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Geschichten

Das Schwein

orgel

Es ist mal wieder so ein Tag, von dem man es sich wünschen würde, er wäre im Kalender einfach übersprungen worden. Meine Frau ist grummelig und motzig, findet mal wieder alles Mist und ich bin natürlich Schuld an allem, am Vietnamkrieg, an der Ermordung John F. Kennedys und selbstverständlich auch an dem was immer ihr jetzt auch über die Leber gelaust sein mag.
Da fällt das Kaffeetrinken eben nur sehr kurz aus und ich flüchte mich viel früher als sonst ins Büro.
Alle Lichter einschalten, Kaffee für alle vorbereiten, die ganzen Rechner hochfahren und die Kopierer und Drucker bereit machen; ich hätte auch die Klos geputzt, Hauptsache dem nörgelnden Weibe geflohen…
Ach ja, die Zeitung noch reinholen und draußen kotzt mich wabbernder Nebel an, man kann fast nicht bis zur anderen Straßenseite sehen.
Und obwohl es noch so früh und bis auf die lächerlichen Funzeln, die man heute so als Straßenlaterne verwendet, stockfinster ist, sehe ich auf der anderen Straßenseite Leute stehen.
Als ich zu ihnen rübersehe, setzen sie sich in Bewegung und kommen auf mich zu. Ich grüße, sie grüßen zurück und fragen: „Haben Sie jetzt auf?“

Ein Bestatter hat immer „auf“. Auch wenn niemand im Büro ist, es ist immer jemand erreichbar, davon lebt der Bestatter ja schließlich. Früher war das ein richtiges Problem, weil man niemals weg konnte, einer musste immer am Telefon bleiben und es konnte sich der Bestatter glücklich schätzen, der eine alte Oma hatte, die das Telefon hütete.
Mit der Einführung der verschiedenen Piepser, Rufumleitungen und zuletzt der Handys ist das alles sehr viel besser und einfacher geworden.
Da kann ich in der finnisch-rätoromanischen Sauna liegen und kein Anrufer bekommt etwas davon mit.

„Aber ja, wir haben geöffnet“, sage ich und trete vor der geöffneten Tür etwas beiseite, damit die Leute eintreten können.
Es ist ein Paar, ein Mann und eine Frau, er vielleicht so Mitte Dreißig, sie so Ende Zwanzig. Gut angezogen sind sie und sie riechen auch gut.
Ich deute auf die Couch in der Eingangshalle und sage: „Setzen Sie sich doch bitte, ich bin gleich bei Ihnen. Möchten Sie Kaffee oder so was?“

Ja, sie möchten Kaffee, einmal schwarz und einmal mit Milch und Zucker.

Die Zeitung werfe ich in meinem Zimmer auf den Schreibtisch und gehe in das Beratungszimmer mit den englischen Möbeln. Schönes dunkles Holz, grünes Leder, dicke Teppiche und eine Kaminimitation, ein großer dunkler Tisch mit krummen Beinen und die passenden Sessel und Stühle dazu. Von der Wand schauen zwei Ahnen in Öl streng herab und ich frage mich seit Jahren, wessen Ahnen es wohl sein mögen, ich habe die Bilder mal auf einer Auktion günstig ersteigert, weil sie mir gut ins englische Zimmer zu passen schienen und das tun sie auch.

Schnell habe ich ein Tablett mit Kaffee, Tassen, Milch, Zucker und Gebäck gerichtet und hole die beiden Leute in der Halle ab.
Dann sitzen wir uns im Kaminzimmer gegenüber und ich schaue sie erwartungsvoll an.

„Melanie ist tot“, sagt die Frau und ihr Mann legt ihr seine Hand auf ihre Hand, drückt sie etwas und dann spricht er: „Unsere Tochter, vierzehn Jahre alt.“

Ich sagte ja bereits, es war ein Tag, der im Kalender besser übersprungen worden wäre.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 30. Mai 2012 | Peter Wilhelm 30. Mai 2012

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9 Kommentare
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Kirstin
12 Jahre zuvor

OMG 🙁
Da dachte ich im ersten Augenblick doch „Mensch der Tom schreibt mal was lustiges wieder..“
Weit gefehlt..

Svenja-and-the-City
12 Jahre zuvor

Wenigstens wissen wir jetzt, dass deine Frau keine Leserin deines Blogs ist…

12 Jahre zuvor

Auf der einen Seite: Juhu, endlich wieder Geschichten!

Auf der anderen Seite: Tote Kinder am Nikolaustag, das Leben ist grausam…….

Knut
12 Jahre zuvor

Sie ist Ende 20, er Anfang 30 und sie haben eine Tochter, die 14 geworden ist, sie ist also mit 14/15 Mutter geworden – früh übt sich!

Glück Auf
12 Jahre zuvor

Ui ich wurde erhört.
Nein, nicht wegen Melanie 🙁 wegen Geeeeeeeeeeschichten ;-);-);-)

Winnie
12 Jahre zuvor

Eine Geschichte von der man den Fortgang nicht wirklich wissen will. 🙁

Winnie
12 Jahre zuvor

@ 4 Knut

Ja ja, immer nur die Popperei im Kopf, die jungen Leute, aber Mutters 27sten Geburtstag vergessen. 🙂

mm.
12 Jahre zuvor

@ 4 Knut
Von Tom geschätzt so Ende Zwanzig. Vielleicht also doch etwas älter. Wenns ne Fortsetzung gibt, erfahren wirs vielleicht…

Avarion
12 Jahre zuvor

@2 (Svenja): Naja, da sie hier schon krankmeldungen gepostet hat weiss sie zumindest wie sie es findet 🙂




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