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Martin II

Am 25. November hatten wir Martin zu uns geholt und eigentlich wollte seine Witwe noch am selben Tag zu uns kommen, um beim Waschen, Anziehen und Einbetten behilflich zu sein. Daraus ist jedoch nichts geworden. Kurz vor der vereinbarten Uhrzeit rief Monika bei uns an und sagte den Termin ab. Sie hatte sich über eine wohl etwas unsensible Pfarrsekretärin aufgeregt, sodaß wir den Termin um einen Tag verschoben.

Hier ist es auf dem Vorortrathaus so üblich, daß die Damen vom Amt immer auch die jeweilige Pfarrei verständigen und so kam es, daß die Pfarrsekretärin bei Monika anrief und einen Termin für das Pfarrergespräch ausmachen wollte. Monika wünschte aber überhaupt keine kirchliche Bestattung und das konnte oder wollte die Pfarramtsmitarbeiterin nicht verstehen und unternahm wohl etwas plump den Versuch, Monika doch zu einer Beerdigung mit Beteiligung des Herrn Pfarrers zu überreden.
Ich kenne die etwas ältliche Dame dort und weiß, daß sie das weder böse meint, noch wirklich penetrant ist, aber Monika hatte das Ganze in den falschen Hals bekommen und sich fürchterlich aufgeregt.

Abends gehe ich oft nach unten in den technischen Bereich und kümmere mich um Verstorbene. Ich lege mir dann gute Musik auf und tue meine Arbeit. Friedlicher kann es nirgendwo sein. Diese Menschen tun niemandem mehr was und das was man ihnen tut, das ist der letzte Dienst, den man ihnen erweisen kann.

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Martin hatte ich vorher nicht gesehen und ich war doch ein wenig erschrocken, der Mann ist komplett abgemagert, nur noch Haut und Knochen, kein einziges Haar am ganzen Körper. Da gab es nicht viel zu tun für mich, das was zu tun ist, würde ich am nächsten Tag gemeinsam mit seiner Frau machen.

Am nächsten Tag kam Monika dann mit ihren beiden Kindern Nadeschda ist zehn und Miriam zwölf Jahre alt.
Anfangs waren die drei etwas verschüchtert, aber das legte sich nach einer Tasse alkoholfreiem Eierpunsch.
In einer Plastiktüte hatten die Mädchen Farben und Pinsel mitgebracht und brannte darauf, endlich den Sarg für ihren papa anmalen zu dürfen.
Sie hatten das Sterben des Vaters über Wochen und Monate miterlebt und sind insgesamt weniger erschrocken als wir Erwachsene es sind. „Wir müssen bald anfangen, die Farbe muß doch noch trocknen“, drängte Miriam und so gingen wir in eine der Aufbahrungszellen. Dort hatten meine Leute etwas Abdeckfolie, ein paar alte Zeitungen und einen natürlich leeren Kiefernsarg bereitgestellt. Mit großem Eifer und roten Wangen halfen die Mädchen beim Auslegen der Folie und machten sich dann sogleich ans Werk. Mit den Worten: „Hey, nicht gucken, erst wenn’s fertig ist!“ schickte uns Nadeschda hinaus.

„Okay, wir gehen dann mal. Ich fahre mit Eurer Mama jetzt nach unten. Wenn Ihr irgendwas braucht, dann nehmt Ihr einfach hier den Telefonhörer ab und wählt die Eins, okay?“

„Alles klar“, hieß es, aber man merkte, daß die Mädchen schon zu sehr in Gedanken mit dem Bemalen beschäftigt waren.

