Seit Hennings Verurteilung mag ein Zeitraum von einem halben Jahr vergangen sein, es können auch durchaus 8 oder 9 Monate gewesen sein, da hörte ich so unter Kollegen, daß Henning tatsächlich eine Stelle als ungelernter Bestattungshelfer bei einem Bestatter in der Nachbarstadt bekommen hat.
Mann, was hat es mir in den Fingern gejuckt, den Kollegen anzurufen und ihm zu erzählen, was ich von Henning halte. Aber ich habe es gelassen, denn irgendwie sträubte sich da was in mir. Wenn mich der Kollege gefragt hätte, hätte es keinen Grund für mich gegeben zu schweigen, aber einfach so anrufen? Nee.
Doch eines Tages kam es, wie es kommen musste. Wir haben einen Sarg in eben diese Nachbarstadt zu überführen und biegen auf den dortigen Hauptfriedhof ein, da sehe ich jenen Kollegen, nennen wir ihn Grottengruber, und unseren herzallerliebsten Henning. Die beiden laden einen Sarg ein, schließen die Heckklappe und Grottengruber wirft mir einen der unter Kollegen üblichen unfreundlichen bis haßerfüllten Blicke zu.
So ist das unter Bestattern. Ich nehme mich da mal ganz bewusst aus und weiß von vielen Kollegen, die hier mitlesen, daß sie genauso denken wie ich. Man könnte soviel gemeinsam bewegen und sich das Leben um so vieles einfacher machen, würde man nur etwas besser zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen. In einigen ganz wenigen Städten klappt das, aber in der Mehrzahl der Fälle ist das Gewerbe eher von Ablehnung, hartem Konkurrenzdenken und gegenseitiger Ablehnung geprägt.
Man sollte ja meinen, daß gerade die Ausübenden eines so speziellen Berufes in irgendeiner Weise zusammenrücken, aber leider ist das Gegenteil der Fall.
Wir bemühen uns ganz intensiv darum, zu allen Kollegen freundlich und hilfsbereit zu sein. Niemals, und das ist feste Regel bei uns, sprechen wir Kunden gegenüber schlecht über die Konkurrenz, es sei denn jemand entpuppt sich tatsächlich als schwarzes Schaf der Branche.
Je weniger Bestatter miteinander zu tun haben und je weiter sie voneinander entfernt wirken, umso hilfsbereiter sind sie. Rufe ich jetzt irgendeinen Kollegen im südlichsten Bayern, an der Nordseeküste oder an der polnischen Grenze an, dann kann ich fast gewiss sein, daß der sich für uns eine Bein ausreißen würde. Brauche ich jedoch was von einem Kollegen aus der Nachbargemeinde, werde ich genauso gewiss Probleme haben.
Grottengruber ist ein typischer Schnittbroterfinder. Der hat nicht nur das Bestatten an sich erfunden und weiß alles besser, sondern wenn man den so hört, dann hat er neben dem Schnittbrot auch das Atmen und die Benutzung des Zeigefingers zum Popeln erfunden, er ganz allein.
Vor Jahren hatte ich mal versucht, mit Grottengruber eine Allianz im Polizeidienst aufzuziehen, weil er ansonsten nämlich ganz ordentlich arbeitet, hatte aber nur höhnische Ablehnung kassiert und dann auch keinen weiteren Versuch mehr unternommen, mich mit dem einzulassen. Es wäre für uns beide ein Bombengeschäft gewesen, wenn wir zusammengearbeitet hätten. Er allein hat gar nicht die Kapazität, um einen ordentlichen Dauerdienst für Polizeieinsätze auf die Beine zu stellen und wir als ortsfremdes Unternehmen durften uns damals an der Ausschreibung nicht beteiligen. Wenn er mit uns eine Kooperation eingegangen wäre, so meine Idee, hätten wir gemeinsam mit ihm diesen Dienst gefahren und dann fifty-fifty gemacht…
Naja, wer nicht will der hat schon und fragen kostet bekanntlich nichts. Aber seine Aussagen von damals klingen mir heute noch im Ohr: „Den Polizeidienst machen wir hier vor Ort schon ganz alleine, da brauchen wir bestimmt keinen von Euch, unser Unternehmen gibt es schon seit 1860, da brauchen wir keine windigen Geschäftemacher.“
Wäre ja schön für ihn gewesen, wenn er dann den Auftrag auch bekommen hätte, aber seit Jahren macht das dort jetzt exklusiv die „Pietät Eichenlaub“ und es hat nie wieder eine Ausschreibung gegeben.
