Menschen

Der Duft des Todes

Herr Ploßnitz hat besonders schwer am Tod seiner drei Jahre jüngeren Frau zu tragen. Allein kommt er einfach gar nicht so richtig zurecht, ihm wächst die Hausarbeit über den Kopf, seine Kleidung verrät, daß ihr die pflegende Hand fehlt und wenn man sich Herrn Ploßnitz genauer ansieht, wird auch offenbar, daß er sich selbst auch nur lustlos und halbherzig pflegt. Da stehen halbseitig noch Bartstoppeln, das schüttere Haupthaar ist eher wüst und strubbelig.

Ihm geht es so, wie es vielen Männern geht, wenn ihre Frau verstorben ist. Da hat die Frau seit 40 oder 50 Jahren alles gemacht, sich um alles gekümmert und nun stehen diese Männer von heute auf morgen ohne diese Stütze in ihrem Alltag da. Ja, und es betrifft auch die Männer, die sehr wohl kochen können, die putzen und waschen können und denen auch die sonstigen Hausarbeiten nicht fremd sind.

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Aber sie können es eben nur auf Zuruf, brauchen die Anweisungen der Frau und selbst wenn dem nicht so war, es fehlt ihnen in der Trauer jeglicher Antrieb, sie denken sich: Es hat ja alles sowieso keinen Zweck mehr.

Von Mal zu Mal, wenn Herr Ploßnitz zu uns ins Bestattungshaus kam, wurde es deutlicher, daß er über kurz oder lang fremde Hilfe in Anspruch nehmen mußte, allein würde er versacken und versumpfen.
Das sind dann so Fälle, in denen die Tochter oder Schwiegertochter nach einigen Wochen mal wieder zum Papa oder Schwiegervater ins Haus kommt und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, so schlimm sieht es dort aus.
Es wird dann in einer Hauruck-Aktion alles geputzt, gewienert und aufgeräumt, aber diese Maßnahme hilft nur für einige Tage, dann geht das Versacken und Versumpfen wieder von vorne los.

In diesem Fall war es die Schwiegertochter, Frau Regina Bongers, die mit ihrem Schwiegervater bei uns auftauchte, um sich eine Kopie der Sterbeurkunde abzuholen und man konnte sehen, daß Herr Ploßnitz wieder aussah wie früher: Gebügeltes Hemd, geputzte Schuhe, sauber gebundene Krawatte und das Kinn sauber rasiert und das Haupthaar gekämmt.

Im Vertrauen erklärte mir Frau Bongers: „Wir wohnen über 400 Kilometer weit weg und können uns doch nicht jede Woche um ihn kümmern. Er könnte zu uns ziehen, aber das will er ja nicht. Jetzt kommt seine Schwester und bleibt ein paar Tage, aber die ist ja auch schon 83.“

Diese Schwester hatte es in sich und es wurde auch höchste Zeit, als sie dann etwa 14 Tage später kam. Denn Herr Ploßnitz war schon wieder in Lethargie versunken und als ich ihn mehrere Tage hintereinander auf der Straße gesehen hatte, trug er immer das gleiche verfleckte Hemd und wirkte eher wie ein Pennbruder, denn wie ein pensionierter Ingenieur in besten wirtschaftlichen Verhältnissen.

Seine 83-jährige Schwester Klara hat drei Männer überlebt und nach dem Tod ihres letzten Mannes vor ungefähr 12 Jahren beschlossen, forthin allein zu leben. „Die machen einem doch nur Arbeit und kommen auf Ideen, die ein normaler Mensch nie hätte.“

Kennengelernt habe ich Klara, als sie mit ihrem Bruder im Schlepptau bei uns erschien, um den Grabstein zu bestellen. Ich fuhr mit den beiden zum Steinmetz ihrer Wahl und beriet sie gemeinsam mit dem Steinmetz, damit sie das Richtige bestellen konnten.
Und Herr Ploßnitz? Der sag aus, als sei er in einen Jungbrunnen gefallen. Noch 14 Tage vorher ein Aussehen wie ein Straßenräuber oder Tagedieb und nun wie aus dem Ei gepellt.

Klara muß mein Erstaunen darüber bemerkt haben, denn in einem ruhigen Moment, als Ploßnitz mit dem Steinmetz weit hinten auf dem Gelände etwas anschaute, sagte sie zu mir:

„Jaja, mein Bruder. Dem mußte ich mal in den Arsch treten, wenn ich dem nicht den Kopf zurecht gerückt hätte, wäre der doch in seinem eigenen Dreck verkommen. Völlig mutlos und ohne Antrieb. So darf man sich doch nicht hängen lassen. Aber ich habe da so meine Tricks.“

„Und die wären?“ erkundigte ich mich neugierig.

