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In der Psychiatrie II

„Das ist ja Martin!“ entfuhr es mir, als ich dort auf der Trage meinen Freund liegen sah und mir wurde ziemlich schwummerig. Wenn ich mal geschockt bin, dann bekomme ich einen ganz trockenen Mund, mein Verdauungsapparat zieht sich zusammen und meine Hände werden feucht. Alles das zusammen passierte in diesem Moment und Manni kam sofort herbei, wollte mich stützen, aber das war nicht notwendig. Man ist natürlich erschüttert und unvorbereitet, aber da fällt man nicht vor Schreck um.

Martin, den hat meine Frau mit in die Ehe gebracht, sie kennt ihn schon fast ein Vierteljahrhundert und war mal mit ihm in einem Verein. Martin ist, genauer war eigentlich ein bißchen ein Waschlappen. Man verstehe das nicht falsch, und es hat schon seinen Grund warum der liebe Gott solche und solche Früchte hat wachsen lassen, aber so der Kerl von einem Mann, der auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen kann, das war Martin nun wirklich nicht. Lange hatte er bei seiner Mutter gewohnt, während sein etwas älterer Bruder schon längst verheiratet war. Dann eines Tages, kaum einer hier hatte noch daran geglaubt, stellte uns Martin eine Verlobte vor und wir waren alle von den Socken.
Susanne und er zogen kurz darauf zusammen und heirateten. „Na endlich ist Martin auch unter der Haube“, hieß es allenthalben und jeder gönnte ihm sein Glück, auch wenn ziemlich schnell klar wurde, daß Susanne eine kleine, süße Zecke war.

Man stelle sich Susanne folgendermaßen vor, nur etwa knapp Einssechzig groß, kaum 55 Kilo schwer, Haare auf dem Kopf als habe ein Vogel mitten im Nestbau Rauschmittel genommen und das ganze, nicht unhübsche Gesicht voller Sommersprossen. Wieselflink, hellwach und hochintelligent, schnell mit dem Mundwerk, fleissig und durchaus charmant, so präsentierte sich Susanne.
Früh verwitwet, alleinerziehende Mutter einer heute 15jährigen Tochter, war auch sie froh, nach der langen Pflege ihres krebskranken ersten Mannes nun endlich so einen gemütlichen Tanzbären wie unseren Martin gefunden zu haben.

Wer da in der Familie Berg die Hosen an hatte, na daß brauche ich wohl nicht zu schreiben.
Martin ging brav seiner Arbeit nach, Buchhalter beim Energieversorger und gönnte sich allenfalls das eine oder andere Bierchen, meist heimlich mit seinem Kumpel Alfred zusammen getrunken.
Ansonsten hörte man aus Martins Mund nur die Namen Susanne und Ronja, denn Susannes Tochter aus erster Ehe hatte Martin unverzüglich und aus tiefstem Herzen als ihren Papa angenommen.
Alles bestens!

Martin wäre alleine gar nicht in der Lage gewesen zu existieren, behaupte ich mal. Deshalb schrieb ich despektierlicherweise, daß er ein Waschlappen war. Der brauchte einfach jemanden, der ihm immer wieder in den Hintern trat und ihm auch sagte wo es lang geht und wer wann was zu machen hatte. Susanne hingegen wäre mit einem Macher wie mir nie klar gekommen, sie wiederum brauchte nämlich jemanden, der an ihren Lippen hängt, das tut was sie sagt und der einfach bereit ist, sich unterzuordnen.

Ich kenne keinen, der nicht der Meinung ist, daß Martin und Susanne das ideale Paar waren und daß sie beide sich gesucht und gefunden hatten.
Ich sag‘ ja, der liebe Gott hat solche und solche wachsen lassen und bei denen hat’s gepasst.

„Martin, trink Salbeitee!“ sagte Susanne, als ihr Mann einmal kurz trocken husten mußte und Martin stand auf, folgsam wie ein Dackel und machte sich Salbeitee, den er zwar mit Todesverachtung aber gehorsam seiner Frau folgend austrank.

