logis verlangt. „Da kostet mich das Ganze dann über 3.000 Euro! Ob ich so viel einnehmen kann, das weiß ich nicht.“

Lizzy und Heiner rotierten vor Zorn. Das hätten sie so ja gar nicht gemeint, das hätten sie so in dieser Form nie geschrieben. Sie hätten lediglich angedeutet, dass das so die üblichen Beträge seien.

Ich redete nochmals mit dem Wirt und er war auf einmal wieder ganz anderer Meinung. Man könne das doch auch eine Nummer kleiner machen, ohne die große Band.

Auch das schlug ich Lizzy und Heiner vor. Heiners Antwort: „Entweder mit Band oder gar nicht! Und den Film hast Du auch noch nicht fertig geschnitten. Den hast Du jetzt schon drei Wochen. Das sind umgerechnet vier Tage pro Filmminute. Ohne Film keine Auftritt im Sauerland, ohne Band auch nicht.“

Es waren noch acht Wochen bis zu diesem Ereignis, also noch genug Zeit für alles.
Zwei Dutzend Telefonate mit dem Wirt, ein Dutzend davon Absagen, ein Dutzend Zusagen…

An einem langen Abend bei Kaffee und Wein können die Allerliebste und ich die Künstler endlich dazu bewegen, doch ohne die Band aufzutreten und dafür die Musik vom Band zu spielen.
Das spart die Reise- und Unterbringungskosten für die Musiker und der Tontechniker muß wesentlich kleineres Geschützt auffahren.
Der Wirt ist zufrieden.

Sogar der Film wurde fertig. Ich hatte auch noch Geräusche machen und Musik auswählen müssen, am Ende bin ich so begeistert von dem Ergebnis, dass mir bei der ersten Aufführung im Familienkreis Tränen kommen. Es ist einfach zu ergreifend.

Auch im Sauerland geht alles seinen Gang. Der große Saal werde wohl nicht ausverkauft sein, sagte der Wirt, aber er habe noch einen kleineren, je nach dem würde er dann den einen oder den anderen nehmen.

Einen Abend vor dem bewußten Tag ruft Heiner an und sagt alles ab.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

Keine Schlagwörter vorhanden

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 28. Februar 2014

Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle journalistische Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bittet das Bestatterweblog um Ihre Hilfe. Es fehlen in diesem Jahr noch etwa € 8.500,- um den Server, IT, Redaktion und um die anderen Kosten zu decken. Bitte beschenken Sie uns mit einer Spende, sonst müssen wir in Zukunft die meisten Artikel kostenpflichtig bereitstellen. Das wäre schade, auch weil das weitere unkreative Arbeiten erfordert, die wir zeitlich kaum stemmen wollen. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


Abonnieren
Benachrichtige mich bei
3 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

WAAAAHHHHH *nag* *naaaag* Ich hätt doch schon 3x alles hingeschmissen!!!!

10 Jahre zuvor

Au weh. Aber es gab bestimmt triftige Gründe für die Absage – z.B. :“Ich hab Rücken!“

comicfreak
10 Jahre zuvor

*AAAAAAAAAA AAAAAAAAAAAA AAAAAAAAAAAAAA AAAARRRRGGGH*

..du bringst mich um..

*wimmer*




Rechtliches


3
0
Was sind Deine Gedanken dazu? Kommentiere bittex