Kommen wir zurück auf das kollegiale Zusammentreffen auf dem Friedhof.
Wir stehen mit unserem Bestattungswagen ganz rechts am großen Rondell, Grottengruber muss also einmal wenden. Dazu muss Henning ihn einweisen und das macht der Kerl, indem er sich quasi direkt vor unseren Wagen stellt und mich die ganze Zeit kaugummikauend frech angrinst.
„Arschloch“, denke ich, tue aber so, als ob ich ihn gar nicht sehe.
Wenige Minuten später sind die Grottengrubers verschwunden und wir erledigen unsere Arbeit. Es gilt, einen Sarg abzuliefern und die darin befindliche Verstorbene für eine offene Aufbahrung vorzubereiten. Das heißt, vorbereitet ist die Dame schon, aber nach einem Sargtransport müssen Kissen und Decke wieder gerichtet werden und manchmal möchten die Toten auch noch einmal etwas gepudert und gekämmt werden, die achten ja auch so gar nicht auf sich, wenn wir sie herumfahren.
Mein Fahrer macht das und ich gehe zum Friedhofsverwalter, um abzuklären, wie es weitergeht. Das ist die Nachbarstadt und mir wäre es lieb, wenn er sich um den weiteren Fortgang kümmert. Das macht er gerne und bekommt auch was in seine Kaffeekasse. Dafür guckt er dann ab und zu nach unserer Verstorbenen und sorgt dafür, daß sie auch weiterhin schön aufgebahrt bleibt, zumindest aber ruft er uns an, falls irgendwas Größeres gemacht werden muss und schließlich wird er den Sarg ordentlich verschließen. Das klappt normalerweise auf allen Friedhöfen zuverlässig. Schließlich bringen ja auch Bestatter vom weit entfernten Bodensee oder von der holländischen Grenze mal Verstorbene und die können auch nicht alle paar Tage nach dem Rechten sehen.
Was könnte den passieren, mag manch einer fragen. Nun, Verstorbene verändern sich, der körperliche Zerfall ist schließlich im Gange, manchmal muss der Sarg auch von einer Zelle in die andere umgeparkt werden und dabei verrutscht schon mal was und es kommt auch vor, dass die Angehörigen an den Toten herumzupfen usw.
Jedenfalls will der Verwalter sich kümmern und das ist auch gut so.
Wir fahren wieder heim und wenden uns dem Tagesgeschäft zu. Trotz der vielen Arbeit geht mir der kaugummikauende, grinsende Fatzke nicht aus dem Kopf. So ein frecher Hirni!
Wir hatten ja eine alte Dame zum Hauptfriedhof der Nachbarstadt gebracht, einen Weg, den sie wegen leider dauernder Leblosigkeit nicht alleine antreten konnte. Ihr beklagenswerter Zustand machte es auch erforderlich, daß der Friedhofsverwalter dort ab und zu ein Auge auf sie hatte. Immerhin fünf Tage mußte sie dort überflüssigerweise überirdisch überdauern, ihre Hinterbliebenen hatten sich auf keinen früheren Beerdigungstermin einigen können. Fünf Tage sind schon ziemlich lang und wer es aus seiner Heimat gewohnt ist, daß die Toten am dritten Tag unter die Erde kommen, den mag so etwas verwundern, aber in der Großstadt sind 5-8 Tage Wartezeit keine Seltenheit.
