Geschichten

Die Kuckucksuhr -X-

Wir waren ja alle gespannt, ob Frau Mandel wirklich vor Ostern noch auftauchen würde. Sind wir doch mal ehrlich. Die Birnbaumer-Nüsselschweif ist ein Trüffelschwein. Wir wissen, daß sie keine Gelegenheit auslässt, um sich in Szene zu setzen oder sich mit fremden Feder zu schmücken. Insgesamt kann man mit Fug und Recht sagen, daß sie etwa genausoviel Charakter hat, wie ein Rettich oder allenfalls ein Rosenkohl.
Aber daß die dicke Kirchenmutter die alte Frau Mandel in eine Schweizer Gebirgsspalte stürzt oder sie in einem abgelegenen Schweizer Tal umlegt, in kleine Stücke zerhackt und dann als Hundefleisch verkauft… nein, sowas ist Frau Birnbaumer-Nüsselschweif nun wirklich nicht zuzutrauen.

Obwohl… wenn ich recht überlege, sind doch einige um mich herum fest davon ausgegangen, daß da in er Abgeschiedenheit eines Schweizer Tales etwas Schreckliches geschehen sein muß, weil Frau Mandel eben angeblich völlig unerreichbar und freiwillig in dem Haus geblieben sein soll, das sie ja angeblich gar nicht besuchen wollte, weil sie dort alles an ihren jüngst verstorbenen Mann erinnere.

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Am Mittwoch brannte gegen Abend bei Frau Mandel Licht und obwohl ich in Wirklichkeit im Moment nichts mit ihr zu besprechen hatte, steuerte ich den einzigen freien Parkplatz in ihrer Straße an und ging zu dem Haus, in dem sie wohnt. Ich klingelte und es dauerte eine ganze Weile bis oben am Fenster eine Silhouette zu sehen war.
Ich trat etwas von der Tür zurück, damit man mich von oben besser sehen kann und da sah ich, daß es sich bei der schemenhaften Gestalt am Fenster eindeutig um die unförmige Figur von Frau Birnbaumer-Nüsselschweif handelte.

Ich klingelte nochmals, diesmal im Morserhythmus. Kurz darauf summte der Türöffner und ich konnte eintreten.
Oben stand die Wohnungstür einen Spalt breit auf und die Birnbaumer-Nüsselschweif hatte vier Neuntel ihres massigen Körpers wie einen Wellenbrecher in die Öffnung gestellt, schaute mich vorwurfsvoll an und legte den Zeigefinger ihrer rechten Hand auf die gespitzten Lippen und machte: „Pscht!“

„Ich wollte mal nach Frau Mandel sehen“, sagte ich, ohne Frau Birnbaumer näher zu begrüßen und machte einen Schritt auf sie zu. Normalerweise hätte sie die Tür jetzt freigeben und mich einlassen müssen, doch sie blieb wie angewurzelt stehen und sagte: „Das geht jetzt nicht, Frau Mandel ist schon im Bett.“

Ich blickte auf die Uhr, es war gerade erst kurz vor halb neun und da liegen alte Leute doch noch nicht im Bett.

„Sie brauchen gar nicht so auf Ihre Uhr zu gucken, die ist wirklich schon im Bett, die Reise war sehr anstrengend für sie und sie braucht jetzt ihre Ruhe.“

„Ich würde sie trotzdem gerne besuchen…“

„Dann kommen Sie morgen wieder, vielleicht am späten Vormittag, aber es kann sein, daß wir dann beim Arzt sind. Morgen hat Frau Mandel Arzttermine, da sind wir viel unterwegs.“

„Wie kann man es denn machen, daß ich Frau Mandel mal zu Gesicht bekomme, ich würde sie wirklich gerne mal sprechen“, beharrte ich auf meinem Besuchswunsch, doch Frau Birnbaumer-Nüsselschweif zuckte nur mit den Achseln und um ihre Lippen spielte ein spöttischer Zug.
Gleichzeitig muß es sie aber an der Stirn gejuckt haben, denn sie ließ die mit der einen Hand von innen zugehaltene Tür für einen ganz kurzen Moment los, werkelte einen ihrer fleischigen Arme nach vorne um sich zu kratzen und genau in diesem Moment sagte ich „Hoppla!“ und schon hatte ich die Tür aufgedrückt und war in den Flur der Mandel’schen Wohnung eingetreten.

