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Geschichten

In der Psychiatrie VIII

Am Tag nach Martins Urnenbeisetzung sitzen Frau Berg, seine Mutter, und Gudrun, seine Schwester, bei mir und wir lassen alles Revue passieren. Ein besonderer Anlass für ihren Besuch bei mir besteht nicht, aber ich biete den Angehörigen das immer an: „Kommen Sie doch morgen einfach mal vorbei, dann sprechen wir bei einer Tasse Kaffee mal über alles.“ Noch überwiegt nämlich die Trauer und somit ist das ein ganz günstiger Zeitpunkt für den Bestatter um eventuelle Fehler, die rund um die Bestattung passiert sind, gleich glattzubügeln oder auch mal kleinzureden. Ich sagte ja schon ein paar Mal, daß die Abwicklung einer Bestattung trotz aller Routine und Erfahrung immer ein Hürdenlauf zwischen Hunderten von Fettnäpfchen ist, die auch noch andere im Dunkeln aufgestellt haben.

Bevor die Angehörigen tagelang über irgendetwas brüten und dann voller Ärger hier auftauchen, ist es doch besser, wenn man rechtzeitig den Wind aus den Segeln pustet und alle richtig einstimmt.
Irgendwas geht immer schief, immer! Entweder der Pfarrer vergißt es die Goldhochzeit zu erwähnen, die Nelken am Kranz sind nicht rot genug, der Leichenwagen hat komisch geruckelt oder die Vögel unverschämterweise zu heiter gesungen…

Die beiden Frauen sind froh, daß das Schlimmste jetzt rum ist und Frau Berg ist mir ganz besonders dankbar, daß ich ihr zu einer Urnentrauerfeier geraten habe: „Da haben wir alles auf einmal und ich muß nicht nochmal alleine auf den Friedhof, das war eine gute Idee von Ihnen.“

Erst neulich war ich wieder auf einem Friedhof, weil ich sehen wollte, ob ein bestimmter Grabstein schon steht und als ich die Grablage gefunden hatte, sah ich, daß direkt daneben ein frisches Urnengrab ausgehoben war. Bevor ich mich unauffällig aus dem Staub machen konnte, was bei rd. 190 cm Körpergröße ohnehin schwierig ist, war der kleine Trauerzug bei mir angekommen. Zwei alte Leute und der Friedhofswärter. Die Totenglocke läutete ihr fades Gebimmel in die noch kühle Morgenluft und das alte Ehepaar sah vor lauter Tränen kaum den Weg.
Vor einigen Tagen hatte es die große Trauerfeier gegeben, alle waren gekommen, vorne hatte der Sarg gestanden. Nun ist der eingeäschert, übrig bleiben 2,8 Kilo Knochenmehl in einer gehämmerten Kupferdose und die beiden sind ganz allein mit dem etwas grobschlächtigen Kerl, die die Urne wohl am Liebsten mit dem Fuß ins Loch treten würde.

Ich kann nicht mehr abhauen, bleibe deshalb einfach stehen und der Friedhofsarbeiter erkennt mich und denkt, ich sei extra wegen dieser Beisetzung gekommen und auch noch dafür zuständig.
Er bleibt vor dem Loch stehen, verneigt sich einmal und läßt die Urne dann an den beiden Schnüren ins Loch herunter, dann verneigt er sich wieder und nickt mir zu.
Was habe ich denn damit zu tun? Ich stehe hier nur so!
Die beiden alten Herrschaften weinen und sind ganz hilflos. Ich gebe mir einen Ruck, trete einen Schritt vor, nehme die beiden bei den Händen und führe sie näher zum Grab, dann drücke ich der Dame die kleine Schaufel mit Sand in die Hand und stimme dabei das Vater-unser an, das kennt auch der Friedhofswärter, der mit einstimmt und auch die beiden Alten beten mit. Sie gibt mir die Schaufel zurück, ich tue wieder etwas Sand drauf und reiche sie dem Mann. Auch er wirft den Sand ins Loch und gibt mir die Schaufel zurück. Genau beim Amen haben auch ich und der Friedhofswärter die Schaufel benutzt und sie steckt wieder im Eimerchen.
Arm in Arm gehen die beiden Alten weg und ich hatte das Gefühl, daß es ihnen jetzt besser ging.
Drei Minuten hat mich das gekostet, ein auswendig gelerntes Gebet und sonst nichts. Und schon wird aus einem kühlen, fast schon herzlosen Akt, eine kleine Perle in der Kette der Erinnerungen.
So einfach kann das sein.

