Geschichten

Günther -XXIV-

Monate waren vergangen. Frau Birnbaumer-Nüsselschweif hatte viel Zeit in unermüdliche Mutterarbeit investiert, um die beiden Mädchen Monika und Ute unter ihre mütterlichen Fittiche zu nehmen. Ute war inzwischen 9 Jahre alt geworden, Monika hatte erst vor einigen Tagen ihren zehnten Geburtstag gefeiert und keines der beiden Mädchen hatte an seinem Geburtstag auch nur eine Sekunde an seinen Vater Günther gedacht.
Wer glaubt, die beiden Mädchen würden erbärmlich unter der Trennung von ihrem Vater leiden, der täuscht sich.

Frau Luitgard Birnbaumer-Nüsselschweif hatte alles daran gesetzt, die Kinder davon zu überzeugen, daß ihr Vater ein schwer krimineller Säufer und Obdachloser ist. Nur unter ihrer Obhut könnten sie in eine gute Zukunft blicken und damit Günthers Töchter nicht auf andere Gedanken kamen, installierten sich die Birnbaumer und ihr Mann als die perfekten Eltern. Anfangs war den Mädchen jeder Wunsch von den Augen abgelesen worden und die dicke Luitgard hatte fast das gesamte örtliche Spielwarengeschäft leergekauft.
Nach etlichen Wochen war die überbordende Schenksucht, die sich für die Mädchen anfühlte wie Dauerweihnachten, einer behutsamen Strenge gewichen. Zuwendung und Zärtlichkeiten, Aufmerksamkeit und familiäre Gemütlichkeit gab es nur noch in homöopathischen Dosen und zwar stets nur als Gegenleistung für die deutlich geäußerte Anerkennung des Ehepaars Birnbaumer-Nüsselschweif als Papa und Mama.

Auch wenn die Mädchen sich vor der Hand hatten davon überzeugen lassen, daß der Aufenthalt bei den Pflegeeltern für sie das Allerbeste sei, und auch wenn sie immer weniger an ihren eigentlichen Vater dachten, war es ihnen anfangs sehr schwer gefallen zu der Dicken Mama sagen zu müssen.
Aber der Alltag verschliff diese innere Hürde. Andere Kinder sprachen von Mama und Papa oder von „Vadda“ und „Mudda“ und Ute und Monika wurde es irgendwann auch mal zu viel, immer von Pflegeeltern zu sprechen oder den umständliche Nachnamen der Zieheltern mitsamt der dazugehörigen Erklärungen nennen zu müssen.

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Sagten sie brav Mama, gab es ein Lächeln oder eine Streicheleinheit und zum Essen einen leckeren Nachtisch.
War eins der Mädchen grüblerisch oder traurig und hatte die Birnbaumer-Nüsselschweif das Gefühl, es könne Gedanken an frühere Zeiten nachhängen oder an den Vater oder den Bruder denken, so herrschte sofort eine kühle Atmosphäre, die auch schnell in einen barschen Ton umschlagen konnte und nicht selten damit endete, daß eines der Mädchen ohne Abendessen aufs Zimmer geschickt wurde.

Mit Bedacht hatte die Birnbaumer-Nüsselschweif für die Mädchen zwei getrennte Zimmer ausgewählt.
„Ihr seid doch schon so groß, da braucht doch jede von euch ihren eigenen Freiraum“, hatte sie freudestrahlend zu den Mädchen gesagt und als Monika und Ute ihre frisch renovierten und hübsch dekorierten Mädchenzimmer bestaunten, glaubten sie, im Siebten Himmel zu sein.

„Na, dann lebt euch erst mal richtig in euren neuen Zimmern ein“, hatte die Dicke mit einem mildtätig, gütigen Lächeln zu ihnen gesagt und war mit ihrem Mann nach unten gegangen.

Der war gar nicht so begeistert davon: „Daß ich mein Arbeitszimmer jetzt auf der Mansarde habe, das gefällt mir überhaupt nicht. Warum können die Muschen nicht in einem Zimmer wohnen?“

„Weil sie sonst stundenlang miteinander reden. Kapierst Du das nicht? Die sitzen doch sonst nur zusammen und tuscheln und jedesmal kommt die Erinnerung hoch. Das will ich nicht. So wie es jetzt ist, so ist es am Besten, da habe ich sie besser unter Kontrolle.“

„Und warum habe ich nicht den trockenen Raum im Keller haben können? Da hast du ja auch schon einen Schrank, ein Regal und ein Jugendbett liefern lassen. Willst du etwa auch noch den Jungen, diesen Thomas holen?“