Am dritten Tag, es war ein Mittwoch, rief mich der Verwalter an. Er habe zwar täglich nach ihr geschaut und es sei auch nichts zu tun gewesen, aber jetzt sei unser Eingreifen dringend notwendig. Bald öffne er die Leichenzellen und so könne er keinesfalls die Angehörigen zu der Verblichenen lassen.
Klaus, einer der Fahrer, nahm den alten Firmenkadett, einen unserer „Leichenkoffer“ und fuhr in die Nachbarstadt. Er war an der Einbettung der Frau und am Transport nicht beteiligt gewesen und hatte die Tote auch vorher nicht gesehen.
Nach einer Stunde war er wieder zurück und kam zu mir ins Büro.
„Chef, also da habt ihr wirklich Mist gebaut“, sagte er zu mir.
„Wieso?“
„Na, ich muß Ihnen ehrlich sagen, derjenige, der die Frau fertiggemacht hat, der hat ja wohl ein bißchen zu tief in den Farbtopf gegriffen.“
„Das war Huber.“
„Unmöglich! Huber kann das nicht gewesen sein. Ich kenne die Arbeit von Huber und sowas würde der nicht abliefern.“
„Es war aber wirklich Huber. Ich habe ihm die Verstorbene quasi vom Tisch genommen und er hat sie in meinem Beisein nochmals im Sarg gerichtet. Ich war selbst dabei, wie sie auf den Friedhof gebracht wurde und Gröschel hat sie nochmals gepudert, auch danach habe ich sie gesehen, sie lag einwandfrei im Sarg.“
„Heute aber nicht mehr!“
„Was war denn?“
„Ja, die hatte Lippenstift rund um den Mund geschmiert, so als habe sich ein kleines Mädchen das erste Mal selbst angemalt und ihre Augenbrauen waren wie bei Mr. Spock nachgezogen.“
„Wie bitte? Das kann gar nicht sein. Die hatte gar keinen Lippenstift und an den Augenbrauen war auch kaum etwas gemacht.“
Lippenstift bei einer Verstorbenen kommt ja sowieso nur selten zum Einsatz. Ich schrieb ja schon mal, daß es in unseren Breitengraden üblich ist, den Verstorbenen einen friedfertigen, schlafenden Ausdruck zu geben und nicht, sie „schön“ zu machen. Die Amerikaner schminken ihre Toten, daß sie aussehen, wie Hollywood-Schauspieler.
Klaus bleibt dabei: „Doch Chef, das stimmt, was ich sage, die Frau war total mit Lippenstift und Augenbrauenstift verschmiert. Wenn das die Familie gesehen hätte, dann hätten wir großes Theater gehabt.“
Ich schicke Klaus wieder an die Arbeit und telefoniere mit dem Friedhofsverwalter. Von ihm will ich wissen, wer diese Sauerei wann gemacht haben könnte. Immerhin besteht ja die Möglichkeit, daß Familienangehörige selbst Hand angelegt haben, wenngleich ich das für absolut unwahrscheinlich halte. Nein, das könne gar nicht sein, meint der Verwalter, denn am gestrigen Tag sei seines Wissens gar keiner von der Familie dagewesen und er habe ja auch kurz vor Feierabend, als er die Zellen geschlossen hat, nochmals nach unserer Verstorbenen geschaut und da sei ja alles in Ordnung gewesen.
Zunächst einigten wir uns auf einen Dummenjungenstreich, daß ich das aber erstens nicht wirklich glaubte und daß etwas anderes dabei herauskam, das erkennt man ja schon an der Überschrift dieses Textes.
Ich hatte immer noch den grinsenden und kaugummikauenden Bengel vor Augen und war mir ziemlich schnell sicher, daß er dahinterstecken muß.
Schließlich sind die Leichenzellen auf diesem Friedhof nachts abgeschlossen und nur die dort ansässigen Bestatter haben einen Schlüssel, damit sie auch außerhalb der Öffnungszeiten Tote anliefern können. Es muß also ganz sicher jemand gewesen sein, der dort ungehinderten Zugang hat. Nur wird man das Henning sicher nicht nachweisen können.
