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Geschichten

Der Blonde mit dem irren Blick -19

orgel

Was sich jetzt so in 20 Episoden oder so erzählen läßt, dauerte über Monate, ja fast zwei Jahre an. Um erzählt werden zu können, muß es verdichtet werden. Rückblickend kommt mir diese Zeit mit Heiner und Lizzy mal wie Jahre vor, mal scheint es, als habe sich das alles in nur wenigen Tagen zugetragen.

Dieses Wechselbad der Gefühle, in das die beiden mich von einem zum anderen Male stießen, läßt sich mit Worten kaum beschreiben.
Eben himmelhoch jauchzend, dann wieder zu Tode betrübt. Eben dankbar und zu Tränen gerührt, dann wieder aufmüpfig, beleidigend, undankbar und herabwürdigend.

„Nix, das findet nicht statt, ohne uns!“ schnaubte Heiner ins Telefon und nur mit Mühe ließ er sich dazu bewegen, mich noch am selben Abend aufzusuchen.

Er und Lizzy waren so schnell da, daß ich heute rückblickend vermute, die beiden haben unten um die Ecke in einer Telefonzelle gestanden.

Trotzig hatte er die Arme vor der Brust verschränkt, sie schürzte schmollend ihre schmalen Lippen. „Ohne den Film gehen wir nicht!“, sagte sie.

„Ach Gott! Der Film!“ entfuhr es mir. Die DVD hatte seit Tagen bei mir auf dem Tisch gelegen, ich hatte sie im ganzen Trubel vergessen…

„Ich habe doch den Film!“ rief ich, lief schnell ins Büro und holte die Scheibe: „Hier ist er!“

„Ja, und dann isser nachher nix und das ist jetzt sowieso alles zu spät und wir haben ja schließlich auch einen künstlerischen Anspruch, wir lassen sowas nicht mit uns machen, wir sind ja Profis und immer wieder haben wir es nur mit Dilettanten zu tun!“

Wortlos schob ich den Film in das Abspielgerät und drückte die ON-Taste der Fernbedienung.

Musik, Vorspann, Erste Szene…

Ruhe im Wohnzimmer, atemlose Ruhe. Die 18 Minuten vergehen, ohne daß man auch nur einen Atemzug wahrgenommen hätte.

…Musik, Abspann, Ende.

Ich schaue mich um. Heiner weint, Lizzy heult, die Allerliebste hat rote Äuglein.

„Danke, Vadda, danke“, stammelt Heiner: „Entschuldigung, ich muß mich so entschuldigen, das ist ja soooo schön geworden, sooooo suuuuuper schööööön.“

Lizzy Hiller meinte schniefend: „Siehste Heiner, hab ich doch gleich gesagt…“

Die Allerliebste ließ eine Flasche Sekt springen, ich blieb lieber bei meinen Kaffee.

Extase ist fast zu gering, um den aufgekratzten Gemütszustand der beiden „Künstler“ zu beschreiben.

Bis um drei Uhr morgens ging das, dann machten sich die zwei auf den Heimweg. Heiner meinte, milde lächelnd: „Noch eine Mütze voll Schlaf und dann fahren wir ins Sauerland. Das wird ein toller Auftritt. Wir, Musik vom Band, der Film, klasse!“

Etwas entnervt ließ ich mich in meinen Sessel fallen, als die beiden gegangen waren. „Gell, die sind anstrengend, oder?“ fragte die Allerliebste überflüssigerweise.

Am nächsten Morgen packten auch wir unsere Sachen und ich hatte unser Auto gerade vollgeladen, da klingelt mein Handy.
Lizzy ist am anderen Ende und sagt: „Du mußt mit dem Heiner reden, der fährt keinen Meter weiter!“

„Wo seid ihr denn?“

„Auf halbem Weg ins Sauerland auf der Raststätte Pflockenwiel. Der Heiner weigert sich aufzutreten, der ist stinkesauer.“

„Was hat er denn jetzt schon wieder?“

Heiner übernahm den Hörer auf der anderen Seite: „Was ich habe? Ich werde von Dir hier über den Tisch gezogen und Du fragst, was ich habe?“

„Wer zieht dich den über den Tisch?“ fragte ich und seufzte.

