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Rosa 2

orgel

Ich muß noch die Geschichte des älteren Herrn und seinem schwulen Sohn zu Ende erzählen.
Dann klärt sich auch, warum die Geschichte „Rosa“ heißt. Herr Kettner, so heißt der Vater und Robert, sein Sohn, sind für mich der Beweis, daß die Wandlungen in der Gesellschaft, auch wenn sie langsam vorangehen und für viele immer noch unbefriedigend sind, doch sehr positiv sind.

Ich erinnere mich noch an die Zeiten, in denen sich Homosexuelle verstecken mußten, ihre sexuelle Orientierung geheim halten mußten und eventuell sogar gravierende berufliche oder soziale Nachteile zu befürchten hatten, wenn herauskam, daß sie einen gleichgeschlechtlichen Partner haben.

Da hat sich sicherlich in den letzten Jahren einiges erheblich verbessert, auch wenn noch ein weiter Weg zu gehen ist.

Bei Vater und Sohn Kettner ist es so, daß die Frau und Mutter vor acht Jahren bereits gestorben ist. Wir haben sie sogar beerdigt, weshalb Herr Kettner jetzt auch zu uns kam, ich habe mich jedoch an sein Gesicht nicht mehr erinnert.

Seit dem Tod der Mutter lebten die beiden zusammen in einer großen Altbauwohnung und ich habe noch nie einen älteren Menschen erlebt, der so entspannt und völlig ohne merkwürdige Hintergedanken über die Homosexualität seines Sohnes spricht, wie Herr Kettner.

Ich meine, es ist ja sowieso schon so eine Sache, daß man Homosexualität immer wieder thematisiert; es interessiert sich ja auch kein Mensch dafür, was „die-sich-normal-Findenden“ so alles im Bett treiben. Ist man erst einmal zu der Überzeugung gelangt, daß Behüpfungen nicht nur der Fortpflanzung dienen, sondern dem Menschen in erster Linie Freude bereiten, dann spielt es auch keine Rolle mehr, wer sich wie, mit wem behüpft.

Natürlich werden in diesem Zusammenhang immer wieder die Tunten angeführt und ich höre schon, wie manche sagen, daß sie ja gegen Homosexuelle gar nichts haben, nur eben mit dem tuntigen Getue einiger weniger kämen sie nicht zurecht. Ich weiß aber auch aus meinem Bekanntenkreis und sowieso, daß die allermeisten Schwulen überhaupt nicht tuntig sind. Tunten sind ein Auswuchs, eine Ausprägung, eine Erscheinungsform, man nenne es wie man wolle, die genau so typisch ist, wie Obermachos, die sich an den Sack fassend, grinsend jedem Rock hinterherpfeifen und sich einbilden, nur sie seien richtige Männer.

Ich persönlich mag nicht schwul sein, aber mir ist das bei anderen genau so egal, wie bei der Frage ob sie lieber Kaffee oder Tee mögen.

So egal ist das auch Herrn Kettner und das ist es, was mich an diesem Mann fasziniert. Ich habe schon viele Angehörige von Homosexuellen erlebt, die meisten tun allerdings so, als habe der Homosexuelle irgendeine seltsame Krankheit oder Behinderung, über die man am Besten nur mit gesenkter Stimme spricht und von der möglichst niemand etwas erfahren sollte.

„Rosa“ heiß die Geschichte, weil einer der ersten Sätze, die Herr Kettner zu mir sagte, lautete: „Und wir machen auf keinen Fall irgendetwas in Rosa, das haben Robert und Jens gehasst. Manche in der Verwandtschaft stellen sich jetzt vor, daß lauter Schwule in Damenkleidern auf der Beerdigung um den Sarg tanzen, so ein Quatsch.“

Jens ist der Freund von Robert und wird erst heute Nachmittag aus Berlin kommen, wo er arbeitet. Herr Kettner hat lange mit ihm telefoniert, die beiden haben sich abgestimmt und von Jens kam nur der Wunsch, am Wochenende seinen verstorbenen Freund hier bei uns, nicht auf dem Friedhof, besuchen zu können.
Alles andere hat Herr Kettner ausgesucht, einen schönen Eichensarg, eine Sarggarnitur in dunkelgrün und die Trauerfeier soll ganz kurz und knapp ausfallen. Einen Geistlichen will Herr Kettner nicht, man habe sich zu sehr von der Kirche entfernt und freie Trauerredner findet er schrecklich („Die plappern doch immer das Selbe und setzen bloß immer einen anderen Namen ein.“).