Kaum zu glauben, aber fast schon zu vermuten war, daß der Verwalter auch am nächsten Tag anrief. Diesmal habe die Tote zwar keine Malereien im Gesicht, aber jemand habe ihr eine aufgerollte BILD-Zeitung in die leblosen Hände gesteckt und zwar so, daß der tägliche Nackedei schön nach vorne zeigt. Wir bräuchten nicht zu kommen, die Zeitung habe er schon weggeworfen und die Hände der Verstorbenen gerichtet. Jetzt halte sie wieder ihren Rosenkranz.
Ob er die Leichenzelle nicht bis zum morgigen Freitag, an dem die Beerdigung stattfinde, abschliessen solle, will er wissen. Das wäre sicherlich das Beste, aber erfahrungsgemäß ist es der Tag vor der Beisetzung und sind es die letzten Stunden vor der Trauerfeier in denen die Angehörigen besonders häufig ihre Verstorbenen besuchen wollen.
So etwas sei auf seinem Friedhof noch nie vorgekommen und am liebsten hätte er jetzt Kameras in den Leichenzellen. Das bringt mich aber auf eine ganz andere Idee. Ich frage ihn, was er denn davon halte, wenn wir uns nach Feierabend auf die Lauer legen würden.
Die Idee gefällt ihm und wir verabreden uns für 17 Uhr.
Ihr wißt, was kommt, gell?
Soviel kann ich verraten, es wird so kommen, wie Ihr denkt, aber doch ganz anders.
Kurz nach 17 Uhr komme ich am Friedhof an. Es ist der Haupfriedhof mit recht weitläufigen Anlagen und tagsüber wuseln hier bestimmt zwei Dutzend Bedienstete herum. Der Friedhofsverwalter von dem ich hier berichte, ist nur einer von vier Verwaltern, zwei davon sind für die Leichenzellen und die Annahme von Verstorbenen zuständig, die anderen beiden betreuen die Trauerhalle und die Feiern.
„Wenn wir nur eine Kamera da drin hätten, dann könnten wir uns den ganzen Quatsch hier sparen und alles auf Video aufnehmen“, meint der Verwalter und auch ich habe keine rechte Lust, bis zum Morgen da zu sitzen. Immerhin haben wir es recht bequem. Von einem Raum im ersten Stock aus haben wir gute Sicht auf den Eingangsbereich zu den Leichenzellen. Licht machen wir keins, nur eine kleine Taschenlampe bemühen wir, wenn wir Kaffee nachschenken oder mal wohin müssen.
Man glaubt ja gar nicht, was auch so ein Friedhofsverwalter für Anekdoten und Geschichten erlebt. Kaum zu glauben. Vor Jahren hatte er schon einmal auf der Lauer gelegen. Damals waren immer wieder Leute während der Nacht auf den Friedhof gekommen und hatten Grabsteine mit Farbe beschmiert. Mit einem Kollegen hatte sich dieser Mann im Verborgenen gehalten und nach mehreren Nächten war man endlich der Täter habhaft geworden. „Das waren junge Kerle, vielleicht 15 oder 16 Jahre alt, die haben den Arsch voll gekriegt und sind nie wiedergekommen. Aber als das mit den Hakenkreuzen war, da haben wir gleich die Polizei gerufen.“
Anders als die Burschen zuvor, waren diese Täter besonders im jüdischen Teil des Friedhofs aktiv und beschmierten die Grabmale mit antisemitischen Parolen und Hakenkreuzen. „Das war kein Dummerjungenstreich mehr, das war was Politisches und bei diesen Leuten weiß man nie.“
Wir stellen auch Überlegungen an, ob es nicht auch in diesem Fall sinnvoll gewesen wäre, die Polizei einzuschalten, aber im Grunde war ich ja schon froh, daß der Verwalter noch nicht einmal seinen Chef informiert hatte. Es hätte auf jeden Fall ein Riesentheater in der örtlichen Presse gegeben und am Ende bleibt vielleicht sogar was an unserem Unternehmen hängen.
