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Geschichten

Der Blonde mit dem irren Blick -23-

Es wurde 18 Uhr und somit Zeit für das gemeinsame Abendessen. Aus der Küche drangen verführerische Düfte in den Gastraum und allmählich hatten sich alle Gäste an ihren Plätzen eingefunden.
Ein erstes Anzeichen, daß irgendetwas nicht stimmte, war die Tatsache, daß wir nun alle saßen, aber kein Essen aufgefahren wurde.
Zwei Ehepaare, die nicht zu unserer Runde gehörten, aber als gute Stammgäste von Johnny in die ansonsten zur „geschlossenen Gesellschaft“ erklärten Schwarzen Mühle eingelassen, saßen etwas abseits an einem Tisch.

Es verwunderte mich schon, daß diesen Leuten, obwohl sie erst gekommen waren, nachdem wir bereits alle saßen, zuerst ihr Essen serviert wurde.
Nun gut, wir hatten alle genug zu erzählen und so verging die halbe Stunde bis zur Suppe wie im Fluge…
Allerdings: Diese Suppe war vom Feinsten! Herrlich!

Aus der anfänglichen Langsamkeit wurde auf einmal eine kulinarische Raserei. Kaum hatte man den ersten Löffel der Suppe gegessen, wurde einem auch schon der Teller unter der Nase weggezogen und das ukrainische Löffelweib und ihre Henkersmägde stellten uns einen Salat hin.
Schön klein gerupft, so wie ich es mag, mit gerösteten Pinienkernen, schön bunt gemischt, lecker!

Ich hatte mich gerade durch die oberste Schicht der von mir weniger geliebten grünen Salatvariation gekämpft und war zu Karotte und Böhnchen vorgestoßen, schwupps, da war der Salat auch schon wieder weg und es wurde der Hauptgang serviert. Irgendwie schien jemand die Uhr in der Küche mit einer zu schwachen Batterie bestückt zu haben, jedenfalls schien da die Zeit anders zu ticken, als bei uns.

„Ich hätt‘ gern noch ein bißchen Soße“, wagte eine junge Frau zu fragen und erntete einen Blick von der Servicemagd, der längst erloschene Vulkane zum Glühen gebracht hätte.

Radang, da war auch schon der Nachtisch da, Getränke wurden gar nicht mehr gebracht.
Durch die Luke zur Küche sah ich einmal kurz Johnnys hochrotes Gesicht und erschrak, weil er so böse schaute.

Da muß man doch was machen, da muß man doch mal mit dem Mann reden, irgendwas lief da schief!

Also legte ich meine Serviette auf die Seite und ging in die Küche.
Dort lehnte Johnny mit fast schon glasigen Augen an einem Tisch und schnaufte. Immer wieder griff er sich an die Brust, sodaß ich schon fast einen Herzanfall befürchtete.
„Was’n los?“ fragte ich ihn.

Er guckte mich mit seinen großen Barbara-Schöneberger-Augen an und in diesem Blick lag so viel Wehmut und soviel Weltschmerz. Johnny sagte: „Diese Schmarotzer, diese elenden Schmarotzer, die haben mir den ganzen Tag verdorben, am liebsten hätte ich alles hingeworfen, so habe ich mich geärgert. Nur dir zu Liebe hat es doch was zu Essen gegeben!“

„Na ja, im Prinzip hast Du ja alles hingeworfen, das Essen zumindest. Lecker war’s ja, super lecker sogar, nur hätte ich gerne auch eine Kleinigkeit davon gegessen, aber deine hauseigene Kalmückentruppe hat uns das Essen ja nach dem ersten Bissen immer gleich wieder weggenommen.“

„Es ist alles eine einzige Katastrophe!“ jammerte Johnny und wischte sich die Schweißperlen mit einem grau-blau karierten Handtuch ab.

„Was ist denn so schlimm?“ wollte ich wissen.

