Geschichten

Opa Gleisberg -V-

Es verging ein Tag, dann erschienen die Olschewskis bei uns im Bestattungshaus.

Sieben Personen und schon ihr Erscheinen glich dem Einfall der „Sandalen in Rom“, wie Antonia mit gerümpfter Nase anmerkte.
Nachdem meine Bürodamen die Gäste in einem der größeren Besprechungszimmer untergebracht hatten und die Leute dort bei Kaffee, Wasser und Keksen sehr laut über eine Schicksalssendung aus dem Privatfernsehen zu diskutieren begonnen hatten, kam ich dazu, setzte mich oben vor Kopf des langen Tisches und ließ meine Unterlagen etwas lauter als gewöhnlich auf den Tisch platschen, was mir unverzüglich Ruhe im Raum und die Aufmerksamkeit der Anwesenden einbrachte.

Werbung

Am meisten wunderte mich, daß heute ganz andere Olschewskis gekommen waren, als ich in der Nacht, als wir Opa Gleisberg abgeholt hatten, dort kennengelernt hatte.
Ja, das sei ja wohl mal klar, er habe zu dieser Zeit gearbeitet, verkündet ein dicklippiger Glatzkopf mit einer extrem dicken und vollkommen ungeputzten Brille auf der Nase. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Jogginghose und beides ist so verfleckt, daß ich insgeheim bete, diese Flecken mögen alle von Suppe oder Büchsenmilch stammen…
Er sei „der Horst, sagen’se ruhich Hotte für mich“ und „die da drüben ist die Lotte, für können’se Lotte sagen“. Er meint, damit einen klasse Witz gemacht zu haben und nicht nur er, sondern alle anderen Anwesenden lachen meckernd und er entblößt dabei drei stummelige Zähne, zwei unten und einen oben.

Die angesprochene Lotte bemüht den Rest der noch vorhandenen Intelligenz und fügt hinzu: „Mit Liese, ne, also Lieselotte, nich‘ Lotteliese, also vorne die Liese und hinten die Lotte, nicht wahr Hotte?“

„Mensch, datt reimt sich!“ freut sich der Angesprochene und wiederholt grinsend: „Vorne die Liese und hinten die Lotte, ne Hotte?“

Alle lachen, nur ich nicht, mehr als ein gequältes Grinsen bekomme ich nicht hin und komme mir vor wie in einer Szene aus einem Roman von Victor Hugo, wie in der Pariser Unterwelt bei den Bettlern und Beutelschneidern…

Außer Hotte und Lotte Olschewski sind noch deren Kinder und Schwiegerkinder erschienen und ich habe nicht einmal ansatzweise den Versuch gemacht, die ganzen Schackelines und Schantalles und Mircos und Marcos, oder wie die alle hießen, zu sortieren.
Nee, die von neulich abends, das seien Bruder und Schwägerin gewesen, die auch da wohnen.
Die Pflege vom Opa habe man sich geteilt.

„Damit wären wir ja beim Thema“, sage ich und klappe die Sterbefallakte auf.
Schlagartig wird alles ruhig. Wenn einer, der lesen und schreiben kann und dann auch noch „nach der Schrift schwätzt“, eine Akte aufmacht, wird es meistens gefährlich, also hält man besser mal die Klappe und hört zu. Mir ist es recht.

Eigentlich müsste ich jetzt persönliche Daten des Verstorbenen abfragen, ich muß aber zuerst einmal klären, was die Olschewskis eigentlich von mir wollen. Wie hängt das alles zusammen und wieso haben die einen wildfremden Mann gepflegt.

„Datt war ja nich der erste Oppa!“ beantwortet die kleine, dürre Lotte mit den fettigen Haaren meine Frage. „Wir haben immer Oppas und Ommas da. Wir tun die pflegen, wir kümmern uns um die, wir tun die helfen.“

„Ja, wir helfen“, nickt Horst Olschewski und macht ein langes Gesicht. „Und gedankt wird einem datt nämlich auch nich! Wissen’se, wo sollen die denn hin, die Alten? Hä? Sagen’se ma‘! Der alte Oppa Gleisberg zum Beispiel, der konnte doch alleine gar nich‘ mehr. Der wär in ein Heim gekommen, mit noch son’em Oppa zusammen auf ein Zimmer, dann hätte da auch keiner mehr nach den geguckt. Wissen’wer doch allet, kennen’wer doch allet, die tun so sauber und so fürsorglich und dann sitzen die Alten da auch den ganzen Tach inne Scheiße. Ach, hören’se mir doch auf! Und uns wollen’se jetzt anne Karre fahren, weil da ein paar Windeln rumlagen? Ich könnte ja kotzen, so’n Scheißdreck!“

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)