„Du!“

„Mit was denn jetzt schon wieder?“

„Mit den Schlüsselanhängern!“

„Mit was?“

„D E N S C H L Ü S S E L A N H Ä N G E R N !“

„Ach, Du meinst diese kleinen Särge, die Du mir geschenkt hast?“

„Geschenkt? Ja, siehste, da isses wieder! Ich meine es gut und dann werde ich abgezockt. Geschenkt! Daß ich nicht lache! Die waren nicht geschenkt, sondern eine Geschäftsidee von mir! Ich habe Dir die vorgestellt, damit Du die eventuell in größerer Menge bei mir bestellst und die an Deine Kunden verteilst. Aber Du hast ja schon fleißig angefangen die Dinger einfach zu verschenken, so als ob die Dir gehören würden. Frechheit sowas, das kocht schon die ganze Zeit in mir, jetzt kommt mir das alles erst hoch, jetzt wird mir das alles erst bewußt, jetzt begreife ich das alles erst, jawoll!“

„Du, ich habe genau vier Stück davon verschenkt. Meine Güte! Wenn Du die anderen wiederhaben willst, steht dem nichts im Wege. Ein paar kaufe ich Dir auch ab, die sind doch schön. Aber ich wußte doch gar nicht, daß Du die verkaufen wolltest. Ich dachte, die wären ein Geschenk.“

„Ja, schon fett wie die made im Honigtopf sitzen und dann immer noch mehr haben wollen!“

„Jetzt komm mal wieder runter! Was soll das denn jetzt? Gestern Abend haben wir noch gefeiert und ihr habt einen tollen Film im Gepäck und jetzt machst Du so ein Theater!“

„Okay, Du hast Recht! Wir sind Profis! Wir fahren da jetzt hin, ziehen unser Ding durch und dann sehen wir weiter!“

Jau.

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Februar 2014 | Peter Wilhelm 28. Februar 2014

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comicfreak
10 Jahre zuvor

*AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAARRGGH*

Ihon
10 Jahre zuvor

Ich muss sagen, RESPEKT!
Ich habe beruflich auch sehr viel mit ID10Ts zu tun, aber die Beiden hätte ich längst „eingesargt“.

10 Jahre zuvor

Ahja, endlich wissen wir, was der Heiner wohl mit den Holzsärgen aus DEINEM Material während seiner Arbeitszeit, die DU bezahlst hast, vorhatte. Keine Give-Aways, nein, ein neues Markenzeichen für die „Graveyards“ – als besonderes Gadget für eingefleischte Fans. Aus Echter Sargeiche! Nur 19,90€ das Stück! Mit eingravierten Autogramm nur 59,90€! Das muss man haben!

simop
10 Jahre zuvor

m( m( m(
Wie war das – die Holzreste gehörten eh dem Bestattungshaus…?

forgottenflower
10 Jahre zuvor

TOM, sorry, aber was für eine Eselsgeduld hast du eigentlich?
Ich gehöre ja auch zu denen, die sich viel bieten lassen, aber da würde selbst ich flippen. (Übrigens… ich meine irgendetwas ähnliches hier vor Jahren schon einmal gelesen zu haben… kann das sein? )

Reply to  forgottenflower
10 Jahre zuvor

Hach, zufällige Ähnlichkeiten. Mehr nicht. Weißt du doch.

forgottenflower
Reply to  Paterfelis
10 Jahre zuvor

Ach so.

Peter
Reply to  Paterfelis
10 Jahre zuvor

Ja natürlich, was den sonst? Nenn mir einen Künstler der wirklich so wäre!