„Martin, hol mal Wasser hoch!“ ‚bat‘ Susanne ihren Mann und drei Minuten vor dem Abpfiff des Endspiels der Fußballlweltmeisterschaft ließ Martin Fußball Fußball sein, stand auf, ging nach unten und schleppte eine Kiste Mineralwasser in den vierten Stock.

„Hey Martin, komm, setz dich her und trink was mit uns“, rief ich ihn eines Tages herbei, als wir in einem Café saßen und Martins Reaktion war, daß er in den Geldbeutel schaute und dann abwinkte. Susanne habe ihm, wie jeden Tag nur 5 Euro 80 in den Geldbeutel getan, genug für eine Schachtel Zigaretten und eine Limo in der Mittagspause. „Mehr braucht der nicht, der bekommt sein Essen ja in der Kantine.“
Wir haben Martin natürlich eingeladen.
Eine Woche später kam das ganze Dreiergespann ins Café, Martin, Susanne und Ronja. Dieses Mal hatte Martin den Geldbeutel voll und zahlte großzügig auch unsere Zeche mit.
Als Susanne ihn nicht hören konnte, vertraute er mir an: „Wenn wir gemeinsam fortgehen, tut mir Susanne immer mehr Geld rein, damit das nicht so blöd aussieht wenn sie alles bezahlt. Aber sonst macht die alles mit dem Geld, ich hab‘ überhaupt keinen Überblick, was mit meinem Einkommen so passiert, aber das ist auch gut so, Susanne sagt immer, ich könne sowieso nicht mit dem Geld umgehen.“

Ronja hatte Probleme in der Schule. Natürlich mußte einer von den Eltern zum Elternsprechtag und man darf raten wer das war: Natürlich Martin.
Einen ganzen Abend hat Susanne mit ihm geübt und in einer Art Rollenspiel alle möglichen Situationen des Eltern-Lehrer-Gesprächs durchgespielt, hingehen mußte aber der doch eher etwas unbeholfene Mann.

Nun gut, uns ging es nichts weiter an und wann immer man Martin sah, er hatte ein Lächeln auf den Lippen und war trotz allem der gemütliche und ruhende Pol in der ganzen Familie Berg. Susanne stand im Grunde immer unter Strom, rauchte wie ein Schlot, zappelte ständig auf ihrem mageren Hintern herum und mußte unentwegt an irgendetwas herumnesteln.

Nein, nein, man darf das nicht falsch verstehen, ich kann Susanne sehr gut leiden. Sie ist blitzgescheit und man kann sich prima mit ihr unterhalten, auch über Themen die viel weiter gehen als das was man für gewöhnlich in lockerer Runde am Stammtisch eines Kaffeehauses diskutiert.

Viele in unserem Ort würden sagen, daß die Familie Berg durchaus eine Musterfamilie ist, auch wenn einige wissen, daß Susanne -durch ganz unglückliche Umstände, die noch im Zeitraum ihrer ersten Ehe liegen- bis über beide Ohren verschuldet ist. Um es kurz zu erzählen, muß ich nur sagen, daß ihr erster Mann selbständig war, schlecht krankenversichert war und dann so schwer erkrankte, daß er -unter Hinterlassung eines unglaublichen Schuldenberges- das Zeitliche segnen mußte. „In diesem Leben trage ich das nicht mehr ab“, hatte Susanne mal gesagt und das war auch der Grund dafür, daß sie stets nur kleine und eher schlecht bezahlte Jobs annehmen konnte. „Die nehmen mir sowieso alles ab, was über den Freibetrag geht.“

Martin war das egal: „Och, ich verdiene doch ganz gut und wenn wir keine großen Sprünge machen und nicht nach den Sternen greifen, dann kommen wir ganz gut herum.“

Wie gut waren wir jetzt mit Susanne und Martin befreundet?
Tja, meine Frau würde jetzt sagen, daß man recht eng befreundet war, ich hingegen würde eher sagen, daß das sehr gute Bekannte sind.
Wiegesagt, mit Martin verband meine Frau eine Freundschaft, die bis weit in die Jugend reicht und ich kannte ihn ein paar Jahre.