Mit Monika fuhr ich dann nach unten, wo Sandy schon auf uns wartete. Sie hatte Martin aus der Kühlung geholt und da lag er nun auf dem kalten Edelstahltisch, komplett mit einem weißen Tuch bedeckt. Monikas Schritte wurden langsamer als ihr bewußt wurde, daß da ihr Mann liegt und schließlich blieb sie stehen. Ich schaute sie fragend an, wollte mich gerade erkundigen, ob sie es denn schaffen würde, da ging ein Ruck durch sie und sie sagte: „Na, dann wollen wir mal.“

Zunächst hatte ich gedacht, daß Sandy und ich die wichtigsten Dinge erledigen würden und die junge Witwe hier und da helfen würde. Aber dazu gab es gar keine Gelegenheit. „Fangen wir mit dem Waschen an?“ fragte die Frau, ich nickte und Sandy zog das weiße Tuch weg. Kurz hielt Monika inne, dann lächelte sie etwas und meinte: „Sieht er nicht friedlich aus? Glauben Sie mir, das kommt nur, weil er daheim sterben durfte, weil wir alle in dieser Stunde bei ihm waren und uns verabschieden konnten. Er sieht doch aus als ob er schläft, oder?“
Sandy und ich nickten bloß und dann begann Monika beherzt, so wie sie es mit ihrem pflegebedürftigen Mann lange schon immer gemacht hatte, mit dem Waschen.
Ich schickte Sandy nach oben, besser war es, wenn jemand nach den Mädchen schaute und ich half Monika, doch viel blieb für mich nicht zu tun.

Beim Ankleiden mußte ich dann mehr mit zupacken, Martin bekam ein einfaches weißes Totenhemd an. Solche Hemden sind zwar schon so gemacht, daß man sie einem Leblosen leicht anziehen kann, jedoch muß man trotzdem wissen wie es geht, schließlich hilft der Verstorbene ja nicht mit.

Als der Mann angekleidet war, zog ich mich unter einem Vorwand zurück und ließ Monika mit ihrem Mann kurz allein.
Nach fünf Minuten kehrte ich zurück und fand sie, auf einem Karton neben der Liege sitzend und die Hände ihres Mannes streichelnd. Sie merkte gar nicht, daß ich wieder da war und sprach die ganze Zeit mit ihrem Mann. Ich gab ihr noch ein paar Minuten, später würde sie noch mehr Gelegenheit haben, Abschied zu nehmen.
Ich räusperte mich und als sie sich zu mir umdrehte, sah ich, daß sie lächelte und Tränen in den Augen hatte: „Nicht wahr, er ist jetzt schon in einer anderen Welt, oder?“

„Ich bin mir sicher, daß wir es hier nur mit seinem Körper zu tun haben“, sagte ich und Monika nickte heftig, schluckte und meinte: „Na, dann haben wir wohl das Notwendige für ihn getan.“ Sie klopfte sich mit der flachen Hand vor die Brust: „Hier drin, da muß man ihn haben und da wird er immer sein, immer.“

„Gehe wir mal zu den Mädchen?“

„Ja sicher.“

Die zehnjährige Nadeschda hatte ihre Seite des Sargdeckels mit riesengroßen Sonnenblumen bemalt. „Die hat Papa so gemocht und wir haben schon einmal eine so’ne große Blüte geklaut und draußen am Küchenfenster aufgehängt, da sind dann ganz viele Vögel gekommen und haben gefressen.“

„Und was macht dieser blaue Fisch da zwischen den Sonnenblumen?“ erkundige mich und zeige auf eine Mischung aus blauem Goldfisch und Delphin.

„Das bin doch ich!“ erklärt Nadeschda, so als ob das jeder wissen müsste und sagt dann: „Papa hat immer ‚mein blaues Fischlein‘ zu mir gesagt.“

Miriam steht etwas verlegen auf der anderen Seite des Sarges, hält einen Pinsel in der einen Hand, eine Gläschen Plaka-Farbe in der anderen und hat einen grünen Farbkleks auf der Nase.
„Was hast Du denn gemalt?“ frage ich sie und sie schüttelt den Kopf: „Nix.“

„Wie, nix?“ frage ich und gehe um den Sarg herum.

Tatsächlich, das Kind hat Recht, sie hat nichts gemalt, sie hat etwas geschrieben. In riesengroßen grünen Buchstaben steht da: „Papa ich habe dich lieb“

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#martin

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