Geschichten

Birgitt -II-

Man könnte ja meinen, das sei eine sehr einfache Geschichte und zwar in zweierlei Hinsicht.
Zum einen ist es ja leicht, sich als Unternehmer und Kaufmann aus dem Ganzen einfach herauszuhalten. Herr Görgens ist ein Kunde und was der bestellt, das liefere und leiste ich und alles was drumherum passiert, das geht mich nichts an; könnte ich sagen.

Aber ich war noch nie ein hartgesottener Kaufmann, der seinen Gewinn als einziges Maß im Sinn hatte, und ich habe mich schon immer nicht nur um den Kunden in seiner Funktion als Auftraggeber und Zahler gekümmert, sondern auch um den Menschen. Ich bin keiner, der die Menschen als Masse so unwahrscheinlich lieb hat, daß er ständig mit Menschen zu tun haben will und nur dann Glück empfindet, wenn er von möglichst vielen homo sapiens umgeben ist. Nein, der einzelne Mensch an sich, das separierte Schicksal, das interessiert mich, das weckt in mir Empathie und Sympathie und bringt mich dazu, mich zu kümmern.

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Schon deshalb bemühe ich mich, weit über das Maß der kaufmännischen Erfordernisse hinaus, daß es meinen Kunden gut geht. Ich sehe es immer so, daß sich diese Menschen in einer für sie ganz schwierigen Situation an mich wenden und sich mir anvertrauen. Es liegt nun in meiner Hand, ob sie sich wohlfühlen, ob wir ihnen eine Hilfe und Stütze sind, oder ob wir einfach nur alles fehlerfrei abwickeln.

Zum anderen könnte man sich ganz leicht auf die Seite von Herrn Görgens stellen oder die Position seiner Frau einnehmen. Beide haben wahrscheinlich ein bißchen Recht und man würde dem jeweils anderen sicherlich Unrecht tun, würde man nun nur einen von beiden verstehen wollen.

Nein, ich konnte Frau Görgens nicht einfach davonrennen lassen. Frauen fressen sowas nicht in sich hinein, Frauen bewegen solchen Kummer und Ärger im Kopf und mit den Lippen, sie potenzieren es und schneller als es „Mann“ lieb ist, steckt „Mann“ in einer ausweglosen Situation.

Ich klopfte Herrn Görgens kurz auf die Schulter und eilte seiner Frau hinterher. Die stand in der Halle bei der über Winter etwas kümmerlich gewordenen Yucca-Palme und schniefte in ein Taschentuch. Als sie mich bemerkte, wischte sie noch einmal über ihre Nase und sagte: „Nicht, daß Sie denken, ich würde jetzt weinen, DER weine ich keine Träne hinterher, ich bin nur so aufgeregt.“

Ich spürte, daß das was nun kommen würde, länger dauern würde und zog Frau Görgens einfach am Ellenbogen mit mir in die Trauerhalle unseres Hauses und drückte sie dort leicht auf einen Stuhl ziemlich hinten. Übers Telefon wies ich Frau Büser an, Herrn Görgens zu beschäftigen und ihm etwas zu servieren, der würde mir nicht weglaufen, da war ich mir sicher.

Dann setzte ich mich neben Frau Görgens und wir schwiegen in der halbdunklen Halle die Buntglasfenster an.
Wieviel Zeit vergangen war, weiß ich nicht mehr, mir kam es ziemlich lange vor bis Frau Görgens endlich zu sprechen begann.

Und schon nach den ersten Sätzen war mir klar, daß das keine einfache Sache werden würde. Da sind zwei Seelen, um die man sich kümmern muß.

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