Allerdings hege ich für diesen unbeholfenen Tanzbären eine ungeheure Sympathie, die ein bißchen auch daraus resultiert, daß ich immer auch ein wenig Mitleid mit ihm hatte, wenn Susanne ihn mal wieder in allem so kurz hielt.
Wenn es größere Probleme bei den Bergs gab, dann waren wir die Leute, bei denen die Bergs anriefen und alles erzählten.

Deshalb wundert es mich, daß ich gar nichts erfahren habe, daß ich nicht wußte, daß Martin in Bullerbeck war und…

…und dann riss mich Ehfmann, der Bestatter von der Psychiatrie in Bullerbeck, aus meinen Gedanken und sagte: „Die Freigabe habe ich Euch in die Mappe hier gelegt.“

„Was für eine Freigabe?“ fragte Manni und Ehfmann spuckt den Zahnstocher auf dem er herumgekaut hatte in die Ecke und meinte: „Na, der hat sich doch selbst ‚mullo‘ gemacht, issen Selbstmord.“


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 17. Mai 2015 | Peter Wilhelm 17. Mai 2015

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14 Jahre zuvor

Echt harter Tobak… das sind wohl die Schattenseiten dieses Berufes, dass man nie genau wissen kann, wen man als Nächstes auf dem Tisch hat..

auchnochda
14 Jahre zuvor

grrrrrrrrrrrrrrrrrrr Cliffhänger, ich hasse Cliffhänger….ich will die Geschichte weiterlesen! grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr

Reply to  auchnochda
7 Jahre zuvor

Volví , et je ne comprends rien à vos histoires d&qohuo;srtropédiste, Zerb aurait une jambe de bois, et A15 un chat avec une seule griffe et une souris …à moins qu’il ne s’ agisse du souris de Zerbi à son horto après qu’il lui eut régalé cette jolie formule.

Norbert
14 Jahre zuvor

Irgendwie scheint Herr Ehfmann Dein Entsetzen ja nicht richtig mitbekommen zu haben …

Marc
14 Jahre zuvor

was bitte sagt denn die Tätigkeit „sich mullo machen“ aus?

Und woher stammt das?
Das hör ich zum ersten Mal.

Christians Ex
14 Jahre zuvor

[quote]Irgendwie scheint Herr Ehfmann Dein Entsetzen ja nicht richtig mitbekommen zu haben …[/quote]
Naja, oder es war diese vorgeschobene „Abgebrühtheit“, mit der man gewisse Situationen überspielt…

Silke
14 Jahre zuvor

Ich habe mal etwas ähnlich erschreckendes im Nachtdienst erlebt – Anruf von der Intensiv, ich sollte helfen einen Verstorbenen in den Leichenkeller zu bringen (Ich war als Springer eingestellt, war also auch meine Aufgabe). Der Patient war auf der Straße zusammengebrochen und ist nach sehr kurzer Zeit verstorben.
Ich komme da hin, schaue auf die Unterlagen und da steht da der Name des Patenonkels meines Bruders. Guter Freund der Familie, Vater eines guten Freundes. Puuuh.
Schrecksekunde. Innehalten, tief einatmen – und vorsichtig das Laken heben und feststellen, dass es sich nur um eine Namensgleichheit bei relativ ähnlichem Alter handelt.
Den Moment werde ich wohl nie wieder vergessen, es ist schon mehr als 10 Jahre her, aber das Gefühl hat sich doch tief eingebrannt.