„Na hören Sie mal, so geht das aber nicht!“ protestierte die Dicke im Wallewallekleid und stapfte mit schneepflugartig ausladenden Fußbewegungen hinter mir her, während ich noch ein paar Schritte weiter in die Wohnung gegangen war.

„Die Frau braucht wirklich ihre Ruhe“, schimpfte die Birnbaumer-Nüsselschweif und dabei wurde sie dann tatsächlich sogar etwas laut.
Na, wenn die nichts zu verbergen hat!
Ich malte mir gerade aus, was die Birnbaumer nun doch alles mit der alten Dame angestellt haben könnte und während ich zwischen Auflösen in Säure und Zerhacken und Verbrennen hin und her schwankte, tönte aus dem Schlafzimmer eine etwas schwache und heisere Stimme: „Frau Birnenbaum, was ist denn da los?“
Eindeutig, das war die Stimme der Frau Mandel und es vergingen nur Sekunden, in denen ich staunend da stand und mich die Birnbaumer-Nüsselschweif vorwurfsvoll anschaute, bis die Schlafzimmertür aufging und Frau Mandel leibhaftig vor uns stand.
Braun karierte dicke Filzpantoffeln, ein bunt geblümter Morgenrock, den sie gerade zuband und auf dem Kopf ein Haarnetz mit kleinen weißen Perlen und Schmetterlingen. Ein bißchen sah die alte Dame aus wie Queen Elisabeth, zumindest stelle ich mir die englische Königin so vor, wenn sie morgens aus ihrem Schlafgemach kommt um im Buckingham-Palast aufs Klo zu gehen…

„Frau Mandel!“ entfuhr es mir spontan und etwas zu laut und die alte Dame entgegnete, „Ja, wen haben Sie denn erwartet, die Königin von England?“ Und während in mir unaufhaltsam ein Lachen hochgluckste, motzte mich die Birnbaumer an: „Sehen Sie, was Sie angerichtet haben, jetzt haben Sie die alte Frau wachgemacht!“

„Quatsch!“, setzte Frau Mandel dem Ganzen ein Ende: „Ich habe doch noch gar nicht geschlafen. Was ist denn hier los?“ Und an Frau Birnbaumer gewandt: „Sind Sie denn noch nicht fertig?“

„Doch, doch, Frau Mandel, ich habe den Kühlschrank abgetaut, ausgewaschen und alles wieder fein säuberlich eingeräumt. Im Wohnzimmer ist alles abgestaubt und die Blumen sind alle gegossen.“

„Und was ist mit dem Müll?“

„Den nehm‘ ich mit runter wenn ich geh‘.“

„Na, wenn Sie alles erledigt haben, dann können Sie ja gehen und vergessen Sie bloß den Müll nicht! Aber bevor Sie gehen, machen Sie dem Herrn noch eine Tasse Kaffee und mir schenken Sie ein Glas Dornfelder ein, das wird mir gut tun.“

Frau Mandel griff meinen Arm und zog mich in Richtung Wohnzimmer, während die Birnbaumer-Nüsselschweif in der Küche verschwand.

Kein Wort sprach Frau Mandel, bis endlich der Kaffee und der Wein auf dem Tisch standen und sie zur Birnbaumer gesagt hatte: „So, sie können dann jetzt gehen. Bis morgen dann, und seien Sie pünktlich, ich will um acht bei der Massage sein, dann zu Doktor Hiebstengel und in die Apotheke. Danach kochen Sie mir was Feines und nach meinem Mittagsschläfchen fahren wir zu Doktor Blumentritt und noch auf den Friedhof.“

Die Birnbaumer nickte bloß und kurz darauf klappte die Wohnungstür.