„Den Krüppel? Das Ärmele? Den Deppen? Gott behüte! O Gott, Du Allmächtiger, schicke meinem Mann Hirn und Schmalz und dann schüttele ihn, bis Hirnschmalz draus geworden ist!“

„Ja und was soll das dann mit dem Zimmer im Keller?“

Die Birnbaumer-Nüsselschweif wollte schon etwas sagen, schürzte dann aber nur die dicken, feuchten Lippen, überlegte kurz und sagte dann nur: „Ach, das ist doch nur ein Ausweichquartier, so eine Art Refugium, falls eines der Mädchen mal eine Auszeit braucht.“

„Versteh‘ ich nicht. Die haben doch ihre eigenen Zimmer um sich zurückziehen zu können.“

„Ja, das verstehst du nicht, weil du einfach nicht diese warmen, mütterlichen Gefühle entwickeln kannst, wie ich es als Frau eben kann. Du bist eben nur ein Mann.“

„Was hat das mit Mann und Frau zu tun? Ich bin doch schließlich der Vater von denen; sagst Du doch immer.“

„Ja, und wehe, Du läßt es den Gören durchgehen, daß die einmal nicht Papa oder Vater zu Dir sagen!“

„Gut, aber warum dieses Zimmer im Keller?“

„Sag ich doch: Ein Refugium.“

„Versteh‘ ich immer noch nicht.“

„Sag mal, bist du so blöde oder tust du nur so? Das Zimmer im Keller ist so etwas wie die stille Treppe. Habe ich im Fernsehen gesehen. Wenn die Kinder da nicht parieren, dann kommen sie auf die stille Treppe und müssen da sitzen und nachdenken. So wie früher, als wir in der Schule in der Ecke stehen mußten.“

„Ich hab nie in der Ecke gestanden.“

„Ich schon.“

„Und die kommen dann da runter?“

„Ist ja nur für den Fall der Fälle. Die Mädchen kommen ja irgendwann auch in die Pubertät und man weiß doch wie schwierig die dann werden. Dann wollen sie mit Buben was anfangen und all so’n scheußliches Zeug. Und da ist es dann ganz gut, wenn sie zum Nachdenken mal ein, zwei Tage ins Refugium gehen.“

„Wenn Du meinst, Luitgart…“

„Nenn‘ mich Mama, hörst Du! Ich will, daß auch Du mich Mama nennst!“

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 25. Februar 2013 | Peter Wilhelm 25. Februar 2013

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Rena
11 Jahre zuvor

Wow. Das ist ja echt heftig. Zur Bi-Nü „Mama“ sagen müssen, sonst gibt es eine Bestrafung. Panne. Wozu ein „Refugium“, wenn beide Mädchen ein eigenes Zimmer haben? Dort kann man sie auch hinschicken, wenn sie mal eine „Ruhephase“ brauchen. Und die Aussage über Thomas finde ich vollkommen daneben. Die Mädels tun mir jetzt schon leid, wenn sie mal nach Jungs schauen. Wegen „schmutziger Sachen“ usw. Warum ist die Bi-Nü dann verheiratet? Waaa, die armen Mädels, armer Thomas und armer Günter.

Christians Ex
Reply to  Rena
11 Jahre zuvor

Als „anständige Frau“ ist die Bi-Nü natürlich verheiratet. Das gehört sich einfach so.
Und wenn sie die „schmutzigen Sachen“ dann weglässt (bzw wegzulassen anordnet), wundert es mich nicht, dass sie keine eigenen Kinder hat.

Silvia
11 Jahre zuvor

Oh man, ich ahne schlimmes…

Jemand, der sich lieber nicht nennt, schaufelte sich sein eigenes Grab und
11 Jahre zuvor

Jetzt wüsste ich aber zu gerne, woher Tom das weiß…

(und warum das einmal ohne und einmal mit ß geschrieben wird)

Manuel

Zur Klammer: „das“ ist ein Artikel oder ein Pronomen,
„daß“-neue Rechtschreibung „dass“-ist eine Konjunktion.

Jemand, der sich lieber nicht nennt, schaufelte sich sein eigenes Grab und
Reply to  Manuel
11 Jahre zuvor

Es ging um das weiß…

11 Jahre zuvor

Jede Wette, dass Tom die Geschichte immer erst schreibt, wenn hier die Volksseele nach einer Fortsetzung verlangt. Er ist Autor! Und er macht das richtig gut, das muss man ihm lassen 🙂

Nicht vergessen: die Brillheimer-Rüsselschwein steht hier nur symbolisch für eine ganze Reihe von Phänotypen 🙂

Elke ( Fännin )
Reply to  Konni Scheller
11 Jahre zuvor

MAMA!