Aber obwohl es so einfach wäre, laufen die meisten Urnenbeisetzungen eben doch anders ab, manchmal steht da nur eine einsame Witwe ganz allein, weil man immer wieder sagt, das Wichtige sei die Trauerfeier und die Urnenbeisetzung später mache man im kleinsten Kreis.

Deshalb empfehle ich immer die Urnentrauerfeier: Sarg gleich ins Krematorium und dann eine Trauerfeier mit der Urne und alle gehen mit zum Grab und setzen die Urne bei, so als ob es ein Sarg wäre.
Man braucht nur einen günstigen Sarg, alle Leute sind da und man muß nicht zweimal auf den Friedhof.

Frau Berg hat das auch gefallen und sie ist überhaupt froh, daß alles so abgelaufen ist. Vor allem weil der Pfarrer Tacheles geredet hat, das hatte er vorher so mit ihr abgesprochen und nachdem bei der Trauerfeier die Bombe geplatzt war und jeder erfahren hatte, daß Martin sich selbst getötet hat, war das für die Trauergäste auch ein bißchen wie eine Erlösung. Dem ersten Schrecken und Schweigen folgte keine Neugier, sondern Erleichterung. In allen waren da eine Ungewissheit und Zweifel jetzt wußte man Bescheid.
Nur eine Frau hatte überhaupt bei der Leichenfeier das Thema angeschnitten, alle anderen sprachen diese Sache gar nicht an. Vielleicht würde das noch kommen, wenn mal ein paar Tage vorüber sind und der Abstand etwas größer geworden ist.

Es ist das erste Mal, daß ich mit Frau Berg in Ruhe sprechen kann und daß ich überhaupt mit Gudrun spreche.
Und von ihnen erfahre ich jetzt so einiges aus erster Hand und endlich kommt Licht in die ganze Sache.

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 18. Mai 2015 | Peter Wilhelm 18. Mai 2015

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21 Kommentare
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Chrissi
14 Jahre zuvor

na, da bin ich jtzt aber mal gespannt, was Frau Gudrun so zu erzählen hatte! Und hoffentlich bekommt die Witwe ihr Fett weg, ich hab das dumme Gefühl, die steckt böse mit drinne…und ich mag sie nicht sonderlich ^^

14 Jahre zuvor

Und wann kommt Teil IX ? Och menno, nix gegen Cliffhanger, aber warum müssen die einzelnen Teile immer so furchtbar kurz sein? 😉 Ein Vorschlag – wenn deine Weiber sich zum Stutengewitter zusammenschließen, schließ du dich doch einfach sicher in dein Büro ein und schreib den nächsten Teil… oder besser gleich den ganzen Rest. 🙂

Anni
14 Jahre zuvor

Tom, ich habe einfach das Bedürfnis Dir zu danken, daß Du den zwei älteren Leuten bei der Urnenbeisetzung beigestanden hast!
Danke!!!

Moonwish
14 Jahre zuvor

Hat jemand mal en paar Nadeln, die ich zusätzlich in meine Tom-Voodoo-Puppe stecken kann?

Mia
14 Jahre zuvor

Böse :/
Wobei ich das richtig toll finde, das die einzelnen Teile relativ dicht aufeinander folgen. Aber cliffhänger, buhu…

Anita
14 Jahre zuvor

Cliffhanger…
es ist zum Davonrennen.
Gut, dass ich heute arbeiten muss, dann kann ich meinen Frust an den Kollegen raus lassen 🙂

Anni
14 Jahre zuvor

Sagt mal, was habt Ihr eigentlich alle? Ich freue mich jeden Morgen, daß es bald wieder eine Fortsetzung geben wird. Wofür sollte man sonst auch morgens aufstehen???

Anditier
14 Jahre zuvor

@Claudia

Naja nicht jeder ist es gewohnt, riesen Textblöcke in sich aufzusaugen wir ein Kokser seine lang ersehnte ration 😉

Ich finde den Blog hier sehr schön. Die geschichten haben etwas mitreißendes und ein ganz großes Lob an dich, Tom. Deine Erzählkünste sind einmalig und ich finde, du gibst einen perfekten Erzähler ab. Sicher gibt es noch viele Blogschreiber mit ähnlichen Fähigkeiten. Ich bin jedoch auf deinen gestoßen und schaue fast Täglich rein, auch wenn ich nicht zu jedem meinen Senf abgebe. Meißt sind die stillen Fans die treuesten =)

Das Anditier

Anita
14 Jahre zuvor

@Anditier
Ich bin nur meinem Mann treu.
Alles andere waere ja auch noch schoener!