Da so im Dunkeln zu sitzen, das macht müde. Nach drei Stunden war uns der Gesprächsstoff ausgegangen und mir war das auch ganz lieb. Denn der Verwalter neigte ein wenig dazu, alles zwei- oder dreimal zu erzählen. Mir wurde es langweilig und ich überlegte, ob es nicht besser wäre, die Aktion abzubrechen und nach Hause zu gehen. Wenn man morgen früh beizeiten nach der Verstorbenen sehen würde, könnte man ja auch eventuellen Blödsinn beseitigen.
Während ich aber noch diese Überlegungen anstellte, tippt mir der Verwalter auf den Arm und deutet mit einer Kopfbewegung hinunter. Ich sehe nichts, unten ist es von der Nachtbeleuchtung nur spärlich beleuchtet und ich kann nichts Ungewöhnliches erkennen.
Obwohl man uns unten unmöglich hören kann, flüstert der Verwalter mir zu: „Da war was, ganz bestimmt sogar.“ Und auch ich flüstere, als ich ihm antworte: „Ich sehe nichts.“
„Warten Sie, da ist wieder was, da vorne rechts.“
Ich hatte die ganze Zeit nach links geschaut, in Richtung des Friedhofeingangs, aber tatsächlich, von rechts, vom Friedhofsgelände kommt jemand gelaufen.
Der Verwalter will schon aufspringen, doch ich drücke ihn auf seinen Stuhl nieder und raune ihm zu: „Und wenn das jetzt nur irgendein romantischer Friedhofsbesucher ist, der das Mondlicht liebt? Lassen Sie uns abwarten, was passiert!“
Er nickt und sagt: „Wir gehen aber besser runter und gucken vom unteren Fenster, dann sind wir schneller draußen.“
Da hat er auch wieder Recht.
Als wir unten ankommen und aus dem Fenster schauen, ist die Gestalt schon nahe bei den Leichenzellen angekommen. Von der Größe her könnte es tatsächlich Henning sein, vom Erscheinungsbild, soweit man das erkennen kann, ist es eher das Phantom der Oper. Man sieht einen schwarzen Umhang und das Gesicht scheint irgendwie hinter einer weißen Maske verborgen.
Der Friedhofsverwalter will raus, doch ich halte ihn zurück: „Noch hat der doch gar nichts gemacht. Für so eine Okelei, kriegen wir den nicht am Kanthaken.“
Wir brauchen aber nicht lange zur warten und das Phantom ist bei der Tür zu den Leichenzellen; und tatsächlich, die Person muß einen Schlüssel haben! Nicht lange ist sie mit der Tür beschäftigt, dann ist sie im Inneren des Gebäudes verschwunden.
Nun ist der Moment gekommen, um zuschlagen zu können. Wir hasten los, doch bei aller Eile vergesse ich nicht, das mitzunehmen, was ich extra für diesen Augenblick mitgebracht habe.
Nur ein paar Augenblicke später sind wir auch an der Tür zu den Aufbahrungszellen, kurz bleiben wir stehen, man ist ja doch aufgeregt in solchen Momenten und ich spiele ja nicht jeden Abend Herlock Sholmes. Mein Herz klopft ganz schön und mein Mund ist ziemlich trocken. Der Verwalter stößt die Tür auf, wir rennen uns beinahe gegenseitig über den Haufen, als wir hineinwollen und für einen zufälligen Beobachter muß das schon ziemlich stümperhaft ausgesehen haben.
Doch ein Griff zum Lichtschalter und klackernd zündet die Reihe von Leuchtstoffröhren an der Decke und verbreitet gleißendes Licht, sodaß wir kurz geblendet sind. Doch einige Millisekunden später sehen wir das Phantom keine acht Meter vor uns, es will gerade die Tür zu einer der Leichenzellen öffnen. Der Verwalter springt vor, das Phantom erstarrt wie angewurzelt und ich zücke das was ich mitgebracht habe, meine schöne Sony-Digitalkamera. So eine Serienbildfunktion ist doch was Tolles!
