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Der Russe kommt

Ich wurde 14 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren. Daran, dass meine Generation zu den geburtenstarken Jahrgängen gehört, kann man erkennen, dass es unseren Eltern damals wieder gut ging, dass es mit der Wirtschaft aufwärts ging, und dass unsere Eltern für uns auch eine Zukunft sahen.

Der Alltag in meiner Kindheit war ein behüteter Alltag, aber allenthalben waren die Auswirkungen des Krieges noch deutlich zu sehen. Große Baulücken zeigten, wo Häuser von Bomben getroffen worden waren. Auf der Straße begegneten einem oft Männer, die vom Krieg gezeichnet waren, Einbeinige, Männer mit Holzarm und Lederhand, manchmal auch Männer mit entstellten Gesichtern. Oft war der Krieg Bestandteil der Erzählungen meiner Mutter. Aus meinem Vater war kein Wort herauszubekommen, kein Wort.
Er hatte, wenn man hartnäckig blieb, Tränen in den Augen und sagte allerhöchstens mal: „Die haben uns in den Tod geschickt“ oder „Das waren doch noch halbe Kinder“.

Meine Mutter konnte sehr gut erzählen und schilderte mir das Leben an der „Heimatfront“. Die Rationierungen, das selbstherrliche Auftreten des Blockwarts, die Nächte im Luftschutzbunker und der Umgang mit den Juden.

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Die lange Zeit des Kalten Kriegs war für meine Generation eine Selbstverständlichkeit. Darauf gedrillt hofften wir auf die dereinstige Wiedervereinigung, ohne wirklich zu wissen, was das bedeuten würde, und in dem Bewußtsein, dass das sowieso nie kommen würde.
Entsprechend überrascht hat es mich persönlich, wie rasch das dann passiert ist.

Aber der Russe, der war damit noch ein Stückchen weiter weg. Der Russe, von dem mir meine Mutter immer erzählt hatte, der Russe, vor dem sie irgendwie immer noch Angst hatte, der Russe, der einst kommen würde, und wegen dem sie Eingemachtes und Konserven hortete.
Dieser Russe, den ich seit bestimmt 40 Jahren spaßeshalber in meiner Rede führte, wenn ich Leute sah, die irgendwas in rauhen Mengen kauften; gerade und auch jetzt in der Coronazeit, in der die Leute Nudeln und Klopapier anhäuften. „Habt Ihr Angst, dass der Russe bald kommt?“ Klang lustig – bis jetzt.

Die Sowjetunion, jenes künstlich zusammeneroberte und zusammengeklaubte Riesenreich aus Ländern mit den unterschiedlichsten Kulturen, Sprachen, Religionen und Traditionen, ist mit Michail Gorbatschow zerfallen. Die UdSSR hatte sich militärisch so aufgebläht, dass ihr Untergang letztlich nur eine Frage der Zeit war.
Vor allem am Rand zerbröckelte dieses Riesenreich in kleine und kleinste Republiken und Gebiete. Die hatten dann auch zum Teil nichts Besseres zu tun, als Krieg gegeneinander zu führen. Die ordnende und fremdbestimmende Übermacht war weggefallen.

Ruckzuck erklärte man voreilig den Kalten Krieg für beendet. Sirenen wurden bundesweit abgebaut, Bunkerprojekte aufgegeben und so mancher Atombunker für ne schlappe Mark verhökert. (Merke: Selbst der schlechteste Bunker ist besser, als gar kein Bunker!)
Die geheimen Reserven an Weizen, Reis, Fett und Milchpulver wurden drastisch gesenkt (Ja, wir haben sowas. Lebensmittel in Hülle und Fülle an geheimen Standorten gelagert.).

Das brauchen wir jetzt alles nicht mehr, hieß es, und ich zog ob dieser Blauäugigkeit immer schon meine Augenbrauen hoch.
Was viele nicht wissen, und was auch nicht von großer Bedeutung ist: Ich habe zehn Jahre meines Lebens für die US-Armee gearbeitet und Uniform getragen. Ich kenne die Abläufe und die Befürchtungen. Ich weiß vor allem auch, dass – wenn der Russe wirklich mal kommt – er sich hier bei uns ein fröhlich‘ Stelldichein geben wird.
Aber das ist ein Thema, über das ich nicht viel sagen mag und kann.