Der Sarg soll in der Trauerhalle des Friedhofs stehen, alle Trauergäste dürfen an den Sarg treten, jeder kann was durchs Mikrophon sagen und dazu soll Musik von „Dune“ laufen. „Eine gute Viertelstunde, mehr nicht, dann gehen wir zum Grab, geht das?“

Klar, warum nicht?
Wir brauchen keinen Organisten, keinen Pfarrer, keinen Redner, viel Blumenschmuck will Herr Kettner auch nicht: „Das Geld investieren wir lieber in den Grabstein, die Plörren schmeißen wir doch nur auf den Kompost, der Stein bleibt.“

Was für ein Grab er denn haben will, frage ich ihn und er zeigt sich ob meiner Frage sehr erstaunt. Natürlich wolle er ein Familiengrab. Die Urne seiner Frau soll möglichst ausgegraben werden und gemeinsam mit seinem Sohn in ein Grab und da müsse aber dann noch Platz für ihn selbst und Jens sein.

So alt ist Herr Kettner noch nicht, ich schätze ihn auf Mitte bis Ende Sechzig, er hat also noch ein paar Jahre. Jens dürfte nicht viel älter als Robert sein, mutmaße ich, also könnte er um die Vierzig sein. Man könnte das Wagnis eingehen, ein zweistelliges Grab zu nehmen, das kommt günstiger als ein Vierpersonengrab.

„Geht das denn? Da ist dann doch gar nicht genug Platz für uns vier“, gibt Herr Kettner zu bedenken.

„Sie haben im Prinzip Recht, aber die Begrenzung auf zwei Personen gilt nur in Hinblick auf die gleichzeitige Nutzung bei laufender Mindestruhezeit. Das bedeutet, daß wir jetzt Ihren Sohn beisetzen können. Die Urne Ihrer Frau ist sowieso kein Problem, da auf diesem Friedhof sogar zwei Urnen ohne, daß sie zählen, mitbestattet werden können.“

„Gut, dann zählt meine Frau zwar nicht, aber mit Robert wäre das Grab dann halbvoll, was ist wenn nun noch einer von uns stirbt?“

„Ich hoffe mal, daß wenigstens einer von Ihnen noch länger als 15 Jahre leben wird und bis dahin ist die Mindestruhezeit von Robert abgelaufen, er bleibt dann natürlich an Ort und Stelle, aber das Grab kann ab dann wieder mit zwei Personen belegt werden.“

„Dann können ja theoretisch viel mehr Personen in ein Zweiergrab.“

„So lange die Nutzungsgebühren bezahlt und das Grab immer wieder verlängert wird, kann jede der beiden Stellen alle 15 Jahre neu belegt werden.“

„Dann machen wir das so, ich habe schon vor, noch länger als 15 Jahre zu leben“, sagt Herr Kettner und ich weise ihn darauf hin, daß er im Falle eines Falles auch immer noch eingeäschert werden könne, denn noch eine Urne wäre sowieso möglich.“

„Ja also dann ist das doch sowieso kein Problem“, meint er und freut sich, daß er durch den Ankauf des zweistelligen Grabes einen viersteligen Eurobetrag spart.
„Da kann ich dann für den Grabstein noch etwas mehr ausgeben!“

Moment! Ich muß überlegen und telefonieren, beinahe hätte ich einen Fehler gemacht und will erst auf Nummer Sicher gehen.
Auf den Vierpersonenwahlgräbern hat man auf diesem Friedhof ziemliche Freiheiten, was den Stein angeht. Die etwas kleineren Zweipersonengräber allerdings liegen meines Wissens in einem Feld, wo ziemlich einheitliche Grabsteine vorgeschrieben sind und wenn Herr Kettner einen besonderen Stein will, könnte sich das gegenseitig ausschließen.

