Allgemein

Die zwei Schwestern II

Ziska und Friedchen heißen sie, also eigentlich Franziska und Elfriede. Ziska ist 72 Jahre alt und ihre Schwester Friedchen 77.
Das Besondere: Die beiden haben seit 55 Jahren kein Wort miteinander gesprochen.

Die Schwestern waren auf uns zugekommen, weil sie eine Bestattungsvorsorge abschließen wollten und so kam ich in ihr Haus, in dem die Zeit stillzustehen scheint.

Nun ist es so, daß mir die beiden Frauen nicht völlig unbekannt sind, sie sind mir schon häufiger aufgefallen, wenn sie hier im Stadtteil einkaufen gingen. Immer zwei Schritte auseinander. Mal geht Ziska vor und Friedchen zockelt hinterher, sie ist ja die Ältere und kann nicht mehr so schnell; oder aber Friedchen geht stramm voraus, denn sie ist ja die Ältere und bestimmt wo es lang geht.

Werbung

Friedchen sitzt mir am Tisch gegenüber und schaut sich unsere Kataloge an. Sie mag so recht keine Entscheidung treffen, denn viel lieber hätte sie es, sie könnte ihre Entscheidung mit der ihrer Schwester vergleichen. Die sitzt aber zwei Zimmer weiter und hat Friedchen den Vortritt gelassen, denn sie meint: „So eilig habe ich es mit dem Sterben nicht“.

Aber Friedchen blättert lustlos durch die Seiten mit den Särgen, findet alle ganz schön, sagt dann aber: „Ach, ich kann mich so gar nicht entscheiden. Ich überlege mal in Ruhe, sprechen Sie doch jetzt erst mal mit Ziska und kommen Sie dann wieder zu mir, ich bleibe hier sitzen und warte auf Sie.“

Nun gut, ich packe meinen Krempel locker zusammen, ziehe zwei Zimmer weiter und sitze wenig später Ziska gegenüber, die es gar nicht mehr abwarten kann, obwohl sie es ja angeblich nicht so eilig hat.

„Und? Was hat sie sich rausgesucht?“ Ziskas Finger zittern, sie leckt sich einen davon feucht und blättert sehr schnell, fast ohne hinzusehen, durch den Katalog, ihr Blick ist aber nur auf mich gerichtet. Wahrheitsgemäß sage ich: „Ihr Schwester überlegt noch.“

„Wie, die überlegt noch? So war die schon immer, ja genau, jetzt sehen Sie mal wie die ist!“

„Sie ist sich noch nicht ganz sicher und hat sich Bedenkzeit erbeten, deshalb bin ich jetzt erst mal zu Ihnen gekommen.“

„Das ist doch typisch für die, also wirklich, dieses verschlagene und hinterhältige Stück!“

Ihre etwas gekrümmten Finger graben sich förmlich in einer der Katalogseiten, dann schaut Ziska ohne Interesse noch ein paar Katalogseiten an, klappt dann die Mappe mit einem Knall zu und schiebt sie zu mir herüber: „Wie gesagt, ich habe es ja nicht so eilig mit dem Sterben. Sprechen Sie das mal in Ruhe mit meiner Schwester durch und dann können Sie wiederkommen.“

Kurz darauf befinde ich mich wieder auf dem Gang, gehe langsam zu Friedchens Zimmer und überlege was ich tun kann.
So kann das ja noch stundenlang weitergehen.
Friedchen ist schon in aufgeregt freudiger Erwartung: „Und? Was nimmt sie?“

Ich will gerade schon sagen, daß auch ihre Schwester nicht die Erste sein will, doch dann sage ich einfach: „Erdbestattung im großen Wahlgrab.“

„Genau das was ich auch wollte! Was für ein Sarg?“

„Eiche mittel.“

„Nein!? Also wirklich, jetzt nimmt die genau das was ich auch will. Also kommen Sie, setzen Sie sich und schreiben Sie das alles auf, ich will genau das alles haben. Die muß mir aber auch immer alles nachmachen!“

Ich notiere die „Wünsche“ von Friedchen und kann endlich meine Zettel füllen. Beim ganzen Anschauen, Vergleichen und Aussuchen kommt das Thema Wahlgrab überhaupt nicht zur Sprache, es ist wohl vollkommen selbstverständlich, daß Friedchen zu Ziska (oder umgekehrt) ins Grab kommt. Ich hatte schon befürchtet, daß es deswegen Probleme geben könnte.

