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Zur See

Wahrscheinlich können wir ihn schon heute Nachmittag aus der Rechtsmedizin wieder abholen. Im Moment ist sowieso viel los, Karneval ist vorbei und da wird vor Ostern traditionell noch so ein bißchen weggestorben. Der Kühlraum ist voll, die meisten werden heute abgefeiert. Montage und Dienstage sind beliebte Beerdigungstage. Freitage sind noch besser, aber die Freitage sind merkwürdigerweise immer schon für das kommunale Bestattungsinstitut der Samtgemeinde vergeben, auch wenn die mal gar nicht genügend Sterbefälle haben, um den Freitag vollzubekommen.

Der Mann aus der Rechtsmedizin wird allerdings einen Freitagstermin bekommen, allerdings bei uns im Haus und so wie es aussieht, wird außer uns nur noch der Pfarrer kommen. Das Erstaunliche daran ist, daß er Familie hat, eine Frau, einen Sohn, eine Schwiegertochter und sogar einen Enkel.

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Und trotzdem ist er einfach verhungert und verdurstet.

Ich nenne ihn nicht beim Namen, erfinde nicht mal einen für ihn, es hat ihn hier sowieso keiner gekannt. Vor drei oder vier Jahren ist er endgültig an Land gegangen, hat keine neue Heuer mehr bekommen und lebte seitdem mehr schlecht als recht von der römisch durchnumerierten Sozialunterstützung.

Vorausgegangen war, daß er vor über 20 Jahren einfach nicht mehr nach Hause gekommen war. Ich weiß nicht, was dazu geführt hatte, kenne die Umstände nicht; der Sohn, mit dem ich gestern telefonierte, blieb sehr einsilbig. Er hatte schon behördlicherseits Bescheid bekommen, kommt auch nicht die über 300 Kilometer hierher, weiß aber, daß er letztlich alles bezahlen muß. „Anonyme Feuerbestattung“, lautete gestern seine Anweisung und er versprach, mir die Personenstandsurkunden rüber zu faxen.

Was stecken da oft für Schicksale dahinter? Da wird ein alter Mann ausgemergelt, abgemagert und ausgetrocknet tot an seinem Küchentisch gefunden, vor ihm das halbfertige Rätsel aus ‚Einkauf aktuell‘ und keiner trauert um ihn.

Mehr, als daß er mitten aus einem guten Beruf, einem anscheinend intakten Familienleben und einer vermeintlich heilen Welt einfach weggegangen ist, um sein Glück in der Seefahrt zu suchen, weiß man nicht. Er hat nie etwas für seine Familie gezahlt, das hatte mir der Sohn noch gesagt, geschieden wurde er auch nie, er ist einfach nur weggegangen.

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(©si)