Doch der Friedhofsverwalter kann mich beruhigen, es gibt im neuen Teil des Friedhofes ein Sonderfeld, in dem zweistellige und vierstellige Gräber nebeneinander liegen, da herrscht ziemliche Freiheit bei den Steinen. Ich bin wirklich beruhigt und erzähle das Herrn Kettner, bitte ihn, am Nachmittag auf den Friedhof zu gehen und sich beim Verwalter die genaue Stelle selbst auszusuchen.

Ein angenehmer Mensch.

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Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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Polly
16 Jahre zuvor

„Behüpfen“ Ich schmeiß mich weg!
Danke, du hast mir nach dem Chemietestat heute den Tag gerettet!!

Aber über Sohn oder Freund vom Sohn habe ich mich auch gewundert.

Buchstabensalat
16 Jahre zuvor

Hm, so glatt ist das aber noch immer nicht, Undertaker, erklärender Satz hin oder her. In „Rosa“ erklärst du, der Herr Kettner käme mit seinem Sohn zu dir, weil der (verstorbene) Freund keine Familie mehr habe.
In „Rosa 2“ heißt der SOHN auf einmal Robert. Robert ist verstorben und Jens (=der Freund?) kommt aus Berlin zur Beerdigung.

Also wer ist nun tot? Der Kettnersohn, wie immer er heiße, oder der Sohnesfreund?

Salat

Christian
16 Jahre zuvor

Das ist mir jetzt zu kompliziert, wer ist denn jetzt gestorben? Der Sohn, oder der Freund vom Sohn?
Im Eintrag „Rosa“ hieß es:“Es geht um den Freund von meinem Sohn, der hatte keine Familie mehr.“
Jetzt aber ist auf einmal Robert, also der Sohn tot.
Ja wie denn nun?

16 Jahre zuvor

Joah,
aber auf den Grabstein bin ich gespannt ^^

16 Jahre zuvor

Sehr schön zu lesende Geschichte, vor allem wie offen der Vater mit der Homosexualität seines Sohnes umgeht. Allerdings, sollte der Tote jetzt sein Sohn und nicht der Freund des Sohnes sein, dann finde ich, kam er (der Vater) ein bisschen „unbeteilgt“/kühl rüber, als ginge es hier um einen Geschäftsabschluss und nicht um die Beerdigung eines geliebten Menschen…

Grüße,
Moni

Numanoid
16 Jahre zuvor

Das ist eine gute Frage. Ist mir eben auch gerade aufgefallen.

Numanoid
16 Jahre zuvor

Das bezog sich auf den ersten Beitrag^^

Matthias
16 Jahre zuvor

Jup, die gleiche Frage wie Christian habe ich mir auch gestellt.

Vielleicht solltest du die Namen und Geschichten nicht so übermäßig verfremden, sonst kommst du nur durcheinander.

undertaker
16 Jahre zuvor

Ja, ich hatte einen erläuternden Satz vergessen, den ich jetzt eingefügt habe. Ich dachte, ich hätt‘ das gestern schon geschrieben. Sorry.

Olli
16 Jahre zuvor

Der Ausdruck Behüpfungen induzierte hier Beömmelungen der stärkeren Art.

Igel
16 Jahre zuvor

Der Sohn ist gestorben aber „Herr Kettner hat erst mal schauen wollen, wie wir mit dem Thema umgehen und deshalb von einem Freund von seinem Sohn gesprochen.“ So schwer zu verstehen ist das ja nicht. Das er so unbeteiligt wirkt, liegt eventuell daran, das das Ende absehbar war?

Hein
16 Jahre zuvor

Hab ichs nur überlesen, oder steht nirgendwo, woran denn der Sohn nun verstorben ist?

Ma Rode
16 Jahre zuvor

he, das ist ja mal ne runde sache. es ist schön, dass der alte herr (ok, mitte 60 ist nicht wirklich alt) es so entspannt sieht, trotzdem sein sohn bestattet werden muss. eine geschichte, ich gern gelesen habe.

gut gemacht!

rueschen
16 Jahre zuvor

Egal ob jetz Freund des Sohnes oder umgekehrt oder wie auch immer *grins*, dem Vater wünsch ich ein schönes langes Leben. Hoffentlich gibt es noch mehr Menschen wie ihn.

