Geschichten

Opa Gleisberg -XIV-

opa

Opa Gleisberg wird am nächsten Morgen dann doch von den Männern des kommunalen Bestatterdienstes abgeholt. Sie laden den Leichnam auf eine ihrer Tragen um und bringen ihn zum Rechtsmedizinischen Institut. Insgeheim hadere ich mit mir, weil ich wieder einmal mehr Emotionen in einen Sterbefall einbringe, als es vielleicht angebracht wäre.

Aber in all den vielen Jahren ist eben viel passiert, man stumpft gewiß bei bestimmten Vorkommnissen ab, aber wenn dann ein Fall sich gänzlich von den Routinefällen unterscheidet und wenn dann auch noch die Polizei ins Haus kommt, dann ist man eben mit Herz und Kopf mehr dabei.

Vielleicht liegt es an meiner Körpergröße und Leibesfülle und meiner Stimme, daß die Menschen auch immer schnell Vertrauen zu mir finden und mir viel erzählen. Ich werde halt nicht gleich hektisch und strahle vermutlich die Ruhe aus, die ihnen das Gefühl gibt, einen guten Zuhörer vor sich zu haben.

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Anders ist es ja nicht zu erklären, daß beispielsweise der Pflegedienstleiter Herr Böttcher mir seine Versäumnisse bei der Arbeit eingestanden hat. Ich habe aber nicht vor, ihn zu verraten. Ich bin überhaupt kein Mensch, der andere bei der Polizei oder Behörden verpfeift. Gut, wenn ich Zeuge eines schweren Verbrechens würde, dann würde ich nicht wegschauen. Aber die Menschen haben doch für gewöhnlich so oder so genug Probleme, da möchte ich nicht zu denjenigen gehören, die ihnen noch mehr Probleme bereiten.

Ich muß einen kleinen Zeitsprung von einer Woche machen.
Das Folgende habe ich nämlich nur zum Teil selbst erlebt und kenne einige Details nur aus Sandys Erzählungen.
Wie nicht anders zu erwarten hat Sandy in diesen Tagen mehrmals Kontakt zu Fräulein Hitz von der Ortspolizeibehörde gehabt. Natürlich ist sie deshalb meine beste Informationsquelle.

Direkt nach dem Besuch bei uns waren die beiden Kriminalbeamten noch zum Haus der Olschewskis gefahren.
Denn bei Nennung des Namens Olschewski war die junge Beamtin ja hellhörig geworden und schien die Familie zu kennen. Und so war es auch. Ich erfuhr, daß die ganze Familie immer wieder wegen aller möglichen kleinen Delikte mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren. Denen schien man alles zuzutrauen.

Die Hauptverantwortlichen, also Lotte und Hotte Olschewski, der Bruder und seine Frau, sowie auch Herr Böttcher und Schwester Dagmar waren wegen dieser Sache mehrmals auf dem Polizeipräsidium.

Und dann?

Nix!

Im Großen und Ganzen heißt es, der alte Mann sei nicht optimal gepflegt worden, größere Versäumnisse könnte man aber den Olschewskis nicht nachweisen, schließlich liege Schwester Dagmars lückenloses Pflegeprotokoll vor. Daß es da zu zeitlichen Ungereimtheiten gekommen war, interessiert niemanden.
Außerdem habe Schwester Dagmar zu Protokoll gegeben, Herr Gleisberg habe seine Lage durch Renitenz und altersbedingte Denkausfälle weitestgehend selbst herbeigeführt.

Mit anderen Worten: Die ganze Sache verläuft im Sand.

Und Opa Gleisberg?

Wir haben Mühe, den Leichnam zu bekommen.

Denn eigentlich hat die Pietät Eichenlaub einen Vertrag mit der Rechtsmedizin und nur dieses Unternehmen darf die Verstorbenen dorthin bringen und von dort auch wieder abholen.
Da der Pietät Eichenlaub aber schon die erste Überführung durch die Lappen gegangen war, weil Fräulein Hitz die Überführung durch den kommunalen Bestatter angeordnet hatte, wollen sie jetzt die Leiche nicht hergeben.
Am liebsten würden sie den Verstorbenen schnell in einen Sarg packen, ins Krematorium fahren und dann dem städtischen Friedhof die Urne zur Beisetzung übergeben.

Aber da ist ja noch Herr Böttcher, der sein schlechtes Gewissen dadurch beruhigen will, indem er Herrn Gleisberg wenigstens die Bestattung bezahlt.

Es hat Sandy nicht viel gekostet, Fräulein Hitz von dieser Idee zu begeistern.

Und so kommt es, daß wir Opa Gleisberg dann doch wieder bei uns haben.

Das Aufschneiden und die Kühlung in der Rechtsmedizin haben dem Verstorbenen nicht gut getan. Aber das ist nicht schlimm, er soll ja nicht mehr aufgebahrt werden.
Trotzdem verbringen Manni und Sandy eine gute Stunde mit dem alten Herrn im Präparationsraum und lassen ihm zum allerletzten Mal auf dieser Welt eine Pflege zukommen, wie er sie lange hat entbehren müssen.

Einen Tag später ist Opa Gleisberg schon in der Urne. Das geht in solchen Fällen schnell, denn eine zweite ärztliche Untersuchung ist bei Obduzierten nicht notwendig.

Ich weiß es nicht – ich weiß es wirklich nicht, was ich von der Sache halten soll.

Für mich war am Anfang alles so klar. Ich habe die schmierigen Olschewskis als habgierige Menschen eingeschätzt, die nur auf die Rente und das Pflegegeld der von ihnen betreuten alten Leute aus waren. Und vermutlich war das auch so.
Und es ist auch sicher, daß man alte Menschen besser pflegen kann, als sie es getan haben. Was jedoch letztlich wirklich dazu geführt hat, daß der alte Mann in so menschenunwürdigen Verhältnissen „gehalten“ wurde, das weiß ich nicht. Vielleicht hat er wirklich seine Pflegepersonen übel beschimpft und mit Kot beworfen, so wie Schwester Dagmar es erzählte.

Ach was, ich glaube doch, daß die Olschewskis den Alten haben einfach verrecken lassen. Jawoll.

Aber was soll man machen, wenn sich die Polizei nicht großartig kümmert?

Am Ende der Geschichte sitzen Manni und ich im Keller auf einem Ballen Sargeinstreu und fühlen uns einfach nur hilflos.
Als Bestatter hast Du es immer mit dem Ende zu tun, mit dem Ende der Menschenleben und mit dem Ende ihrer Schicksale und Geschichten.
An dem, was vorher war, da kannste nix ändern.

-Ende-

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