Geschichten

In der Psychiatrie VII

orgel

Hatte ich eben noch den Eindruck, daß Hardy in seinen schwarzen Sachen ganz ordentlich aussieht, so muß ich das wenige Minuten später revidieren. Die Trauerfeier war das übliche Trallala, nichts Herausragendes, eine Trauerfeier eben, wie ich sie schon ganz oft erlebt habe. Aber Frau Berg ist ein alte Frau und ältere Menschen wollen auch gar nichts Ungewöhnliches bei Trauerfeiern, da soll lieber alles so ablaufen, wie sie es schon Dutzende von Malen gesehen haben, die Gleichförmigkeit des Ablaufs gibt auch Sicherheit und Halt.

Die letzten Klänge der etwas altersschwachen Orgel jammern durchs spinnwebige Gebälk der Trauerhalle des Friedhofs, als die Schützenbrüder der Urne das letzte Geleit geben. Getragen werden muß die Urne von einem Friedhofsmitarbeiter, der sich wenigstens die Mühe gemacht hat, das Arbeitsgrün abzulegen und so etwas Ähnliches wie eine ehemals graue Uniform anzuziehen. Die Urne trägt er unterm Arm, als wolle er ein Ferkel zu Markte tragen und erst als er an mir vorbei muß und meinen warnenden Blick sieht, besinnt er sich, daß das kein Eimer mit Tombolalosen ist, den er da trägt, sondern daß da die sterblichen Überreste eines Menschen drin sind. Erst da nimmt er die Urne mit beiden Händen und trägt sie, wie eine tickende Zeitbombe vor sich her.

Die Schützen die vorhin noch vor der Kapelle gebollert haben, beeilen sich, in halbwegs geordneter Formation zum Urnengrab zu gelangen. Sie hatten damit gerechnet, daß wir vorne aus der Halle herauskommen, das tun wir aber nicht und so ist den Grünkitteln Eile ans Fersenbein geheftet und sie müssen aufpassen, nicht über ihre mitgebrachten Büchsen zu stolpern.

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Hinter dem Urnenträger und dem kleineren Geleitzug der Schützen folgt der Kreuzträger, dann der Pfarrer und dann seine Ministranten. Direkt dahinter geht Susanne, links von ihr Ronja und rechts von ihr Hardy, der einen Arm um Susanne gelegt hat und so tut als müsse er sie stützen. Mit etwas Abstand folgt der Teil der Familie, die sich um Frau Berg geschart hat und dann alle anderen Trauergäste.

Ich nehme eine kleine Abkürzung, will vor denen am Urnengrab sein und helfe dort den eilenden Schützen, von denen manche doch schon etwas in die Jahre gekommen sind und mit ihren dicken Bäuchen nur noch so eben in die grüne Pelle gepasst haben, sich ordnungsgemäß in Formation zu stellen. Dann trifft auch schon der Trauerzug ein. Wenige Worte des Pfarrers, dann geht alles wie immer recht schnell, der Friedhofswärter stellt die Urne neben das Loch, zieht die beiden Schnüre an der Seite heraus und läßt die Urne ins Grab. Er verneigt sich kurz und geht dann weg.

Nochmals spricht der Pfarrer und dann nickt er dem Vorsitzenden des Schützenvereins zu und die Knarrenbrüder ballern mit ihren Schießprügeln einmal in die Luft. Das hat was Militärisches und Feierliches.
Und nun kommt der Moment, den ich eingangs schon erwähnte, daß mein guter Eindruck von Hardys Trauerkleidung mit einem Schlag zunichte gemacht wird.
Er löst sich nämlich von Susanne und scheint nun das Kommando am Grab übernehmen zu wollen. Er bückt sich, nimmt die kleine Schaufel aus dem Eimer mit Sand und beim Bücken stellt er ein Bein etwas vor und dadurch rutscht sein Hosenbein etwas hoch. Ich weiß nicht ob andere es auch sehen, aber mir fällt sofort auf, daß Hardy in seinen spitzen schwarzen Schuhen keine Socken trägt.
Das geht ja gar nicht!

„Ich bin sein bester Freund“, sagt Hardy quasi zu jedem der nun ans Grab herantritt und reicht ihm dann die Schaufel, damit derjenige ein Schäufelchen voll Sand ins Grab werfen kann. Will sich der Trauergast dann zu Susanne umdrehen, vielleicht um ihr zu kondolieren, stellt sich Hardy demjenigen in den Weg und sagt: „Keine Kondolierung!“

Die Leute akzeptieren das, wenden sich zu Frau Berg, die tapfer allen die Hand schüttelt und die Beileidsbekundungen entgegen nimmt.

Zwanzig Minuten, dann war alles vorbei und die Beerdigungsgesellschaft löste sich am Grab allmählich auf. Vor der Trauerhalle rollen die Schützen ziemlich langsam ihre Fahnen wieder ein, packen die Gewehre in Taschen und Koffer, man beeilt sich nicht, denn normalerweise bekommen Sanges-, Schützen- oder Anglerbrüder bei solchen Anlässen einen schnellen, kurzen Schnaps, gegen die Kälte, auch im Sommer.

Auch die anderen Trauergäste stehen verloren herum. Diejenigen, die sowieso nur zur Beisetzung gekommen sind verabschieden sich oder gehen einfach, doch alle anderen blicken fragend in die Runde. Wird es wohl noch ein Kaffeetrinken geben? Susanne steht etwas abseits und wartet auf Hardy. Der kommt dann endlich auch, verkündet lautstark: „So, das war’s!“ und führt Susanne fort.
Ronja bleibt bei ihrer angeheirateten Oma und die stampft mit ihrem Stock einmal kurz auf den Boden und erklärt: „So, dann wollen wir mal! Es gibt Kaffee und Kuchen im Gemeindesaal gegenüber.“

Während des gemeinsamen Kaffeetrinkens kommt richtig gute Stimmung auf. Es sind auch Verwandte von weiter her gekommen, die sich lange nicht gesehen haben und die Schützenbrüder stimmen mehrfach ein Lied ihres Vereines an, das aber mit steigendem Schnapspegel vom Text her immer variabler wird und schließlich beschränkt man sich darauf, überhaupt nur noch den Refrain zu singen, da singen nämlich wenigstens alle dasselbe.

Etwa 500 Meter weiter, vorne an der Hauptstraße im Café Lutzenkämper sitzen Hardy und Susanne und sind beleidigt.
Worüber eigentlich?

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