„Ganz einfach, meine Schwägerin hat ihr ganzes Leben lang immer Nonchalance benutzt, kennen Sie das?“

„Oh ja“, sage ich und innerlich schüttelt es mich. Tosca von 4711, der Duft des Todes… und die Steigerung davon „Nonchalance“. Dieses Parfüm gibt es seit ich denken kann und je fetter und älter Frauen sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie diesen Mumienduft verwenden; meine Meinung.
Wenn mir als Kind eine der dicken, alten Tanten ein Bonbon anbot, dann kramte sie es immer ganz unten aus ihrer schier bodenlos tiefen Handtasche und es schmeckte immer nach 4711, genauergesagt nach Nonchalance.

Klara unterbricht meine Gedanken und sagt: „Tja und mit Nonchalance habe ich ihm seine Frau zurückgeholt. Meine Schwägerin hat noch etliche Flaschen in den Schränken gehabt und ich habe überall ein bißchen hingesprüht. Vor allem habe ich die Seife von dieser Marke auf dem Käsehobel kleingerieben und ins Waschpulver gemischt.
Und glauben Sie es mir oder nicht, seitdem im Haus alles ein bißchen nach Nonchalance riecht und ich ein Bild von meiner Schwägerin im Wohnzimmer aufgehängt habe, seitdem ist er wie ausgewechselt. Überall liegt der Duft von Nonchalance in der Luft und mein Bruder ist glücklich.

Aber ich sag‘ Ihnen jetzt was: Wenn ich da wieder raus bin, dann muß ich unbedingt ein Vollbad nehmen, ich steh‘ ja mehr auf „Poison“ und „Angel“, man will ja schließlich seine Erotik unterstreichen.“

Das sagt die kleine, pummelige Klara mit ihren 83 Jahren, wirft das weiße Haar neckisch nach hinten und strahlt mich aus blitzeblauen kleinen Augen an und ich weiß in diesem Moment nicht, ob sie mich auf den Arm nehmen will oder ob sie es ernst meint.
Sie grinst und läßt mich stehen, in einer Wolke Nonchalance, die auch sie hinter sich herzieht.


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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 22. April 2010 | Revision: 9. Juli 2012

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hajo
14 Jahre zuvor

Tom, die meint es ernst und das ist es, was ich umter Weisheit verstehe, nämlich zu beobachten, nachzudenken und dann genau auf den Punkt zu handeln.
Eine schöne Geschichte zum All-Tagesanfang.
Gruss aus Frankfurt am Main
Hajo

Ma Rode
14 Jahre zuvor

Pfeiff drauf, es hilft doch!

Turtle
14 Jahre zuvor

So eine Klara braucht eigentlich jeder in der Verwandtschaft 🙂

Henning
14 Jahre zuvor

Je oller, je doller 🙂

Aber es ist doch schön, daß diese liebenswerte alte Dame ihren Bruder so gut kennt und letztlich damit ihm am meisten hilft.

Kryptische
14 Jahre zuvor

Der Duft von 4711 echt kölnisch Wasser ist für mich auch unverrückbar mit „meiner Oma“ verbunden. Sie schwörte darauf, dass das Zeug magische Kräfte hat und extrem reanimierend bei Spaziergängen wirkt und sie hatte immer ein Taschentuch damit im Ärmel stecken. Für mich riecht alles von 4711 nach Oma und Tanten – da das aber die liebesten Menschen der Welt waren, wird dieser Geruch für mich immer etwas Wundervolles sein. Wenn eine alte Dame an mir vorbei geht und danach riecht, dann schnuppere ich mitunter sogar dezent hinterher und fühle mich gleich wohl…. obwohl: wenn man ehrlich ist, es stinkt schon sehr erbärmlich 😉

Aber trotzdem, für mich der tollste Duft der Welt (so lange er nicht irgendwo an mir dran ist).

Zur Geschichte: also bei der Geschichte wird mir wieder klar: ich muss meinen Ehemann überleben, sonst nimmts ein übles Ende mit ihm – er hat keine ältere Schwester 😉

Katha
14 Jahre zuvor

Mist… ich wünschte, sowas würde auch für meine Schwiegermutter funktionieren. Ihr Mann hat sie das ganze Leben herumkommandiert, hat alles wichtigen Dinge für sie gemacht, also Geld, Versicherungen. Nachdem er vor anderthalb Jahren gestorben ist ist keiner mehr da, der sie herumkommandiert. Also braucht man sich auch nicht mehr um etwas zu kümmern. Weder Krankenkassen (deren Anschreiben werden einfach ignoriert) oder die Wohnung (für wen sollte man denn putzen?).
Und er hat leider kein Parfum benutzt… Aber ein paar Flaschen Doppelkorn verspritzen, damit es nach Opa riecht- ich meine stinkt… ist auch irgendwie nicht so das wahre… 🙁