„So eine nette und hilfsbereite Person, diese Frau Birnenbaum“, sagte Frau Mandel, lehnte sich in ihrem Sessel zurück und nippte an ihrem Gläschen Wein: „Trinken Sie Ihren Kaffee, bevor der kalt wird!“

„Frau Mandel“, begann ich meinen Satz, doch die alte Dame unterbrach mich: „Ich weiß was Sie sagen wollen und ich habe bei der Gemüsefrau heute früh schon so einiges gehört. Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen um mich zu machen. So lange ich das Haus in der Schweiz habe und die liebe Frau Birnenbaumer sich Hoffnungen macht, daß sie es sich unter den Nagel reißen kann, so lange wird die mir eine gute Hilfe sein.
Schauen Sie, mehr als eine Kuckucksuhr und ein Auto habe ich nicht eingesetzt. Die Kuckucksuhr hat mein Verstorbener angeschleppt und das dumme Ding, also die Uhr, ist mir schon seit Jahren auf die Nerven gegangen. Wenn die Gewichte hochgezogen waren, hat der Kuckuck zu den unmöglichsten Zeiten herumgekräht und selbst wenn sie nicht aufgezogen war, mußte ich das verschnörkelte Ding ständig abstauben. Soll der blöde Vogel doch die Wohnung von der netten Frau Birnenbaum volljodeln! Ich bin froh, daß die Uhr weg ist.
Und der Mercedes? Ha, was soll ich damit? Ich habe keinen Führerschein, vom Autoverkaufen habe ich keine Ahnung und wäre doch sowieso über den Tisch gezogen worden und für meine Garage zahlt mir der Herr Flugeisen von gegenüber 60 Euro jeden Monat. Da gebe ich das Auto doch lieber der Frau Birnenbaum. Einmal war ich doch schon mit ihr beim Notar, wissen Sie, da hat sie gedacht, ich würde ihr das Haus in der Schweiz überschreiben. Stattdessen hat der Notar einen Vertrag für uns gemacht, in dem sich die liebe Frau Birnenbaum verpflichtet, mich bis an mein Lebensende überall hinzufahren, zum Arzt, in den Urlaub, in die Schweiz, zur Kur, zum Einkaufen, überhaupt überall hin. Dafür bekommt sie das Auto.
Das Haus aber, das bekommt sie gewiss nicht. Aber das werde ich ihr nicht sagen, denn so lange wie die sich einbildet, ich sei eine doofe Alte, die man ausnehmen kann wie eine Weihnachtsgans, so lange wird die für mich spülen, waschen, kochen und putzen und sie wird das gerne machen, denn das Haus ist ja wirklich wunderschön und so ab und zu lasse ich mal durchblicken, daß sie es vielleicht doch mal bekommt. In Wirklichkeit haben mein Mann und ich es schon vor Jahren dem Urs und seiner Frau zugedacht. Das sind die netten Leute, die da in der Schweiz im nächsten Haus wohnen. Die kümmern sich seit Jahren um das Grundstück und die lange Zufahrt.
Was meinen Sie, wie oft der Urs meinen Mann und mich schon aus dem Dreck oder dem Schnee gezogen hat. Deren Haus ist schon über 400 Jahre alt und die können unser Haus eines Tages gut gebrauchen. Das haben mein Mann und ich schon vor Jahren so aufgeschrieben und hinterlegt. Der Urs weiß das aber nicht und trotzdem hilft der uns wo er nur kann und nie will er was dafür haben. Der soll das alles mal bekommen.
Bis dahin ist der Mercedes, den die liebe Frau Birnenbaum bekommen hat, so alt und klapperig, den wollte dann sowieso keiner mehr haben.“

„Frau Mandel, kann ich auch Gläschen von dem Dornfelder haben, mir ist so nach Feiern.“

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