Sterben + Trauer

Musik am Lebensende

Bild von Kari Shea auf Pixabay

Es ist Abend. Naja, für Pflegeheimverhältnisse eigentlich schon mitten in der Nacht. Die meisten Bewohner*innen sind in ihren Zimmern, es ist ruhig geworden im Haus. Das Licht ist gedämpft, die Atmosphäre angenehm. Ich sitze am Bett von Frau Rotenburg und weiß, sie wird wahrscheinlich heute noch gehen. Sie ist schon weit weg, kaum noch zu erreichen. Ich sitze bei ihr, lese ein wenig, streiche ihr manchmal über die Hand oder die Schulter. Teile ihr mit, dass ich da bin, dass sie nicht alleine ist. Zwischendurch wird sie unruhig, verzieht das Gesicht, als hätte sie Schmerzen oder einen schlechten Traum. Das sind die Momente, in denen ich anfange zu singen. Schon nach wenigen Tönen beruhigt sie sich ein wenig. Nach einem oder zwei Liedern ist sie meist wieder entspannt. Ich hänge noch ein drittes an, dann bin ich wieder ruhig. Lasse ihr ihren Frieden und bin einfach da. Als sie schließlich stirbt, ist das letzte „Die Gedanken sind frei“ gerade erst verklungen. Und es ist gut.

Der Gehörsinn geht als letztes

Im Sterbeprozess verändern sich die Sinne. Manchmal werden sie zunächst empfindlicher, die Sterbenden können dann zum Beispiel keine stark riechenden Parfüms oder lauten Geräusche mehr ertragen. Je näher das Sterben rückt, umso mehr schränken sich dann auch die Sinne ein. Das Essen wirkt geschmackloser, die Nerven in Fingern und Händen weniger sensibel, die Augen fallen immer häufiger zu. Das Hören, davon geht man aus, bleibt am längsten erhalten. Selbst in tiefer Bewusstlosigkeit kann es sein, dass die Sterbenden noch hören können. Ob sie die Informationen verarbeiten können, ist eine andere Frage. Aber beim Thema Musik geht es ja mehr um Emotion als um Information. Und die kommt oft noch an.

So kannst du Musik am Lebenende einsetzen

Musik trägt Gefühle. Sie kann die Stimmung heben oder melancholische Erinnerungen wecken. Sie kann beruhigen oder aufpeitschen und manchmal auch ganz furchtbar nerven. Es kommt deshalb beim Thema Musik sehr stark auf den persönlichen Geschmack der*des Sterbenden an. Ich muss wissen, was die Person früher schon gerne mochte und was nicht. Wenn ich jemanden längere Zeit begleitet habe, kenne ich einige Lieder, die er oder sie mag. Denn auch in der frühen Phase der Begleitung singe ich oft viel, wenn die Patient*innen darauf Lust haben. Bei sehr alten, vielleicht sogar dementen, Menschen kommt man meistens mit alten Volks- und Kinderliedern gut an. Ich staune immer wieder, wie textsicher manche noch sind, selbst wenn sie sich sonst an kaum etwas erinnern. Bei Jüngeren wird es komplizierter, da gibt es kein allgemein verfügbares Liedgut mehr, sondern ein viel größeres Spektrum an Geschmäckern, Gattungen und Varianten. Das wird in spätestens 20 Jahren auch bei den ganz Alten so sein. Aus dem Bauch heraus geht dann nur noch wenig. Ich persönlich fände es nicht so prickelnd, wenn mir am Sterbebett „Hoch auf dem gelben Wagen“ vorgesungen würde. Hier kommt es also umso mehr darauf an, den Geschmack der*des Sterbenden zu kennen. Meist bekommt man die Info aus den Biographie-Unterlagen im Pflegeheim, von Zugehörigen oder im Zweifel durch einen Blick ins Plattenregal. Oder – im Idealfall – kennt man ihn oder sie schon länger und weiß über den Musikgeschmack Bescheid.

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Natürlich muss Musik nicht vorgesungen werden. Sehr häufig wird es sich viel eher anbieten, eine CD aufzulegen oder Musik vom Smartphone abzuspielen. Gerade in Pflegeheimen kommt häufig Meditationsmusik zum Einsatz, um die sterbenden Patient*innen zu beruhigen. Aber auch dabei gehen die Geschmäcker natürlich sehr auseinander und manch einer kann mit Regenwald-SmoothPiano-Delfingesängen-Schamanentrommeln nur wenig anfangen.

Wichtig sind diese Punkte:

  • Musik am Lebensende sollte dem Geschmack der*des Sterbenden entsprechen.
  • Sie sollte laut genug sein, um wahrgenommen zu werden, aber nicht so laut, dass es unangenehm wird. Lieber ein bisschen leiser anfangen und die Reaktion beobachten!
  • Ganz wichtig sind Pausen. Auch wenn die Musik noch so schön und beruhigend ist: Stundenlang will sie kaum jemand hören. Schon gar nicht auf dem Sterbebett, wo viele Menschen ein großes Bedürfnis nach Ruhe haben.
  • Die Reaktion der*des Sterbenden ist das Entscheidende. Wirkt er*sie entspannter oder angespannter, wenn die Musik losgeht? Wie ist die Reaktion beim Ende der Musik? Manchmal sind es nur winzige Feinheiten, die man erkennen kann. Und manchmal muss man einfach dem eigenen Gefühl folgen.
  • Wie immer gilt auch hier: Es kommt nicht darauf an, dass es MIR gefällt, sondern dass die Musik die Bedürfnisse der*des Sterbenden erfüllt.

Wie ist das bei euch? Welche Lieder würdet ihr euch am Ende eures Lebens wünschen und mit welcher Musik sollte man euch unbedingt vom Leib bleiben?

Bildquellen:

  • guitar-1836655_640: Bild von Kari Shea auf Pixabay

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