14 Jahre zuvor

Sehr traurige Geschichte. Schade, dass man heute alle möglichen körperlichen Leiden nennen darf, nicht aber wenn das wichtigste am Menschen erkrankt: die Seele. Dann hat man sich zu schämen. DAS ist verrückt. 🙁

Sensenmann
14 Jahre zuvor

[quote]“Aber sonst macht die alles mit dem Geld, ich hab‘ überhaupt keinen Überblick, was mit meinem Einkommen so passiert, aber das ist auch gut so, Susanne sagt immer, ich könne sowieso nicht mit dem Geld umgehen.“[/quote] So wie sich das liest, hat Susanne ihren Mann wohl mehr oder weniger schamlos ausgenutzt. Sie hat sich offenbar einen (sorry!) nützlichen Idioten geangelt, der das Geld ins Haus schafft und sonst den Mund hält. Ich wage zu befürchten, dass sie ihn nach der Einweisung in die Psychiatrie fallengelassen hat wie eine heiße Kartoffel… [quote]Ich kenne keinen, der nicht der Meinung ist, daß Martin und Susanne das ideale Paar waren und daß sie beide sich gesucht und gefunden hatten.[/quote] So ein Pärchen kenne ich aus meinen Bekanntenkreis auch. Er recht intelligent, sie… naja, nicht ganz so 😉 Ich kenne ebenfalls niemanden, der sagen würde, dass die zwei zusammenpassen. Nunja, jetzt sind sie seit zwei Jahren verheiratet und glückliche Eltern eines Sohnes. Man weiß halt nie, wo die Liebe so hinfällt und als Außenstehender kann man sich darüber auch kein… Weiterlesen »

babetin
14 Jahre zuvor

Trotz der Traurigkeit der Geschichte – ich habe mich bei der Formulierung „Haare auf dem Kopf als habe ein Vogel mitten im Nestbau Rauschmittel genommen“ regelrecht weggeschmissen vor Lachen!! Eine echte Tom-Redewendung – immer wieder danke für solche Momente!

Frank
14 Jahre zuvor

Die Zecke mit der Tochter namens Ronja… einfach herrlich!

Rena
14 Jahre zuvor

Jetzt fehlt nur noch dass Tom schreibt, es sein ein beträchtlicher Batzen Geld „angespart“ worden. Schade um den netten Kerl. Leider werden sehr oft Menschen, die nicht (hm, wie soll ich es sagen, möchte keinen beleidigen) sehr helle sind, von anderen scham- und gnadenlos ausgenutzt. Immer mit der Vorgabe „die andere Person meint es ja nur gut“.

Tobias
14 Jahre zuvor

@8/Sensenmann:
Tom kennt keinen, der nicht der Meinung ist, dass die beiden das ideale Paar waren.

Alle Leute, die Tom kennt, sind der Meinung, dass die beiden das ideale Paar waren.

Kraftausdruck
14 Jahre zuvor

[quote]als habe ein Vogel mitten im Nestbau Rauschmittel genommen[/quote]Das hat mich gleich an das [url=http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/281855]Spinnenexperiment[/url] erinnert.

Sensenmann
14 Jahre zuvor

@Tobias: Hoppla, stimmt ja :O Deutsche Sprache, schwere Sprache…

egal
14 Jahre zuvor

@4 Ich kenne nur ’nullo‘, also im Sinne von ’null‘, ’nichts‘.

Neuling
14 Jahre zuvor

Wofür steht eigentlich e ha eff?

Florian
14 Jahre zuvor

Also, entweder dieser „gute“ Herr Ehfmann ist tatsächlich so abgebrüht, dass er Tom’s Reaktion nicht bemerkt hat oder seine lapidare Aussage war Absicht. Dafür hätte er dann aber doch mal ganz gepflegt was zwischen die Zähne bekommen können *grummel*

Die Frisur gibt’s ja durchaus öfters … leider … Aber noch nie so passend beschrieben worden 😀

14 Jahre zuvor

Bitte bitte bitte BITTE, Tom, poste die Fortsetzung schon morgen, bevor ich für zwei Wochen das Land verlasse und somit auch vorerst aus dem Internet entfernt werde *g*

MacKaber
14 Jahre zuvor

Na, Susanne hat Euch doch den Auftrag erteilt. Also geht sie davon aus, dass Du inoffizell schon bescheid weißt. Sie kommt ja noch zur Besprechung vorbei. Dabei wird sie auch sicher um Hilfe bei den Modalitäten zur Begleichung der Kosten bitten.




Rechtliches


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