Dod1977
11 Jahre zuvor

Mich erschreckt ja am allermeisten, dass die Nüsselschweifsche verheiratet ist. Der arme Mann.

Winnie
Reply to  Dod1977
11 Jahre zuvor

So ist das im Leben. Eine gewisse Frau Schwarzer soll ja auch verheiratet sein. Das hat mich noch mehr umgehauen, der arme Mann. 😉
Dort heißt es bestimmt mein Mann das Opfer.
Wenn ich dem Opfer Opfer bringe, beschert er mir die Hochzeitsringe. 😉

Micha I
Reply to  Winnie
11 Jahre zuvor

die Schwarzer ist waaaas? Wo hat die den denn her…

hartmut
Reply to  Dod1977
11 Jahre zuvor

Klingt aber grad so als wär sie’s nicht mehr lange …

11 Jahre zuvor

Hat Herr Birnbaumer auch einen Nüsselschweif und was passiert, wenn er nicht „Mama“ zu seiner angetrauten Übermutti sagt? Die Abgründe, die sich in dieser Geschichte auftun, sind grauslich…

Schockiert!
Bakenfalter

Micha I
Reply to  Bakenfalter
11 Jahre zuvor

ob der nen Schweif hat??? Das Rüsseltier weis wahrscheinlich nicht mal, wozu der sein soll…. deswegen muss sie ja Kinder klauen…. ich mein, vom Händchenhalten kommt kein Nachwuchs….

sakasiru
11 Jahre zuvor

Das ist ja schon reichlich krass dargestellt. Dass die Bi_Nü keine perfekte Mutter ist und ein Geltungsbedürfnis hat das zum Himmel stinkt war mir schon klar, aber dass sie so berechnend und bewusst die Kinder manipuliert ist echt heftig. Und Mama zu jemanden sagen müssen der das nicht ist geht gar nicht. Hatte deswegen Riesenkrach mit meiner Stiefmutter, und wir verstehen uns sonst wirklich gut.
Mich würde mal interessieren, ob die Bi-Nü überhaupt irgendein Sorgerecht oder Pflegerecht oder sowas für die Kinder hat, sehr offiziell ist das ja anfangs nicht gelaufen. Das kann doch nicht sein dass man einfach fremde Kinder bei sich einquartiert und weil die es da so schön haben nickt das Jugendamt das dann ab?!

Michi
11 Jahre zuvor

o_O Dass das Rüsselschwein tatsächlich existiert, war mir bekannt. Ich hoffe aber sehr, dass zumindest dieser Teil über dieses Wesen fiktiv ist…

startrek
11 Jahre zuvor

Aber Mr. Spock hat spitze Ohren, oder?

Tom hat einmal erklärt, daß die Geschichten, die erzählenden Charakter haben, konsequent mit einem großen Initial angezeigt werden.
Ich vermute mal, daß hier wie schon so oft eine wahre Begebenheit zugrunde liegt, die Tom entsprechend ausschmückt.

Er ist ein grandioser Erzähler.

Leser
Reply to  startrek
11 Jahre zuvor

Nanu. Da ist nach ein paar Tagen mein Kommentar weg. Höchst seltsam. Habe ich doch etwas zu viel erraten?

Nephele
11 Jahre zuvor

Abgesehen davon das die glühenden Kohlen auf denen ich hier hocke und auf ne Fortsetzung warte, weder meinem Hintern, noch meinen Sitzmöbeln gut tun … wenn jemand wie die BimmBammBorium-Schüsselreif einen guten Kontakt zum örtlichen Jugenamt hat, dann sind Wunder und Unmögliches durchaus schaffbar. Wenn da niemand einen echten Aufstand probt UND juristisch gut unterfüttert ist, dann quieken die „Ist alles für das Wohl des Kindes“ und dann kann die dicke Kosarin soviele Kinder shanghaien wie ihr grad ist. Und die Kinder wieder rauszubekommen, wenn da ein gutes Verhältnis zum Jugendamt herrscht – da musst du quasi nachweisen, das die unter dem Kompost vergrabenen Knöchelchen die der Kinder sind und die Frau noch am letzten Pflegefall rumverdaut.

sakasiru
Reply to  Nephele
11 Jahre zuvor

Ja wie, manche Leute warten jahrelang auf ein Adoptions- oder Pflegekind, und andere schnappen sich einfach was bedürftig Aussehendes von der Straße? Sind wir hier in Korruptistan?




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