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Zuviel des Guten

Eingesandt von einer Leserin des Bestatterweblogs:

Mein Vater war 45 Jahre alt, als er starb. Ich war 19. Sein Tod kam für ihn sicherlich ebenso unerwartet wie für mich und alle anderen. Er war nie krank gewesen, hatte immer auf seine Gesundheit geachtet. Keine Laster. Beim Ausdauerlauf tot umgefallen und das war’s.
Ich bin Einzelkind. Meine Eltern sind schon lange geschieden und mein Vater hat nie wieder geheiratet. Seine Eltern sind beide bereits verstorben. Eine Bestattungsverfügung gab es nicht. Kurzum: alle Entscheidungsgewalt, was die Bestattung betraf, lag hochoffiziell bei mir.
Mein Vater hatte seine letzten Lebensjahre allerdings nicht allein verbracht. Er hatte eine langjährige Lebensgefährtin, die nach seinem plötzlichen Tod ebenso erschüttert und am Boden zerstört war wie ich. Natürlich wollte auch sie Anteil an seiner Beisetzung haben und da ich kein Unmensch sein wollte, gestand ich ihr diesen Anteil zu. Ich nahm sie mit zu allen Gesprächen mit dem Bestatter. Ich ließ sie den Sarg und die Grabstätte aussuchen und auch ihre Wünsche hinsichtlich der Beisetzung wurden umgesetzt. Ich wusste, dass es meinem Vater verhältnismäßig egal gewesen wäre, was nach seinem Tod mit seiner Leiche passiert und ich ging davon aus, dass er gewollt hätte, dass man seiner Lebensgefährtin die Trauer so leicht wie möglich macht. Eigene Wünsche hatte ich nicht, weil ich ihn lieber in meiner Erinnerung behalten wollte, als ihm einen persönlichen Gemüsegarten mit Stein anzulegen. Also ließ ich sie gewähren.
Um nachzuvollziehen was dann passierte, muss man sich meinen Vater vor Augen führen. Er war einer dieser Menschen, die es einen Dreck interessiert, was andere von ihnen denken. Er hatte nie Interesse daran irgendetwas darzustellen. Nach außen getragene Geltungssucht war ihm völlig fremd. Man könnte sagen: er fühlte sich mit seinen alten Klamotten im Wald am wohlsten. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen irgendetwas nur für „die Leute“ zu machen und nie hätte er gewollt, dass man mehr Geld als nötig für sein Grab ausgibt. Alle anderen Familienmitglieder, die vor ihm verstorben waren, hatte man in einer einfachen Urne auf der stillen Wiese bestattet, weil meine Familie es quasi traditionell nicht einsah viel Geld für etwas auszugeben, was dem Verstobenen selbst überhaupt nichts nützt.

Es kam, was kommen musste. Die Beerdigung wurde ein Riesenevent mit imposantem Blumenschmuck. Er bekam das größte und teuerste Erdgrab, das der Friedhof zu bieten hatte. Ich zahlte alles von meinem Erbe und dachte bereits zu diesem Zeitpunkt, dass mein Vater im Grabe rotieren würde, wenn er wüsste, wie viel Aufhebens man um seine Beerdigung gemacht hatte. Jetzt darf man mich nicht falsch verstehen. Ich habe meinen Vater geliebt und ich hatte kein Problem damit sein Geld auch für ihn auszugeben aber ich wusste, dass das alles absolut nicht in seinem Sinne gewesen war. Ich hatte es nur seiner Lebensgefährtin zuliebe abgenickt.
Als er dann endlich unter der Erde war, passierte erst einmal eine ganze Weile nichts, bis es schließlich an der Zeit war, einen Steinmetz mit der Herstellung eines Grabsteines zu beauftragen. Auch hier durfte seine Lebensgefährtin dabei sein. Sie hatte schon sehr genaue Vorstellungen, wie der Stein aussehen sollte: Blanker Marmor in Herzform mit einem literarischen Zitat plus Name meiner Vaters und Lebensdaten. Nur nochmal zur Erinnerung, falls es noch nicht deutlich genug war: Er war ein hemdsärmeliger Typ, den das Ansehen bei anderen so sehr kümmerte, wie der sprichwörtliche Sack Reis. Er mochte Motorräder, Wandertouren und Marathonläufe. Polierte Marmorherzen waren seinem Geschmack und seinem Wesen ungefähr so nahe wie die NPD dem Friedensnobelpreis.
Das war der Punkt, an dem ich genug hatte. Ich hatte bis dahin alles nach ihren Wünschen geregelt und klaglos dafür bezahlt. Ich hatte meinem Vater eine riesige Grabstätte zukommen lassen, die er nie im Leben gewollt hätte aber diese polierte Marmorscheuslichkeit, die dem Ganzen jetzt noch die Krone aufsetzen sollte, ging zu weit. Ich lehnte ihren Entwurf durchweg ab und bestellte einen einfachen naturbelassenen Stein, der aussieht wie ein eigenes kleines Gebirge, in dem mein Vater bestimmt gern wandern gegangen wäre. Ich beauftragte einen Gärtner, das Grab so urwüchsig wie möglich mit Grünpflanzen und Holzstücken zu dekorieren und kein Blumenbeet daraus zu machen.
Die Lebensgefährtin hat seither den Kontakt zu mir abgebrochen und ist zwei Jahre später ebenfalls verstorben. Mein Vater hat immernoch ein Grab über das er selbst unerschöpflich schimpfen würde aber zumindest sieht es jetzt ein bisschen nach ihm aus. Und die Moral von der Geschicht? Das muss jeder selbst entscheiden aber ich denke, dass das Teuerste und Beste trotzdem nicht immer die beste Entscheidung ist. Ein Mensch, der zu Lebzeiten bescheiden gewesen ist und keinen Wert auf Selbstdarstellung gelegt hat, sollte nicht wie ein König begraben werden. Das ist kein Zeichen von Wertschätzung, sondern nur Angeberei der Angehörigen.