Zwei mal drücke ich den Auslöser, etwa 16 Bilder surren in die Kamera, dann will auch ich unser Phantom näher betrachten, das der Verwalter von hinten umklammert hält.
Tja, ich muß nichts sagen, oder? Es ist Henning, der mich da mit haßerfüllten Augen anfunkelt. Er trägt eine schwarze Lederhose, schwarze Stiefel und ein schwarzes Seidenhemd. Um die Schultern hat er sich einen schwarzen, fast bodenlangen Umhang gebunden und sein Gesicht hat er mit Karnevalsschminke schneeweiß angemalt.
„Na, du Sloof, wenn ham wer den da?“ fragt ihn der Verwalter und schüttelt ihn ein bißchen.
Keine Antwort, Hennings Brust hebt und senkt sich unter heftigen Atemzügen, er brodelt vor Wut.
Ich bin auch voller Zorn, aber irgendwie kommt in mir ein Lachen hoch, so aberwitzig ist die Situation. Ich kann nicht anders, es prustet plötzlich aus mir heraus und ich muß lauthals loslachen. Das macht Henning noch wütender und er will „Arschloch“ sagen, aber beim „sch“ schießt ihm ein weißer Gegenstand aus dem Mund und mir wird schlagartig klar, warum er die ganze Zeit noch nichts gesagt hatte. Er konnte nicht! Denn das was da auf dem Boden landet, ist ein Vampirgebiß aus Plastik.
Da hat sich unser Möchtegernsatanist für seinen abendlichen Auftritt in den Herrn der Untoten verwandelt und sieht dabei sowas von lächerlich aus, daß es kaum zu glauben ist.
„Können Sie ihn mal halten, dann rufe ich die Polizei“, sagt der Verwalter zu mir und ich will es schon tun, da kommen in mir wieder die Bedenken hoch. Wenn wir jetzt die Polizei rufen, dann gibt es hier einen nächtlichen Aufstand ohne Ende und was wird dabei herauskommen? Schlagzeilen, Beiträge bei ZIPP, ZACK, PÄNG und wie diese ganzen Sendungen in den Privaten so heißen, vielleicht mit einer weinenden Henning-Mutter am bierflaschengefüllten Küchentisch, die sich darüber beklagt wie hartherzig ich war und den Armen quasi zur Tat getrieben habe. Ob es berechtigt ist oder nicht, ich bekomme Angst davor, daß es einen Skandal gibt und mir die Kunden wegbleiben, weil die Angst haben, daß auch ihr Angehöriger von einem meiner Mitarbeiter verunstaltet wird. Und was war denn schon passiert? Henning hat die Verstorbene einmal mit Lippenstift bemalt und ihr einmal eine Zeitung in die Hand gedrückt. Geht sowas überhaupt vor Gericht? Wenn ja, was bekäme er? Vielleicht endlich sogar eine Haftstrafe, und dann? Bewährung? Und morgen schon läuft der mir wieder grinsend über den Weg.
„Moment mal“, sage ich zum Friedhofswärter, „ich glaube, das klären wir anders.“
Der guckt mich etwas verwirrt an, aber ich tippe auf meine Kamera.
„Sie dürfen keine Bilder von mir machen“, krakeelt Henning, „das verletzt mein Recht auf eigene Persönlichkeit.“
„Ich zeig Dir gleich, was bei Dir alles verletzt ist“, motze ich ihn an und füge hinzu: „Wollen wir doch mal sehen, was Dein famoser Chef dazu meint.“
Dann zücke ich mein Handy, so wie es sonst nur George Clooney kann, wähle die Nummer von Grottengruber und der meldet sich nach zweimaligem Klingeln.