Rudibee
Reply to  Peter
10 Jahre zuvor
Peter
Reply to  Rudibee
10 Jahre zuvor

ach lass mich doch mit deinem Scheiß in Ruhe! 😉

melancholia
Reply to  forgottenflower
10 Jahre zuvor

Ich glaube, wenn man einmal so tief in einer Sache drinsteckt, kann man es nicht mehr aus einer objektiven Distanz betrachten.
Habe etwas vom Schema her ähnliches einmal selbst durchgemacht mit einem ehemaligen Chef, mit dem ich mich auch persönlich gut verstand.
Zuerst Firmenteilhaberin mit versprochener Gewinnbeteiligung, dann drängte mich mein Mann, auszusteigen – aber ich wurde jahrelang (!) vertröstet. Zuletzt hieß es „das wird nächste Woche erledigt“ – da klingelt es an der Tür und Chef sagt zu mir: mel, sorry, ich muss dich informieren, die Firma ist in Konkurs… Die „Gewinnbeteiligung“ waren letztlich meine Anwaltskosten…

melancholia
10 Jahre zuvor

Schon die Erzählung davon liest sich wie ein Albtraum. Wie muss es Dir damit in Wirklichkeit gegangen sein, vermutlich einfach nur sch… zum Schluss.

chena
10 Jahre zuvor

@forgottenflower

Meinst du vielleicht die Geschichte mit Henning? Der (bzw. sein Vater) wollte auch Dienstwagen, grosse Personalwohnung (1 zimmer ist ja unzumutbar für nen Azubi) und fing dann noch an mit Klauen, weil „Chefs ja sowieso ihre Angestellten ausnutzen und ihm das so zusteht“.

melancholia
Reply to  chena
10 Jahre zuvor

nein, Henning ist nicht der finale Suchbegriff 🙂

Peter
Reply to  melancholia
10 Jahre zuvor

@ mel wie subtil!

Reply to  melancholia
10 Jahre zuvor

😉

t
Reply to  melancholia
10 Jahre zuvor

🙂

Spor
Reply to  chena
10 Jahre zuvor
Hajo
10 Jahre zuvor

ach lieber Peter, Du bist einfach zu gut für diese (Künstler-) Welt.
Wie lange hält denn Dein Gedudsfaden noch? Meiner wäre schon längst gerissen.
Chapeau!
Liebe Grüße
Hajo

10 Jahre zuvor

Oh man. Diese Geduld. Diese deine Geduld!

Und meine Ungeduld, wie es weiter geht…. Brauche bald eine neue Tischplatte.

AG
10 Jahre zuvor

Das Kinski-Video sagt wohl alles!!!

„Eben himmelhoch jauchzend, dann wieder zu Tode betrübt. Eben dankbar und zu Tränen gerührt, dann wieder aufmüpfig, beleidigend, undankbar und herabwürdigend.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Borderline-Pers%C3%B6nlichkeitsst%C3%B6rung

Désirée
Reply to  AG
10 Jahre zuvor

Wie ich zu Teil 17 schon kommentierte: Künstler-Pärchen mit Borderline-Ambitionen.. 🙂

Fehlt nur noch, dass Heiner die anderen Akteure für seinen Misserfolg verantwortlich macht und sich von Hizzy Liller..ähm.. Lizzy Hiller distanziert, weil die ja den Erfolg und das ganze Geld einheimsen will.

Christina
10 Jahre zuvor

Sach mal Peter, DU hast doch die Urheberrechte an den Geschichten.

Haben die Dir eigentlich jemals einen Cent dafür bezahlt, Deine Geschichten zu verwerten (und damit Kohle zu machen, 1000 fürn Auftritt ist ja net sooo schlecht) ?

Oder anders gefragt: hast Du denen jemals gestattet, Deine Geschichten so final zu verwerten?

*nur mal laut denk*

Reply to  Christina
10 Jahre zuvor

Ja. Man muss aber stets berücksichtigen, dass diese Geschichte nur erfunden ist.

Rockige
10 Jahre zuvor

Ganz ehrlich, ich hätt mir den Stress mit solch anstrengenden Leuten garnicht angetan. Gut, am Anfang schon… aber spätestens nach dem ersten Hickhack (mit Herumblöken, beschuldigen, schreien, überdimensionale Forderungen stellen als Ungelernte) hätte ich die Notbremse gezogen. Das ist besser fürs Gemüt und für die Gesundheit

Big Al
Reply to  Rockige
10 Jahre zuvor

Lange nichts mehr gelesen von dir, Rockige. Entweder bin ich sehgeschwächt oder du warst lange nicht mehr hier?

Christians Ex
10 Jahre zuvor

Boah, ich will nach Hause!




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