Beim Grabstein kommt Friedchen kurz ins Überlegen und nörgelt, daß sie nicht einsehe, daß Ziska immer oben steht.

Ich sage: „Oben steht, wer zuerst stirbt.“

Friedchen nickt und ich packe erst mal zusammen: „Ich muß noch mal kurz zu Ihrer Schwester, wir sind ja hier fertig.“

Friedchen nickt wieder und ich mache mich auf den Weg zu ihrer Schwester. Das Schlimmste was mir passieren könnte wäre eine totale Ablehnung durch Ziska, die vielleicht genau das Gegenteil von dem will, was ihre Schwester bestellt hat.

„Und? Wie steht’s? Hat sich das zauderhafte Ding entschieden?“ Mit diesen Worten empfängt sie mich und ich sage wieder: „Eichensarg mittel, Erdbestattung, Wahlgrab.“

„Sehen Sie, das habe ich mir doch gedacht. Die nimmt immer das was ich auch will! Schreiben Sie für mich genau das Gleiche auf!“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

Schlagwörter: ,

Allgemein

Die Artikel in diesem Weblog sind in Rubriken / Kategorien einsortiert, um bestimmte Themenbereiche zusammenzufassen.

Da das Bestatterweblog schon über 20 Jahre existiert, wurde die Blogsoftware zwei-, dreimal gewechselt. Dabei sind oft die bereits vorgenommenen Kategorisierungen meist verlorengegangen.

Deshalb stehen über 4.000 Artikel in dieser Rubrik hier. Nach und nach, so wie ich die Zeit finde, räume ich hier auf.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 8. Oktober 2008 | Revision: 7. Januar 2015

Lesen Sie doch auch:


Abonnieren
Benachrichtige mich bei
11 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
SmackThePony
16 Jahre zuvor

Zu herrlich. Nach dem Unfall gestern, muss sowas doch eine Willkommene Abwechslung sein, die man mit seinen Mitarbeitern bei einem Kuchen noch mal schön zu besten geben kann.

Rust
16 Jahre zuvor

super! und auch schwierig… aber hervorragend gelöst!

@admin: geniale idee mit der verlinkung zum ersten teil…thx

horscht
16 Jahre zuvor

„Ich sage: “Oben steht, wer zuerst stirbt.”

Wenn die sich jetzt nicht mal um den ersten Platz „streiten“…

16 Jahre zuvor

Eine win-win-Situation für alle – und das auch noch zeitsparend 😉

Numanoid
16 Jahre zuvor

@Undertaker: Du bist einfach nicht geschäftstüchtig genug.
Bei Eichenlaubs hätten sie wohl beiden erzählt, daß sich die andere für die Adenauer-Truhe, eine mittlere Pyramide als Grabstein und den Papst als „Zeremonienmeister“ entschieden hätte und dadurch 2 mal dicken Reibach gemacht. 😉

Matthias
16 Jahre zuvor

Hätt ich auch gesagt. Wenigstens der Adenauer hätte es sein können 😉

Rena
16 Jahre zuvor

Wat biste fies. *gg* Gut gelöst. Sonst wärst Du noch stundenlang von Zimmer zu Zimmer gedackelt.

Forsi
16 Jahre zuvor

Das war ja „überhaupt“ nicht fies von dir. Aber wenn du diese List nicht angewendet dann hätten die zwei dich noch tagelang hin und hergeschickt. Gut gemacht!!

skape
16 Jahre zuvor

@Tom, kommst du dir bei sowas nicht irgendwie verarscht vor, mir zumindest wäre das nach dem zweiten Mal zu bunt geworden und hätte, den Damen dezent gezeigt, dass sie sich erwachsen verhalten sollten.

Sensenmann
16 Jahre zuvor

Ich stelle mir gerade vor, was da abgeht, wenn eine der Tanten das Zeitliche segnet… Wahrscheinlich nimmt die andere dann den Strick, um doch noch eine Chance zu erhalten, auf dem Grabstein oben zu stehen 😉

Und ja, ich käme mir da auch ziemlich verarscht vor. Hab beim Lesen herzlich gelacht 😀

MacKaber
16 Jahre zuvor

Jede von den Beiden könnte meine Mama sein. Doch Du machst es wie ich, Du verstehst sie einfach und schon wirds harmonisch.




Rechtliches


11
0
Was sind Deine Gedanken dazu? Kommentiere bittex