„Wie sieht es aus, Herr Kollege?“ frage ich ihn, „Haben Sie Lust mal einen Blick darauf zu werfen, welcher Nebenbeschäftigung Ihr neuer Mitarbeiter abends nachgeht.“
„Was ist los?“
„Wir sind hier auf dem Hauptfriedhof und haben Ihren Mitarbeiter in Gewahrsam. Das sollten Sie sich anschauen.“
„Auf dem Hauptfriedhof? Jetzt?“
„Ja jetzt.“
Grottengruber legt auf.
Henning sagt wieder: „Arschloch!“ und es juckt mir in den Fingern, aber wie!
Er strampelt, der Verwalter hält ihn immer noch fest und während er so strampelt, öffnet sich seine linke Hand und ein roter Gegenstand fällt zu Boden. Es ist eine rote Clownsnase aus Schaumstoff.
„Ach nee“, sage ich, „die wolltest Du wohl der Verstorbenen aufsetzen, nicht wahr?“
„Ja und?“
„Wie, ja und?“
„Soll doch jeder sehen, daß Sie ein Arschloch sind. Sie haben mir mein Leben kaputtgemacht und warum sollen Sie noch gut im Geschäft sein?“
„Ich glaube, wir rufen doch die Polizei“, sage ich und der Verwalter nickt heftig.
Draußen fährt ein Wagen vor, es hat kaum 10 Minuten gedauert und Grottengruber kommt.
„Was ist hier denn los?“ poltert er herein.
Ich setze ihn über die Situation in Kenntnis, zeige ihm ein Bild auf meiner Kamera und er will vorspringen, um Henning eine zu kleben, doch der Verwalter hebt Henning kurzerhand zur Seite.
„Sie dürfen mit den Bildern nichts machen“, wimmert dieser, „Ich komm doch in den Bau.“
„Da gehörst Du auch hin!“, kreischt ihn Grottengruber an, „weißt Du eigentlich, was Du da machst? Du hast doch nicht alle Lampen am Brennen!“
Hennings Ton hat sich gewandelt, auf einmal ist er gar nicht mehr der großkotzige Herr der Finsternis, sondern auf einmal hat er Angst vor den Folgen.
Er hat einen weinerlichen Unterton in der Stimme, als er Grottengruber fragt: „Sie werfen mich doch jetzt nicht raus, oder?“
„Ja was denkst Du denn, Du Idiot?“
„Ja aber Sie können Herrn XY (damit meint er mich) doch auch nicht leiden.“
„Was hat das denn damit zu tun? Wir sind Konkurrenten, aber sowas macht man doch nicht. Du spinnst ja wohl“, herrscht Grottengruber ihn an.
Ja ist klar, Henning hatte sich bei Grottengruber über uns ausgekotzt, Grottengruber wird ihm gesagt haben, was er von uns hält und daraus hatte Henning geschlossen, er würde seinem Chef vielleicht sogar einen Gefallen tun, wenn er uns quasi vom Markt fegt.
Doch Grottengruber nimmt ihm sofort alle Hoffnungen: „Morgen früh kannst Du Deine Papiere holen! Und wenn irgendwas auf mich zurückfällt, verklage ich Dich bis an Dein Lebensende!“
An mich gewandt erkundigt er sich: „Ist die Polizei schon unterwegs?“
Ich schüttele den Kopf und sage: „Nein, wir haben doch das hier“ und deute auf die Kamera.
Henning schüttelt sich und ruft: „Wenn Sie die Bilder jemandem zeigen, bin ich doch erledigt.“
„Das mache ich auch“, kläre ich ihn auf, „Ich sende die Bilder an alle Privatsender und an alle Zeitungen und gebe denen Deinen Namen und noch einen Auszug aus Deinem Strafregister.“
„Was denn für ein Strafregister?“ will Grottengruber wissen.
„Ach, das soll Ihnen Ihr fabelhafter Mitarbeiter selbst erzählen“, sage ich zu ihm und er schüttelt den Kopf: „Ex-Mitarbeiter!“
Der Verwalter schiebt Henning rüber in sein Büro und wir folgen den beiden. Dort beschließen wir, ein Schriftstück aufzusetzen. Genauergesagt lassen wir Henning selbst auf ein Blatt schreiben, was er gemacht hat. Keine Ahnung, ob sowas eine rechtliche Bedeutung hat, aber immerhin haben wir ein Schriftstück in seiner Handschrift und mit seiner Unterschrift, in dem er gesteht und genau beschreibt, was er angestellt hat.