Jedenfalls habe ich nie verstanden, wie man nach dem Mauerfall und dem Auseinanderfallen der Sowjetunion glauben konnte, von da würde uns nie wieder Ungemach drohen. Man muss nur einmal einen Blick auf die Landkarte werden. Russland ist Russland, und Russland ist das größte Land der Erde. Auch ohne die jetzt selbständigen Randstaaten ist und bleibt Russland eine Riesenmacht. Die Idee, jemand wie Putin könnte die Füße auf Dauer stillhalten, nur weil das Geld für einen Krieg nicht da sei, ist doch abstrus! Geld für Krieg ist auf diesem Planeten immer noch da gewesen.
Ihr müsst Euch mal den Kriegstreiber Hitler vor Augen halten. Deutschland hatte auch kein Geld für einen Krieg. Man hat die Wirtschaft und nicht zuletzt die Juden ausgebeutet, um an Kohle zu kommen; und nicht wenige Historiker sagen, dass das Dritte Reich sowieso nur hätte überleben können, wenn weitere Länder erobert und ausgebeutet worden wären. Sonst wäre das tausendjährige Reich so oder so Pleite gegangen.

Aber Leute, bevor sowas passiert, bevor auch Putin das Geld ausgeht, bis dahin kann er die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt haben.

Auf jeden Fall kommt es für mich nicht überraschend, dass Russland aggressiv gegen die Ukraine vorgeht. Mich überrascht auch nicht, dass Putin als Grund dafür die Lüge bemüht, er wolle dort einem Terrorregime ein Ende machen. Auch der Zweite Weltkrieg hat mit einer Lüge begonnen.

Ich habe auch keine Angst vor den Russen. Mich ängstigt aber, dass die Idee von einem Leben in Frieden für meine Kinder nicht aufgehen könnte.

Und ja, wir müssen tatsächlich befürchten, dass wir in den Konflikt hineingezogen werden. Da braucht mir keiner mit rationalen Gegenargumenten zu kommen, wie die NATO ist soooo stark. Denn Putin ist für Rationales offenbar gar nicht zugänglich. Der hat offenbar so einen Testosteronüberschuss, dass sein Gehirn weitestgehend umnebelt ist, was die Ratio anbetrifft.

Ich mag es derzeit noch nicht glauben, dass sich der Ukraine-Krieg ausweitet und wir in Deutschland betroffen sind.
Aber so ganz von der Hand zu weisen ist diese Gefahr nicht. Was, wenn Putin auch die Baltenstaaten und vielleicht sogar Polen will?

Bildquellen:
  • free-ukraine3: Peter Wilhelm
  • free-ukraine1: Peter Wilhelm
  • free-ukraine-big: Peter Wilhelm


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 8. März 2022 | Revision: 12. März 2022

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Offler
2 Jahre zuvor

„Daran, dass meine Generation zu den geburtenstarken Jahrgängen gehört, kann man erkennen, dass es unseren Eltern damals wieder gut ging, dass es mit der Wirtschaft aufwärts ging, und dass unsere Eltern für uns auch eine Zukunft sahen.“

Nein. Gerade in Ländern in denen es Menschen nicht gut geht, in denen viele hungern, in denen ein Leben wenig zählt ,… haben sie Menschen viele Kinder.

Richtig geburtenstarke Jahrgänge gab es in Deutschland auch eher in der Kaiserzeit und davor.

Was die 50er,60 er und Folgejahre ausmachte war eigentlich schon weniger Geburten, aber eine sehr viel geringere Kindersterblichkeit.

Die Eltern hatten auf einmal nur noch ein bis drei Kinder- aber die überlebten halt fast alle. Im dritten Reich gab es ja noch sehr viele Mütter mit vier Kindern und den Mutterverdienstkreuz in Bronze.




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