14 Jahre zuvor

Ich weiß gar nicht, ob ich das Ende der Geschichte überhaupt noch wissen will?
Dazu ist jedes einzelne Teil zu spannend geschrieben, als das es bald zu Ende sein soll.

Was die Urnenbeisetzung betrifft, zeigt es schön unsere Gesellschaft und ihre Lebenseinstellung.
Beim Feiern sind wir alle da.

Als vor vielen Jahren meine Oma starb, erfuhr ich erst einen Tag davor von dem Termin der Urnenbeisetzung und so latschte mein Vater alleine dem Töpfchen nach, weil ich so schnell nicht frei bekam.
Wenn ich jemand auf seinem letzten Weg begleiten möchte, dann endet der für mich nicht, bei der Trauerfeier.

@Tom: Danke für die wunderbare, informative Geschichte und spannende Erzählweise! 🙂

Bombur
14 Jahre zuvor

Wenn das hier eine Fernsehserie wäre, würde man sowas als Filler bezeichnen.

MiniMoppel
14 Jahre zuvor

@Anita
Alles andere wäre also noch schöner als deinem Mann treu zu sein? 😉

14 Jahre zuvor

Es werde Licht!

14 Jahre zuvor

Ja das kann auch anders aussehen. Die Urne meines Dads war schön im Urnenraum hingestellt. Danach wurde sie zum Grab getragen und bevor überhaupt alle beim Grab ankamen hat der Mensch vom Firedhof die Urne ohne ein Wort einfach runtergelassen.
Meiner Oma tat das so weh. Sie sagte später, es kam ihr vor als wenn man Abfall verbuddelt. Dass der nicht mal eine kurze Pause machen konnte und irgendwas sagte oder so. Mir wars nicht so wichtig aber meine Oma klappte in dem Moment zusammen.

Madner Kami
14 Jahre zuvor

Tom streckt den Stoff doch extra, für die ganzen Junkies hier…

14 Jahre zuvor

@Moonwish:
*Nadeln-reich*

Norbert
14 Jahre zuvor

„… und endlich kommt Licht in die ganze Sache.“

Ja ja …

Sabrina
14 Jahre zuvor

Du machst es aber sehr spannend!!!

Meinen Respekt zu der Aktion mit den beiden alten Herrschaften. Ich finde es wirklich toll, wenn man so selbstlos handelt und damit den Menschen ein bisschen Licht und Liebe gibt.

Dir wünsche ich auch ganz viel Licht und Liebe….danke das du so bist!!!!

LG Sabrina

fuzzy
14 Jahre zuvor

Tom, such den Schalter, schnell! Das Licht wartet!

Nina
14 Jahre zuvor

[quote=“Tom“]Deshalb empfehle ich immer die Urnentrauerfeier: Sarg gleich ins Krematorium und dann eine Trauerfeier mit der Urne und alle gehen mit zum Grab und setzen die Urne bei, so als ob es ein Sarg wäre.[/quote]

So habe ich es auch bei der Bestattung meiner Mutter handhaben lassen und wollte mich an der Stelle bei dir bedanken – ohne dein Blog hätte ich gar nicht gewusst dass so etwas möglich ist. Auch alle Verwandten waren überrascht, weil sie bis dahin eben nur die Variante mit Trauerfeier mit Sarg und dann Beisetzung im engsten Familienlreis kannten, aber es kamen durch die Bank positive Rückmeldungen. Generell konnte ich durch die Informationen die ich hier im Laufe der Zeit gesammelt habe mit ziemlich klaren Vorstellungen beim Bestatter vorsprechen, was den glaube ich auch ein wenig überrascht hat. Die Sachen mit dem Waldfriedhof hätte er mir von sich aus vermutlich gar nicht vorgeschlagen, da er selber noch nie eine organisiert hatte. Also nochmal danke und weiter so! 🙂

Grüße aus Wien

MacKaber
14 Jahre zuvor

Na dann bin ich mal auf diese Version der Wahrheit gespannt.




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