„Diese Schleimer, diese Speichellecker, diese Schmarotzer…“

„Okay, okay, wer sind diese schleimigen, speichelleckenden Schmarotzer und was haben sie dir getan?“

„Lizzy und Heiner!“

„Ich hätte es mir denken können.“

„Die beiden haben das gesamte Honorar im Voraus verlangt, sonst treten sie nicht auf. Aber schau mal, wie viele Leute da sind. Das sind zu wenige, um genug zu verdienen.“

„Das hätte ich dir aber heute Nachmittag schon sagen können, als du vorgeschlagen hast, wir sollten ins Heilig-Geist-Stüberl gehen. Da passen nie und nimmer so viele Leute rein, wie du benötigst um auf deine Kosten zu kommen. Ich dachte, du hast das abgehakt und nimmst die Veranstaltung als Werbung für dein Haus.“

„Aber 1.200 Euro!“

„Was? 1.200 Euro?“ Ich war perplex. Das war die Summe, die mal vor Wochen besprochen worden war, als es noch hieß, Lizzy und Heiner würden mit einer Band anreisen und das ganze Programm spielen.
Aber davon waren wir längst abgekommen und hatten uns auf eine kleinere Lösung verständigt. Und kleiner bedeutete ja auch günstiger. Nur hatte ich es versäumt, mich in die Preisverhandlungen mit dem Wirt einzubringen. Da hatte Heiner mal mit ihm telefoniert, nachdem es mal wieder eine Absage vom Wirt gegeben hatte und danach war erstmal wieder alles in Butter gewesen.

Na ja, ich hatte vermutet, die hätten sich auf 300 oder 400 Euro plus Zimmer und Essen in der Schwarzen Mühle geeinigt; und dabei wären Lizzy und Heiner ja auch noch gut gefahren!

Heiner und Lizzy, wo waren die eigentlich?

„Is‘ noch Suppe da?“ fragte hinter mir auf einmal der Schweizer Schildkrötenforscher, der von dem ganzen Theater nichts mitbekommen hatte und, weil er sich etwas abseits hingesetzt hatte, um während des Essens sein MacBook nicht aus den Augen lassen zu müssen, auch als Einziger sein Essen nicht weggenommen bekommen hatte.

„Wann fangt ihr an?“ wollte Johnny wissen und ich hob nur die Schultern und schüttelte langsam den Kopf: „Keine Ahnung.“

„Na, fertig?“ tönte es auf einmal vom Gang her und siehe da, da standen Lizzy und Heiner, strahlend und freudig, aufgekratzt und so richtig in Stimmung, jetzt ein tolles Programm hinzulegen.

Wurde aber auch Zeit!

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 5. März 2014

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8 Kommentare
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chena
10 Jahre zuvor

Was ich nicht verstehe ist, wie das Turbo-Essen da reinpasst. Das Geld fürs Essen ist so oder so futsch, egal ob die Gäste schnell oder langsam essen (und ich gehe jetzt mal davon aus, der Wirt hat nicht vor, das nochmal später zu servieren…)

simop
10 Jahre zuvor

Vielleicht haut der Wirt das so raus, weil er stocksauer ist? Und er sich so Luft macht?

10 Jahre zuvor

Nun sehe ich manches klarer…

ingo
Reply to  ulf_der_freak
10 Jahre zuvor

Schau an, das war also damals des Pudels Kern – hätte ich nicht erwartet …

simop
Reply to  ingo
10 Jahre zuvor

Pudel? wo? wurde der auch serviert? 😉

Johnny Keller
Reply to  ingo
10 Jahre zuvor

Nicht vergessen, das ist alles nur erfunden und literarisch verwurstet 🙂

ingo
Reply to  Johnny Keller
10 Jahre zuvor

Stimmt, sicher war das kein Wodka sondern Obstler, und das Wischtuch war rot-kariert, Johnny? 😉

simop
Reply to  ingo
10 Jahre zuvor

Oder Whiskey und blau kariert?




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