Edith
16 Jahre zuvor

Also ich erkläre mir das so: Herr Kettner sagte „ich komme mit meinem Sohn zu Ihnen, wir haben einen Todesfall“.
Mit dem Todesfall meinte er seinen Sohn Robert, was er aber erst einmal verschleierte, um das Schwulenproblem zu klären.

Edith
16 Jahre zuvor

@ Igel
Ich verstehe es so wie du. „Ich komme mit meinem Sohn zu Ihnen. Wir haben einen Todesfall.“
Der Todesfall ist also sein Sohn Robert.

Ins
16 Jahre zuvor

„Natürlich wolle er ein Familiengrab. Die Urne seiner Frau soll möglichst ausgegraben werden und gemeinsam mit seinem Sohn in ein Grab und da müsse aber dann noch Platz für ihn selbst und Jens sein.“

Da geht einem doch das Herz auf.. Aw!

Igel
16 Jahre zuvor

Das ist doch wirklich einfach zu verstehen:

„Herr Kettner, so heißt der Vater und Robert, sein Sohn,…“
„Jens ist der Freund von Robert…“

Das “Ich muß jetzt noch schnell was erledigen, dann komme ich mit meinem Sohn zu Ihnen, wir haben einen Todesfall” aus Rosa 1 meint nicht, das er seinen toten Sohn vorbei bringt, sondern das er mit dem Sohn zusammen die Formalitäten für den toten Freund klären möchte. Tatsächlich aber ist der Sohn gestorben und “Herr Kettner hat erst mal schauen wollen, wie wir mit dem Thema umgehen und deshalb von einem Freund von seinem Sohn gesprochen.” Der wahre Sachverhalt ist also: Sohn Robert tot; Vater Kettner regelt die Formalitäten, weil der Freund seines Sohnes Jens in Berlin wohnt und beruflich bedingt erst später kommen kann.

Matthias
16 Jahre zuvor

@Alle, die jetzt alles wunderbar verstehen und die anderen für dumm halten:

Wenn den ersten Lesern dieses Beitrags wichtige Informationen vorenthalten und erst nachträglich eingefügt werden, passiert sowas nun mal.

16 Jahre zuvor
Woodman
16 Jahre zuvor

Hallo da draussen,

„Behuepfungen“ 🙂 den Brueller hab ich noch
gebraucht for dem Wochenende.

BTW: Schoenes Wochenende und wech …

Gruss Woody

Anon
16 Jahre zuvor

Dune?

*sing*
Let’s go hand in hand
into lovely land,
side by side,
follow me into the light.
*/sing*
— Dune – Hand in Hand, 1996

Eins meiner Lieblinglieder und es passt sogar. 🙂
(Mag auch daran liegen, dass ich da gerade 13 war und mich bei dem Video „etwas“ in die Sängerin verschossen habe:
http://www.youtube.com/watch?v=FYHMIHawXvM

… Hui! Da ist das Herzklopfen wieder. *rotwerd* Hilfe, ich habe einen akuten Anfall von Verliebtheit in einem Bestatterblog!)

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Nüchtern betrachtet eine Bestattung wie jede andere auch. Hätte niemand was gesagt, würde niemand bemerkt haben, dass er schwul ist (oder war?) Woran soll man das einem Verstorbenen ansehen? Doch nicht etwa an einem Schild auf der Brust? Also wozu der Aufwand?
(Schulterzucken)

Torky
16 Jahre zuvor

Wenn es um eine Beerdingung geht würde ich ja fast eher darauf tippen dass die Filmmusik zu „Dune“ gemeint ist. Zumindest kann ich mir das deutlich besser vorstellen als die Band „Dune“ (*schauder*).

@McKaber:
Eventuell wollte der Vater sich auch nur sicher gehen, dass das Unternehmen keinen Unterschied amchen *würde*. Ich kann mir zumindest vorstellen dass man seinen Sohn/Frau/was auch immer, nicht unbedingt da bestatten lassen möchte wo er zu Lebzeiten seiner Selbst wegen gehasst worden wäre (oder so in der Art).




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