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Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 4. November 2014

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Uli-mit-Hut
9 Jahre zuvor

GENAU !!! so sehe ich das auch …

schenkt mir lieber Blumen und ladet mich zum Essen ein, behaltet mich in guter Erinnerung … ansonsten … tut es ein Baum auch … so sehe ich das !!!

9 Jahre zuvor

Für mich läuft das aber auch unter „selbst schuld“:

Schon als Kind lernte ich „Wer zahlt, bestimmt, was gespielt wird“ – wenn also jemand eine Person mit groß Tamtam beerdigen will, soll er das zahlen. Wenn er das nicht kann, muss er mit dem leben, was andere entscheiden …

berit
Reply to  riepichiep
9 Jahre zuvor

Ich glaube nicht das man in Zeiten der Trauer so rational denkt, sondern, wie es in diesem Fall möglich war, auch Probleme einfach mal mit Geld erledigt nur um seine Ruhe zu haben.

Ich kann der Tochter hier keinen Vorwurf machen. Mit ihren 19 Jahren hat sie das super geregelt.

Rumpel
9 Jahre zuvor

Ich finde, das Mädel hat das mit ihren 19 Jahren super gemacht. Da gibts nichts dran zu mäkeln. Und auch ich sehe es so, dass die ganzen „imposanten“ Gräber hauptsächlich für „die Leute“ gemacht sind, es fängt mit der Traueranzeige in der Zeitung an und hört mit dem regelmäßig pompös in Szene gesetzten Grabschmuck auf. Die Liebe und Erinnerung an den Verstorbenen wird für viele Menschen immer noch in Geld gemessen. Furchtbar das, weil es auch viele Menschen in Zugzwang setzt, gerade auf dem Land.

Winnie
Reply to  Rumpel
9 Jahre zuvor

Zitat:

Ich finde, das Mädel hat das mit ihren 19 Jahren super gemacht.

Genau das finde ich auch. Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass sie es noch nicht so ganz verarbeitet hat und sich ärgert, der damaligen Lebensgefährtin des Vaters nachgegeben zu haben.
Deshalb an die Schreiberin:
Mach Dir keine unnötigen Gedanken mehr darüber, was Dein Vater lieber gehabt hätte. Egal wie lange das alles her ist. Du hast alles richtig und besonnen gereglt. Keiner hätte das, insbesondere in dem Alter, besser machen können. Und dass Du das Grab in eine Art Berg- bzw. Wanderlandschaft verwandelt hast, würde Deinem Vater super gefallen. Zugleich hast Du auch noch alle mit/durch Trauer (oder eben mehr Schein als Sein) bedingten Wünsche seiner Lebensgefährtin erfüllt.
Darum noch einmal, Du hast es alles Bestens gereglt, ich ziehe meinen imaginären Hut vor Dir. Schließe ab und „erfreue“ Dich an dem schönen Grab, wenn man das so sagen kann, und stell Dir vor, Dein Vater könnte das sehen und wäre glücklich.

melancholia
Reply to  Winnie
9 Jahre zuvor

„Daumen hoch“ @ Winnie für diesen einfühlsamen Kommentar!

Roland_09
9 Jahre zuvor

Wieso Mädel?

Rumpel
Reply to  Roland_09
9 Jahre zuvor

siehe ganz oben

Eingesandt von einer Leserin des Bestatterweblogs:

Bernd
Reply to  Roland_09
9 Jahre zuvor

Eingesandt von einer Leserin.

Christina
Reply to  Roland_09
9 Jahre zuvor

Weil ganz oben steht „Leserin“ 🙂

Karin
9 Jahre zuvor

Volle Zustimmung auch von mir!
Meine Kinder kennen meine Einstellung zu dem ganzen Brimborium.
Schon als Kind wollte ich, dass meine Asche in ein Rosenbeet verstreut wird.
Das hatte ich in einem Buch gelesen.
Ich sage immer, man soll zu den Lebenden gut sein, tot hat niemand mehr was davon.
Und die Leute interessieren mich überhaupt nicht.
Aber mit 19 Jahren ist das schon schwierig, da hätte ich auch nicht so weit gedacht.

Andrea0966
9 Jahre zuvor

An die Einsenderin: Ich denke, Du hast das alles richtig gemacht. Ich möchte nur noch einen Aspekt zu bedenken geben: Alles, was nach dem Tod passiert – Trauerfeier, Wahl der Grabstätte etc. – ist gar nicht so sehr für den Verstorbenen, sondern für die Hinterbliebenen. Und die Lebensgefährtin Deines Vaters brauchte vielleicht diesen großen Abschied. Toll, dass Du ihr das möglich gemacht hast.
Aber genau so toll, dass Du dann irgendwann gesagt hast: Jetzt reicht’s! Und dann auch noch Deine Wünsche, zumindest so gut wie möglich, umgesetzt hast.
Alles Liebe für Dich!

Manfred aus Downunder
9 Jahre zuvor

Was mich an dem Bericht verwundert ist, daß der „hemdsärmelige“ Vater selbst mit dieser auf „Pronzes“ ausgerichteten Lebensgefährtin zurecht gekommen ist. Neureich und bescheiden, das passt eigentlich nicht als Paar zusammen.

Matze65
9 Jahre zuvor

Ach, es gibt ja auch die berühmten Gegensätze, die sich anziehen… Es wird schon auch ein paar Gemeinsamkeiten gegeben haben.

Der Einsenderin muss und möchte ich auch meinen Respekt bekunden – das war keine einfache Situation, die IMHO sehr gut gelöst wurde.




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