14 Jahre zuvor

Meine Oma bevorzugt Tosca. Das macht es nicht wirklich besser. Die wird übrigens im Mai 100. Ich glaube, die macht das nur, um ihre Töchter zu ärgern. Die Böse, die 😉

Anita
14 Jahre zuvor

Gottseidank hat mein Mann juengere Schwestern.
Wobei… als wir zusammengekommen sind, hatte er seinen Haushalt weit besser im Griff als ich, kein Wunder, er hatte seit 12 Jahren schon nicht mehr bei Mami gewohnt und musste alles selber machen.
Aber da jetzt die Kinder anstehen und ich schwangerschaftsbedingt zuhause bleiben muss und er als Ingenieur (omg!) mehr Geld verdient als ich, mach ich jetzt den Haushalt und das wird sich auch die naechsten Jahre wohl nicht aendern.
Ich hoffe trotzdem, dass er spaeter mal nicht allzu lange ohne mich sein muss…

Emz
14 Jahre zuvor

Ohje, mein Vater ist auch Modell „Ploßnitz“… Ich hoffe inständig, dass er in der Reihenfolge des Ablebens nicht erst an zweiter Stelle kommt. Meine Mutter benutzt nämlich kein Parfum…

Ist Nonchalance nicht der „Duft“, der von diesem Kunstlavendel dominiert wird?

Zeo
14 Jahre zuvor

Die Klara is mal ne coole Schnitte 🙂
Ich find sie hat das sehr geschickt eingefädelt.

Cat
14 Jahre zuvor

Wenn ich mal alt bin, will ich auch ne Klara werden!!

14 Jahre zuvor

@ cat: Wie aufwendig das wird, hängt in erster Linie von Deinem augenblicklichen Geschlecht ab.

Kirstin
14 Jahre zuvor

Beim Lesen des letzten Absatzes wurden meine Augen größer und ich fing an zu Grinsen.

Klara RuleZ! 🙂

Anonym
14 Jahre zuvor

@ TOM 😛
Ich nehm natürlich den einfachen weg….!

Christians Ex
14 Jahre zuvor

Nicht schlecht, Herr Specht!

Ich habe ja gewusst, daß man Babys beruhigen kann, wenn man ihnen ein wenig vom Parfum der Mutter aufs Kissen gibt. Daß das auch bei erwachsenen Männern wirkt, hätt ich jetzt nicht gedacht.

14 Jahre zuvor

Da ist es ja mal wieder klar erwiesen: was bei Kindern hilft, kann auch für Männer nicht schlecht sein 😉

Bravo, Klara!

Pu der Zucker
14 Jahre zuvor

4711, Nonchalance und später das noch viel gräuslichere „Fenjala“ gehörten zu den Alpträumen meiner Kinder- und Jugendzeit. Aber zu den älteren Frauen passte es gut. Für Männer gab’s noch nix, die müffelten in ihren Nyltesthemden vor sich hin, das fand ich damals schon viel schlimmer als die „duftenden“ Tanten.
Nun gut, ich wünsche Herrn Ploßnitz jedenfalls, dass in seinem weiteren Leben die „Nonchalance“ nur noch in Form dieses Duftes vorkommt. Dann klappt’s vielleicht sogar auf seine alten Tage noch mit der Nachbarin…

Franzi
14 Jahre zuvor

WAAAH. Schöne Geschichte, aber den Rest des Tages werde ich mit Wäscheklammer auf der Nase verbringen, um mich vor etwaigen Duftwolken zu schützen. Nicht dass irgendwelche Gasthörerinnen vom Seniorenstudium an meinem Büro vorüberstinken.

So ein 4711-Trauma hab ich auch, von meiner Großtante. Seitdem kann ich auch keinen Earl-Grey-Tee mehr trinken, weil ich Bergamotte völlig verabscheue, obwohl es _eigentlich_ ein leckerer Geruch sein könnte…

MacKaber
14 Jahre zuvor

Anderes Beispiel:
Der Schuß könnte aber auch nach hinten losgehen. Endlich kann man sich mal ausruhen und relaxen, in Frieden seinen prämortalen Lebensabschnitt geniessen. Da rauscht die Schwester an, stellt Horrorbilder auf und versprüht auch noch deren Parfum. Weiß die denn nicht, dass bei traumatisierten Opfern schon allein Gerüche schreckliche Erlebnisse wieder aufleben lassen.




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