Mittlerweile gibt es davon zwei Kopien, mit den Ausdrucken der besten Fotos und die liegen, gut verwahrt, bei Grottengruber und bei mir.
Sollte Henning jemals wieder im Bestattungsgewerbe anheuern oder einem von uns krumm kommen, wissen wir was zu tun ist. Ob es wirklich was hilft?
Auf jeden Fall haben wir den Fürst der Finsternis an diesem Abend laufen lassen.
Ich wußte, daß in absehbarer Zeit von Henning nichts zu befürchten sein würde, aber ich wurde auch das Gefühl nicht los, daß wir irgendwann nochmal von Henning etwas hören würden.
Episodenliste:
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: henning
Da kommt sicher noch was…*G*
Hallo Undertaker, ich denke, das wird Dir ab und an passieren, dass Dir der herrlichste aller Azubis über den Weg läuft. Behalte Contenaince. Doof bleibt nun mal doof!
Naja da scheinen sich dann zumindest der richtige Herr und Schüler gefunden zu haben 😉
Zumindest könnte man ja ein klein bisschen Schadenfreude empfinden, dass der „freundliche“ Kollegen, den „ehrlichen“ Mitarbeiter bekommen hat. *g*
Redewengungsfehler gefunden:
„Man könnte soviel gemeinsam bewegen und sich das Leben um so vieles einfacher machen, würde man nur etwas besser zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen.“
Korrektur: […] vieles einfacher machen, würde man nur etwas besser zusammenarbeiten und an einem <<>> ziehen.“
🙂
Gruss
@ Simon
Wo ist da nun die Änderung? *blindbin*
Ich glaub auch, dass da noch was kommt, dass kann doch nicht alles gewesen sein mit Henning…
*gespanntbin*
Ich hoffe Du hast die Seite Deines Wagens geprüft, nicht dass der Fatzke hier ein wenig zu weit gewunken hat…würde mich nicht wundern.
Habe auch das Gefühl das hier noch was kommt…
Ich vermute mal die Geschichte geht noch weiter ….
Liege ich da richtig ?
also tom, manchmal muss auch ich daran zweifeln, dass du ein einfacher bestatter bist und kein kunstfertiger autor, so wie du die spannungsbögen setzt. das hier erinnert mich irgendwie an stephen king`s „friedhof der kuscheltiere“, ich weiss auch nicht warum. man wartet die ganze auf den „bäng!“ und es zieht sich eine subtile anspannung durch den text. chapeau, mr. undertaker… es bleibt spannend!
Henning weckt wirklich die niedersten Triebe.
Nur vom Lesen verspüre ich den innigen Wunsch nach „Fresse hauen!!“, wie muss es da erst Dir als direkt Betroffenen gehen…
@Anicatha
Fragen, die man einem Bestatter nicht stellen sollte…
Ich wette, Dir fehlte nachher die linke Blinker-Abdeckung und sie tauchte auch nie wieder auf… 😉
Es ist ganz schön fies, die Geschichte an der spannendsten Stelle abzubrechen!!!
Der Bestattungswagen von Tom war ein Mercedes und der Heini hat den Stern mitgehen lassen…
Das sicherste ist jetzt:
1. Eine Henningphobie bekommen.
und deshalb
2. Bis zur Bestattung Tag und Nacht im Verborgenen auf der Lauer liegen, oder eine Webcam installieren und warten was Henning anstellt. Er wird seinen neuen Chef schon informiert haben, was Du für ein komischer Vogel bist. Anstatt dankbar zu sein, dass man Dein gesammeltes Altmaterial entsorgt, machst Du ihm auch noch Schwierigkeiten und zeigst ihn an. Das riecht nach Rache……Fortsetzung folgt bestimmt.