Geschichten

Opa Gleisberg -II-

engel

Ich stehe wie angewurzelt da, die Aussage des Betrunkenen hat mich überrascht. Herr Böttcher informiert mich: „Das ist Herr Anton Gleisberg, Baujahr 1920, die Olschewskis haben ihn vor drei Jahren bei sich aufgenommen und gepflegt.“

Ich schaue mich in dem Schuppen um und frage Böttcher entsetzt: „Hier?“

engel

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Er hebt nur die Achseln und sagt: „Offenbar… Also, wenn wir kamen, haben die das Bett jedes Mal rüber ins Haus geschoben und da stand er dann mitten im hinteren Zimmer. Aber offenbar war das immer nur der Fall, wenn wir oder der Arzt kamen. Die übrige Zeit muß er hier gestanden haben. Gucken Sie mal!“
Er sagt das und leuchtet mit einer kleinem Taschenlampe am Schlüsselbund auf dem Fußboden herum. Überall liegen Kothaufen und zusammengeknüllte, benutzte Windeln.
Bett und Raum stinken nach Urin, daß man fast nicht atmen kann.
Auf der Werkbank stehen Schachteln mit Einmalurinflaschen, Windeln und Medikamenten.
Davor stehen mehrere Teller mit festgetrockneten und teilweise schimmelnden Speiseresten.

„Ich hab ja gewusst, daß der nicht optimal gepflegt wird, aber ich hatte doch keine Ahnung, daß die den hier hinten haben. Ich meine, immer noch besser man wird suboptimal zu Hause oder bei Bekannten gepflegt, als irgendwo anonym in ’nem Heim. Ich dachte, der hat hier wenigstens ein bißchen Herzlichkeit und Nähe. Also hiervon hatte ich wirklich keine Ahnung“, sagt Böttcher und schüttelt immer wieder den Kopf.

„Der hat doch so zum Stinken angefangen“, brabbelt der mit der Bierflasche, nimmt noch einen schäumenden Schluck, der ihm fast zur Nase wieder herauskommt und meint dann noch: „Kannste ja nicht aushalten, wie der stinkt. Und geplappert hat der, der hat die ganze Nacht erzählt, da haste ja keine Ruhe gehabt. Der war gerne hier hinten, da war der für sich, nee wirklich, der war gerne hier hinten. Da hatter ja sein eigenes Reich gehabt. Nehmt’er den jetzt endlich mit?“

Böttcher drückt mir die Sterbepapiere in die Hand, der Arzt hat natürliche Todesursache angekreuzt.
Ich gebe die Papiere Böttcher zurück, schüttele den Kopf und Böttcher weiß, was ich meine und nimmt sein Handy aus dem Lederhalter an seinem Gürtel. Als er die Nummer der Polizei tippt, grunzt der Besoffene nur: „Watt soll denn der Scheiß jetzt?“

Frau Olschewski kommt herbei gerannt: „Wie, Sie rufen die Bullen? Für watt denn? Der ist doch tot, der Doktor war doch da, watt gibtet da denn jetzt noch mitti Polizei? Na hörn’se ma! Sie rufen denen jetzt sofort an und sagen, datt datt falschen Alarm war, wir haben schließlich die Zettel vom Doktor, der ist natürlich gestorben.“

„Natürlich vielleicht schon, aber nicht so in Frieden, wie es hätte sein können“, sagt Böttcher, während er sein Handy wieder wegsteckt.

„Watt mischt Ihr Arschlöcher Euch da überhaupt ein?“ schimpft die kleine Frau mit den krausen Haaren und deutet mit zornzitternden Fingern auf das Haupthaus: „Los, verschwindet! Ihr habt jetzt hier Hausverbot! Raus mit Euch! Uns die Bullen ins Haus zu holen, Frechheit, Unverschämtheit, da reibt man sich jahrelang für so’n fremden Opa auf und ihr wollt einem noch Probleme machen. Raus hier, aber schnell!“

Ich schaue Böttcher an, er hebt resigniert die Schultern und zieht ein entnervtes Gesicht. Doch so leicht will ich nicht aufgeben. Ich ziehe mein Handy heraus und mache erst mal ein paar Fotos vom Verstorbenen, seinem Bett und dem Zimmer.

„Film her! Ihr seid verboten! Ich habe nicht erlaubt, daß ihr knipst“, kräht Frau Olschewski und will uns den Weg verstellen.

„Was wollen Sie denn jetzt? Das wir gehen oder das wir hier bleiben?“ frage ich und wir schieben uns einfach an ihr vorbei, gehen durch das Haupthaus und wenige Sekunden später stehen wir auf der Straße. Ich muß erst mal eine Zigarette rauchen und Manni ist neugierig: „Was ist denn los, Chef, warum hat das so lange gedauert? Können wir den Verstorbenen jetzt holen?“

Die Polizei kommt mit zwei Wagen mit jeweils zwei Leuten, viel für unsere Verhältnisse und einer der Wagen hat sogar sein Blaulicht an…
Das beantwortet Mannis Frage und er nickt: „Das scheint noch zu dauern, oder?“

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    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 25. März 2016

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    2 Kommentare
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    8 Jahre zuvor

    Der kommt mir bekannt vor. Repost?

    Olli
    8 Jahre zuvor

    Offensichtlich, siehe die vielen Kommentare aus 2011 im ersten Teil. Da dort schon was vom Fotohandy steht, scheinen damals Teil I und II einer gewesen zu sein.




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